Migrationspolitik: Berlin im Abschiebewahn

Die AfD kann sich nach eigener Anfrage an den Senat freuen

  • Moritz Lang
  • Lesedauer: 3 Min.

Bis Ende September wurden bereits 1063 abgelehnte Asylbewerber*innen aus Berlin abgeschoben. Das ergab eine Anfrage von Gunnar Lindemann (AfD) beim Abgeordnetenhaus Berlin. Damit hat der schwarz-rote Senat schon jetzt deutlich mehr als die 897 Abschiebungen als die Vorgängerregierung im gesamten Jahr 2022 durchgeführt.

Laut Anfrage seien bis Ende August 9654 Personen »freiwillig ausgereist«. In vielen Fällen trüge jedoch diese Formulierung, sagt Emily Barnickel, Sprecherin des Flüchtlingsrats Berlin. Menschen reisten teils trotz Hoffnung auf einen Aufenthaltstitel aus, um nicht ein komplettes Einreiseverbot nach einer Abschiebung zu riskieren. Manche Familien würden auch diesen Weg gehen, um ihre Kinder nicht einer traumatischen Abschiebung auszusetzen.

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Mit den steigenden Zahlen passt die Berliner Praxis perfekt zur bundespolitischen Linie von SPD, Grünen und FDP. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will am Mittwoch einen Gesetzentwurf mit massiven Verschärfungen des Asylrechts im Kabinett beschließen lassen. Enthalten sind unter anderem eine Ausweitung des Ausreisegewahrsams, vereinfachte Kriminalisierung Schutzsuchender oder Ausweisung aufgrund von Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Als Grund werden Klagen der Bundesländer über hohe Belastungen durch Geflüchtete angeführt. Um die seit dem 7. Oktober noch rassistischer aufgeladenen Migrationsdebatten für die Entrechtung von Asylbewerber*innen nutzen zu können, wurden zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Pro Asyl nur zwei Tage Zeit gelassen, um zum Entwurf Stellung zu nehmen.

Zu wie viel Entspannung mehr Abschiebungen aus Sicht der Regierungsparteien überhaupt führen würden, ist unklar. Von den 16748 ausreisepflichtigen Personen sind gut 86 Prozent geduldet und kommen also vorerst nicht in Frage. Eine Duldung kann beispielsweise aufgrund von Ausbildung, Beschäftigung oder Krankheit ausgestellt werden. Laut Barnickel seien auch bis vor einiger Zeit die Abschiebungen in den Irak aus humanitären Gründen ausgesetzt gewesen.

Die Bundesregierung hatte noch Anfang des Jahres die Existenz eines offiziellen Migrationsabkommens mit dem Irak dementiert, laut einem Bericht von NDR und WDR aber bereits per Unterschrift die Absicht auf engere Zusammenarbeit bestätigt. Obwohl das Auswärtige Amt Reisewarnungen für den Irak ausgesprochen hat und die Türkei kurdische Gebiete im Norden des Landes bombardiert, materialisiert sich das Abkommen nun für immer mehr Iraker*innen. Laut Flucht- und Migrationsministerium Nordrhein-Westfalen wurden Ende September sieben Personen per Charterflug in den Irak abgeschoben – keine von ihnen war strafrechtlich aufgefallen.

Vertreter*innen der Berliner Regierungsparteien hatten zuletzt den Winterabschiebestopp infrage gestellt, auch wenn dieser im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. Auch wenn Abschiebestopps grundsätzlich im Bundesaufenthaltsgesetz geregelt sind, können sie von den obersten Landesbehörden beispielsweise aus humanitären Gründen bis zu drei Monate verhängt werden. Vergangenen Winter hatte es einen solchen Stopp gegeben, allerdings mit 157 Ausnahmen, etwa aufgrund von strafrechtlicher Verurteilung zu über 50 Tagessätzen.

Barnickel kritisiert die Realitätsferne dieser Ausnahmen: »Wir haben Menschen in der Beratung, die nach einfachem Ladendiebstahl 60 Tagessätze bekommen.« Die parteiübergreifenden Rufe nach Abschiebung werden oft mit der Straffälligkeit von Asylbewerber*innen begründet. Das kann im Moment besonders zu Einschränkungen der Meinungsfreiheit von palästinensischen Geflüchteten führen, die bei Anzeigen auf verbotenen Veranstaltungen eine Abschiebung riskieren. Auch wenn Palästina von Deutschland nicht staatlich anerkannt wird, werden sie nicht als Staatenlose behandelt, was eine Abschiebung maßgeblich erschweren würde.

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