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CHICKS* in Zwickau: »So viel Hass haben wir noch nie erlebt«
Das queer-feministische Kollektiv CHICKS* geriet mit einem Aufklärungsstück ins Visier der extremen Rechten in Sachsen
»Lecken« war bisher eine Erfolgsgeschichte. Das queer-feministische Theaterkollektiv CHICKS* brachte die »Forschungsreise« zum Thema sexuelle Bildung im Jahr 2021 auf die Bühne; sie solle »Fragen stellen, die im Aufklärungsunterricht vergessen werden«, heißt es in der Beschreibung. »Wir wollen darüber sprechen, was Sex noch alles sein kann außer Penis, Vulva und Penetration«, sagt eine der Akteurinnen: »Wir geben die Möglichkeit, anders als gesellschaftlich normiert über Sexualität zu sprechen.« Bei den Zuschauern kam das einfühlsame Konzept der Aufführung, die sich an Jugendliche ab 14 Jahren richtet und diese auch zu – freiwilliger und anonymer – Beteiligung einlädt, gut an: »Viele berichten uns von der schönen Erkenntnis, mit ihren Erfahrungen nicht allein zu sein«, sagt die Theaterfrau. Auch die Theaterszene zollte Anerkennung. »Lecken« wurde zu den Kinder- und Jugendtheatertagen in Braunschweig 2022 eingeladen und sollte auf ausdrücklichen Wunsch einer Jugendjury auch beim ostdeutschen Theaterfestival Wildwechsel zu sehen sein, das in diesem September in Zwickau stattfand.
In der sächsischen Stadt fand sich das Theaterkollektiv mit seinem Stück freilich im Fokus einer Diffamierungskampagne, die von rechtsextremen Gruppierungen wie Freie Sachsen und der in der Region stark präsenten Kleinpartei Dritter Weg orchestriert wurde, aber auch belegte, wie anschlussfähig deren Hetze gegen »Genderwahn« und »Frühsexualisierung« in Teilen der Gesellschaft ist. In Internetforen und Leserbriefen wurde die Performance, von der freilich bis dahin nicht mehr bekannt war als ein kurzer Video-Trailer, als »abartig« und »widerwärtig« gegeißelt. Unter Anspielung auf den Umstand, dass darin »trans, nicht-binäre und cis-weibliche Personen« zu Wort kommen, hieß es: »Wenn es nach Euch Idioten geht, sterben wir alle aus, weil es uncool ist, eine normale Familie zu sein.« Von »verborgenen Triebtätern« war die Rede. Eine Kommentatorin im Telegramkanal der Freien Sachsen rief dazu auf, die Aufführung im Alten Gasometer anzuschauen und »hinterher aktiv zu werden«.
Bei CHICKS* äußert man sich erschüttert: »So viel Hass haben wir noch nie erlebt«, sagt die Akteurin, die deswegen nicht namentlich in der Zeitung zitiert werden möchte. Die Anfeindungen ließen es den Theaterleuten ratsam erscheinen, über ein Sicherheitskonzept für die Aufführung nachzudenken, auch wenn es eine groteske Vorstellung sei, »Theater unter Polizeischutz« zu spielen.
Diesen brauchte es schließlich nicht – weil die Aufführung abgesagt wurde. Das gastgebende Theater Plauen-Zwickau verwies zur Begründung auf ausbleibende Fördermittel vom Bund, weswegen ausgerechnet »Lecken« als einzige betroffene Inszenierung gestrichen wurde. Die rechte Szene verbuchte das als Sieg, was die CHICKS*-Akteurin für eine besonders missliche Folge der Absage hält: »Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, dass die Nazis das als ihren Erfolg feiern.« Zudem habe der Wegfall des Zwickauer Auftritts für das Kollektiv, in dem freie Künstler*innen zusammenarbeiten, drastische wirtschaftliche Folgen.
Das Zwickauer Theater kündigte inzwischen für Spätsommer 2024 einen Schwerpunkt zu den Themen der CHICKS*-Inszenierung an; es gebe auch in Zwickau »Nachfrage nach einer künstlerischen Auseinandersetzung mit den Themen Diversität, Queerness, Weltoffenheit und Toleranz«, sagte Generalintendant Dirk Löschner. Allerdings ist nach dem jetzigen Triumph der extremen Rechten eine erneute Hasskampagne abzusehen, zumal am 1. September die Landtagswahl in Sachsen stattfindet und auch die dabei favorisierte AfD massiv gegen Genderpolitik und angebliche »Frühsexualisierung« zu Felde zieht. So wollte die Partei an Schulwegen Plakate mit dem verstörenden Motiv eines großen Plüschteddys mit Penis aufstellen, die vor »Genderwahn im Stundenplan« warnen sollten.
Im Kollektiv CHICKS* ist man noch unsicher, ob man einer eventuellen erneuten Einladung folgen würde. Zudem »ersetzt das erstmal nichts«, sagte die Akteurin dem »nd«. Die Inszenierung »Lecken« allerdings werde weiter gezeigt. So gebe es Gespräche mit Theatern und Festivals in Hannover und Hamburg. Die Solidarität in der freien Theaterszene sei nach den Vorfällen in Zwickau groß. In der Stadt allerdings, fügt sie hinzu, sei ein »Begegnungsraum für queere Jugendliche verhindert« worden: »Das bedauern wir sehr.«
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