- Sport
- Nahost-Konflikt im Fußball
Der Krieg verstärkt Probleme von Migrantenvereinen in Deutschland
Ein Besuch beim Internationalen Sport-Club Al Hilal in Bonn
Ein Besuch im Süden von Bonn, im Stadtteil Pennenfeld, wo viele Menschen aus Einwandererfamilien auf engem Raum leben. Industrieanlagen, Wohnblöcke, ein beliebtes Jugendzentrum, dazwischen ein Kunstrasenplatz. Hier trainieren die Fußballteams des Internationalen Sport-Clubs Al Hilal Bonn. An der Seitenlinie kommen Jugendspieler mit Younis Kamil ins Gespräch. Der erste Vorsitzende des Vereins hält einen Begriff für maßgeblich: Kommunikation.
Al Hilal bedeutet »die Mondsichel«. Es ist der Name etlicher Vereine, vor allem in der arabischen Welt. Fast alle Spieler des Bonner Klubs haben Eltern oder Großeltern, die nach Deutschland eingewandert oder geflüchtet sind – aus der Türkei, Syrien, dem Irak oder den palästinensischen Gebieten. Es sind Länder, in denen die Menschen teilweise ablehnend bis feindselig auf Israel blicken. »Unsere Mitglieder sind schockiert und entsetzt«, sagt Younis Kamil über den Terrorangriff der Hamas auf Israel. »Es gibt keine einzige Stimme im Verein, die das verherrlicht oder gutheißt.«
Es scheint Younis Kamil wichtig zu sein, diesen Punkt gleich am Anfang des Gesprächs zu betonen. Auf dieser Grundlage erläutert er dann die Konsequenzen des Terrors und der Eskalation im Nahen Osten für den Sport und Migrantenvereine wie dem ISC Al Hilal Bonn haben. »Es herrscht ein großes Gefühl von Machtlosigkeit«, sagt er. »Viele unserer Mitglieder fühlen sich nicht verstanden und an den Rand gedrängt.« Er verweist auf ein Zitat von Friedrich Merz auf X, früher Twitter. »Sollte es Flüchtlinge aus Gaza geben, dann sind diese zunächst einmal ein Thema für die Nachbarstaaten«, teilte der Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion mit. »Deutschland kann nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Wir haben genug antisemitische junge Männer im Land.« Damit habe Merz den Antisemitismus ausschließlich als »Import« von muslimischen Migranten dargestellt, sagt Kamil. »Rassistische Konnotationen wie diese tragen zur gesellschaftlichen Polarisierung bei.«
Mit pauschalen Anschuldigungen wurden Mitglieder vom ISC Al Hilal Bonn schon vor dem Angriff der Hamas konfrontiert. »Immer das Gleiche mit euch Migranten.« Diesen Satz hört Kamil immer wieder, wenn einer seiner Spieler zu hart in einen Zweikampf einsteigt. Und ein Schiedsrichter sagte ihm einmal: »Wenn ich auf dem Spielbericht sehe, dass mehr als die Hälfte aller Spieler Ausländer sind, dann ziehe ich zur Abschreckung bei der ersten Aktion die Gelbe Karte.« Worte wie diese legen nahe, dass Schiedsrichter die Spieler von Al Hilal mitunter härter bestrafen als jene von Vereinen mit einem deutsch klingenden Namen.
Younis Kamil, der 1991 als Kleinkind mit seinen Eltern aus dem Sudan nach Deutschland kam, befasst sich seit drei Jahren wissenschaftlich mit der Radikalisierung von jungen Menschen. »Häufige Ausgrenzungserfahrungen können dazu führen«, sagt er, »dass Heranwachsende in ihrem Alltag ständig Ungerechtigkeit vermuten und ihre Identifikation mit dem Staat schwindet.« Eine Haltung, die in etlichen Familien vorgelebt wird, weil die Eltern auf der Suche nach einem Job oder nach einer Wohnung auf Widerstände stoßen. Rund 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen bei Al Hilal stammen aus Familien, die auf Sozialleistungen angewiesen sind.
In der aktuellen aufgeladenen Diskussion über den Nahen Osten machen sich bei Al Hilal Bonn Frust und Ohnmachtsgefühle besonders breit. Kamil empfiehlt seinen Mitgliedern, den Konsum sozialer Medien stark zu reduzieren. In Gesprächen mit seinen Spielern formuliert er es so: »Verherrlicht niemals Gewalt. Wenn ihr euch äußern wollt, dann nur konstruktiv. Ihr solltet nicht die Bilder bestätigen, die andere von euch sehen wollen.«
Die Mitglieder von Al Hilal haben für ihr Engagement mehrere Integrationspreise erhalten. Vorbehalte spüren sie eher in der eigenen Umgebung. Selten komme es vor, dass lokale Vereine und Sportverbände nach ihrer Expertise fragen. Die Frage, die Kamil in Bonn dagegen häufig hört: »Warum bleibt ihr für euch und integriert euch nicht in einen richtigen Verein?« Er könnte mit Gegenfragen reagieren: Warum schließen sich Senioren, Feuerwehrleute oder Briefmarkensammler zu Freizeitteams zusammen? Weil sie durch ihr Alter, ihren Beruf, ihr Hobby schon miteinander verbunden sind. Und weil sie diese Vertrautheit im Fußball vertiefen wollen. Bei den geschätzt rund 1000 Migrantensportvereinen in Deutschland kommt noch eine politische und historische Ebene dazu: Bereits ab den 70er Jahren waren sie für Millionen Gastarbeitende eine wichtige Plattform. Hier konnten sie Freundschaften schließen und Kontakte für Jobs und Wohnungen knüpfen.
Younis Kamil betrachtet Vereine wie seinen Internationalen Sport-Club Al Hilal Bonn heute immer noch als »Safe Space«. Hier, im »sicheren Raum«, können die Mitglieder Wissen und Sensibilität voraussetzen. Hier können sie ihre Diskriminierungserfahrungen schildern – ohne gemustert, unterbrochen, bevormundet zu werden. Es ist eine Form der Selbstermächtigung, die einige Verbandsfunktionäre jedoch als mangelnde Integrationsbereitschaft auslegen. Es gibt Migrantenvereine, die sich vor diesen Vorurteilen schützen wollen und sich deshalb einen deutsch klingenden Namen zulegen: In Berlin wurde beispielsweise aus Galatasaray der Rixdorfer SV und aus Samsunspor der FC Kreuzberg, in Stuttgart benannte sich der TSV Hilalspor in FC Stuttgart-Cannstatt um.
Bei Al Hilal haben sie ebenfalls eine Namensänderung in Erwägung gezogen, auch in der Hoffnung, leichter Sponsoren und Mitglieder ohne Zuwanderergeschichte zu finden. Sie haben sich dagegen entschieden, sagt Kamil: »Wir leben in einer Einwanderungsgesellschaft, und da wollen wir den symbolischen Hinweis auf unsere Herkunft nicht verstecken müssen.« Um Chancen zu schaffen, gibt Kamil jungen Fußballern früh zu verstehen, dass eine Profikarriere unwahrscheinlich ist. Er betont Bildung und schaut in die Zeugnisse seiner Spieler. Wer Probleme in der Schule hat, kann im Vereinsumfeld Nachhilfe erhalten und im Training kürzertreten.
Rund 25 Prozent der deutschen Bevölkerung haben eine Einwanderungsgeschichte. Bei den ehrenamtlich Engagierten in den Fußballvereinen sind es lediglich 8,8 Prozent, bei den 372 Mitgliedern der höchsten DFB-Gremien sogar nur 3,5 Prozent. Ein Viertel der Bevölkerung wird im Fußball also nicht mal ansatzweise repräsentiert. Kamil, der an der Universität Brüssel in Sportsoziologie promoviert, ist an einem Projekt der Türkischen Gemeinde Deutschland und des Deutschen Olympischen Sportbundes beteiligt. Das Ziel: Ursachen erforschen und Empfehlungen formulieren, um in den Entscheidungsebenen des Sports mehr Diversität abzubilden.
Angesichts der aktuellen Diskussion erscheint das Projekt wichtiger denn je. Sollte sich die Lage im Nahen Osten weiter zuspitzen, dann dürften die Folgen auch im deutschen Amateurfußball zu spüren sein – für die jüdischen Vereine von Makkabi und für migrantisch geprägte Klubs wie den ISC Al Hilal.
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