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Nancy Faeser: Abschiebetourismus in Rabat
Nancy Faeser kommt aus Marokko mit fast leeren Händen zurück
»Wir müssen endlich im großen Stil abschieben«, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz höchstpersönlich im Nachrichtenmagazin »Spiegel« als Devise ausgegeben. Die Redaktion fand das wichtig genug, um das Zitat sogar auf die Titelseite zu drucken. Dass die neue deutsche Härte nicht in Fahrt kommt, liegt aber auch an den Herkunfts- oder Transitländern, aus denen abgelehnte Asylsuchende nach Europa eingereist sind. Diese sind wie etwa Marokko häufig nicht bereit, die Abzuschiebenden zurückzunehmen oder bei der Beschaffung der dafür notwendigen Papiere zu helfen. Das ist aber notwendig, um zu belegen, dass es sich um Staatsangehörige des Ziellandes für einen Abschiebeflug handelt.
Um die Regierung zur Verbesserung der »Rückübernahmezusammenarbeit« zu bewegen, ist die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Wochenende nach Rabat geflogen. Begleitet wurde Faeser auf ihrer zweitägigen Reise von Joachim Stamp (FDP), den die amtierende Ampel-Koalition als Sonderbevollmächtigten für sogenannte Migrationsabkommen eingesetzt hat. Stamp ist dazu mit mehreren Ländern in vertraulichen Gesprächen und will die Regierungen mit Erleichterungen für Arbeitsvisa ködern. Im Gegenzug sollen diese bei Abschiebungen aus Deutschland besser kooperieren.
In den ersten neun Monaten dieses Jahres haben 1246 Menschen aus Marokko erstmals in Deutschland einen Asylantrag gestellt – das sind sehr wenig im Vergleich etwa zu den 71 833 Syrern, die in diesem Zeitraum erstmalig ein solches Schutzersuchen stellten. Auch die Anerkennungsquote von Marokkanern, die im ersten Halbjahr 2023 in Deutschland Asyl beantragten, liegt mit 2,6 Prozent sehr niedrig. In einer ähnlichen Größenordnung bewegt sich die Zahl der Menschen aus dem nordafrikanischen Land, die eingeschränkten Flüchtlingsschutz erhielten.
De facto gehen die deutschen Ausländerbehörden also davon aus, dass es in Marokko kaum Verfolgung gibt. Als sicher gilt Marokko jedoch offiziell nicht. 2019 wollte die große Koalition aus Union und SPD das Land zusammen mit Tunesien und Algerien als »sicheres Herkunftsland« einstufen. Der Bundestag hatte dem Gesetz zugestimmt, dagegen waren Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sowie elf SPD-Abgeordnete. Schließlich scheiterte das Gesetz aber im Bundesrat.
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Laut dem Bundesinnenministerium leben in Deutschland 3660 Marokkaner, die ausreisepflichtig sind. Die meisten von ihnen müssen aber aus unterschiedlichen Gründen vorübergehend geduldet werden. Deshalb könnten derzeit ohnehin nur 898 marokkanische Staatsbürger abgeschoben werden. Diese können nicht ohne Weiteres mit der Bundespolizei oder Frontex-Beamten ins Flugzeug gesetzt werden: Die marokkanische Regierung erteilt etwa keine Landegenehmigungen für Sammelabschiebungen, für die Deutschland und andere EU-Staaten gern Flugzeuge chartern würden. Erzwungene Abschiebungen oder freiwillige Rückführungen sind deshalb nur per Linienflug möglich. Die Zahl der von Marokko akzeptierten »Rückkehrer« pro Flug ist dabei begrenzt, auch dürfen diese nur mit bestimmten Fluggesellschaften durchgeführt werden.
Als »Anreiz« für mehr Abschiebungen hatte Faeser der Regierung in Marokko angeboten, die Visavergabe für für marokkanische Arbeitskräfte zu erleichtern. Die Bundesinnenministerin hatte jedoch ein weiteres Anliegen: Rabat soll auch hinsichtlich Grenzschutz und Terrorbekämpfung mit der EU zusammenarbeiten. Vorbild dafür ist die Regierung in Tunis, mit der die EU-Kommission auf eigene Faust und ohne die 27 Regierungen der Mitgliedstaaten einzubeziehen eine Absichtserklärung unterschrieb und als Gegenleistung 255 Millionen für die dortige Migrationsabwehr ausgeben wollte.
Mehr als ein unverbindliches »Sicherheitsabkommen« konnte Faeser der Regierung in Marokko allerdings nicht abringen. Mit ihrem Amtskollegen, Abdelouafi Laftit, unterzeichnete sie am Montag in der Hauptstadt Rabat eine entsprechende Absichtserklärung. Marokko will zudem in Deutschland für »Rückkehrer« ausgestellte Ersatzpapiere akzeptieren, um die Abschiebungen zu erleichtern, will die »FAZ« erfahren haben.
Auch die EU versucht die gemeinsame Migrationsabwehr mit Rabat zu verbessern. Um Abschiebungen und Rückübernahmen zukünftig reibungsloser zu gestalten, hat die Kommission einen »Verbindungsbeamten für Migration« nach Rabat entsandt. Der soll dafür sorgen, dass Marokko alle Mitgliedstaaten bei Abschiebersuchen gleich behandelt. Der spanische EU-Ratsvorsitz fordert etwa, dass marokkanische Behörden auf konsularische Befragungen der »Rückkehrer« verzichten, wenn die EU-Staaten ausreichende Nachweise zur Feststellung der Staatsangehörigkeit vorlegen.
Auf EU-Ebene liegt die Abschiebequote ähnlich niedrig wie in Deutschland: Im vergangenen Jahr erhielten 30 745 marokkanische Staatsangehörige eine Rückkehrentscheidung, nur sieben Prozent wurden jedoch tatsächlich »zurückgeführt«. Das lag nach Informationen des »nd« an den marokkanischen Behörden, die in nur 742 Fällen auch Reisedokumente ausstellten.
Ein EU-weites »Rückübernahmeabkommen«, wie es auch die Kommission gern mit Marokko abschließen würde, ist weiterhin nicht in Sicht. Vermutlich ist Rabat der Preis dafür nicht hoch genug. »Jedenfalls ist sich Marokko bewusst, wie wichtig Migrationsabwehr für die EU und Deutschland ist und dass die Bundesregierung es sich viel Kosten lassen wird, sich selbst nicht die Hände schmutzig zu machen, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht«, sagt die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Clara Bünger dem »nd«.
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