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Selbstbestimmung in der Sexarbeit: erste Genossenschaft gegründet

Das neue Berliner Paramour Collective will selbstbestimmt und sicher arbeiten

Zum Startschuss des Paramour Collective sind die Sexarbeiter*innen (v. l.) Ava L’affaire, Ernestine Pastorello, Rex und Malou Sauvage vorfreudig.
Zum Startschuss des Paramour Collective sind die Sexarbeiter*innen (v. l.) Ava L’affaire, Ernestine Pastorello, Rex und Malou Sauvage vorfreudig.

»Normalerweise hast du einen Boss, der einen großen Teil des Geldes nimmt und der dir sagt, was du machen sollst. Wir hingegen treffen alle Entscheidungen für uns selbst und teilen die Profite«, sagt Ernestine Pastorello zu »nd«. Die Sexarbeiterin sitzt auf einem goldenen Sofa im »Studio Lux« in Tempelhof. Im Zimmer hinter geschlossener Tür ist es ruhig, aber draußen laufen die letzten Vorbereitungen, Menschen laufen von Raum zu Raum, ziehen sich um und sind sichtlich aufgeregt. Es ist für viele der Beginn einer großen Sache: Der offizielle Start der ersten genossenschaftlich und kollektiv geführten Escort-Agentur.

»Wir schreiben niemandem vor, wann gearbeitet wird und wie viel. Alle machen ihre eigenen Preise und dürfen aussehen, wie sie wollen«, sagt Pastorello. Diese Arbeitsbedingungen müssten der Standard in der ganzen Sexarbeitsbranche sein, in der die Arbeiter*innen selbstständig sind und die Agenturen nur als Dienstleister vermitteln. Eigentlich ist das arbeitsrechtlich auch so festgeschrieben. Aber: »Obwohl die Branche so strikt reguliert ist, ist es die Regel, dass das Gesetz gebrochen wird«, sagt die Sexarbeiterin. Sowohl bei den Agenturen als auch in Bordellen würden Chef*innen über die Arbeiter*innen bestimmen.

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Das Paramour Collective, welches nach zwei Jahren Vorbereitung nun die eigene Escort-Agentur als eingetragene Genossenschaft an den Start bringt, organisiert sich ohne Chef*innen. Bislang gibt es zwölf Sexarbeiter*innen, die Teil der Genossenschaft sind und ein Profil auf der Plattform der Agentur haben. Ziel des Paramour Collective ist nicht nur, die eigenen Arbeitsbedingungen zu gestalten, sondern auch, möglichst inklusiv zu sein.

Genau das ist auch der Grund, warum Rex ein Teil des Kollektivs geworden ist. »Für transmaskuline Sexarbeiter wie mich gibt es einfach keine Agenturen. Dabei ist es für uns noch viel gefährlicher. Trans Sexarbeiter*innen sind mehr von Gewalt und von niedrigen Löhnen betroffen«, sagt Rex zu »nd«.

Die neue Genossenschaft, die explizit alle Geschlechter einschließt, bietet Rex einen Platz, um sicherer zu arbeiten als auf den gängigen Plattformen, wo er auf sich selbst gestellt ist und die Preise um ein Vielfaches niedriger sind. Das Paramour Collective bietet neben der erhöhten Sicherheit auch einen Raum der gegenseitigen Solidarität und Unterstützung unter Sexarbeiter*innen, sagt Rex.

So sieht es auch Malou Sauvage, ein weiteres Genossenschaftsmitglied. »Sexarbeit vereinzelt. Ich war auf der Suche nach einer Gemeinschaft, in der man sich umeinander kümmert und Verständnis füreinander hat«, sagt Sauvage zu »nd«. Über Sexarbeit zu sprechen, sei in einem sozialen Umfeld, welches die Erfahrung nicht teilt, oft sehr schwierig.

Daneben ist es auch für Sauvage sehr wichtig, in der Genossenschaft selbstbestimmt arbeiten zu können. »Die Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter*innen sind in vielen Agenturen katastrophal. Dir wird sehr viel vorgeschrieben.« Von dem Projekt erhofft sich Sauvage außerdem, dass es die Vorurteile und Stigmata rund um Sexarbeit abbauen kann. »Ich wünsche mir, dass durch dieses Projekt die öffentliche Wahrnehmung verändert wird. Dass wir mehr gesehen werden als die Individuen, die wir wirklich sind.«

Ernestine Pastorello hat die Gründung des Paramour Collective initiiert, weil sie selbst viele schlechte Erfahrungen mit Escort-Agenturen und Bordellen gemacht hat. Sie ist aus den USA nach Deutschland gekommen, weil hier Sexarbeit, anders als in den Staaten, nicht vollends kriminalisiert ist. Dennoch gibt es noch sehr viel zu tun, sagt sie. »Ich habe bei einer Agentur gearbeitet, wo es sehr viel Zwang gab und wo ich stark ausgebeutet wurde.«

Um die in Deutschland geltenden Rechte von Sexarbeiter*innen am Arbeitsplatz einzufordern, hat sie sich an die anarchosyndikalistische Gewerkschaft Freie Arbeiter*innen Union (FAU) gewandt und dort mit anderen zusammen die Sektion Sexarbeit ins Leben gerufen. »Die Genoss*innen bei der FAU unterstützen uns viel, das sind echt gute Verbündete«, sagt sie. Gegen ihre ehemalige Agenturchefin führe die Gewerkschaft nun einen gerichtlichen Arbeitskampf. Daneben gehe die Sektion Sexarbeit gegen weitere Arbeitsrechtsverstöße vor, zu denen Pastorello aber zum aktuellen Zeitpunkt aus strategischen Gründen keine Angaben machen kann. »Die gewerkschaftliche Organisierung ist für Sexarbeiter*innen sehr wichtig«, sagt sie.

Die genossenschaftliche Escort-Agentur ist ein Weg, um dem entgegenzuwirken. Es brauche aber auch noch viel politische Arbeit, um auch die Prostitutionsgesetze zu ändern. Vor allem der Registrierungszwang ist für viele Sexarbeiter*innen ein großes Problem. »Gerade diejenigen, die am stärksten marginalisiert werden und sich aus unterschiedlichen Gründen nicht registrieren lassen können oder wollen, haben die größten Schwierigkeiten und werden nicht geschützt.« So können auch bei der Genossenschaft keine nicht-registrierten Personen arbeiten, was Pastorello sehr stört. »Das Gesetz muss sich ändern«, sagt sie.

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