Sachsen bleibt Meister im »Kapitalistensport«

Seit Jahren haben nur 15 Prozent der Betriebe einen Tarifvertrag. Der Streit in der Koalition um ein neues Vergabegesetz hält an

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Ralf Hron am Samstag einen Parteitag der sächsischen Linken besuchte, wurde er ein wenig neidisch. Der DGB-Chef der Region Südwestsachsen hörte dort eine Rede von Bodo Ramelow, Ministerpräsident der Partei im benachbarten Thüringen, in dem dieser auch auf die jüngste Einigung zwischen Rot-Rot-Grün und CDU zum Vergabegesetz einging. Demnach müssen Beschäftigte, die Aufträge der öffentlichen Hand abarbeiten, künftig pro Stunde mindestens 1,50 Euro mehr erhalten als den gesetzlichen Mindestlohn, derzeit also 13,50 Euro. Von derlei Vorgaben sei man in Sachsen weit entfernt, sagt Hron: Ein neues Vergabegesetz sei ein »dickes Brett«.

Nicht nur bei öffentlichen Aufträgen hapert es in Sachsen mit einer ordentlichen Bezahlung. Der Freistaat ist quasi deutscher Meister in dem, was der damalige DGB-Chef Reiner Hoffmann bei einer Maikundgebung 2019 in Leipzig als »Volkssport der Kapitalisten« bezeichnete: Tarifflucht. Laut einer in jenem Jahr vorgelegten Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung im Auftrag des DGB Sachsen wurden nur 39 Prozent der Beschäftigten im Freistaat nach Tarif bezahlt, nur 15 Prozent der Betriebe waren tarifgebunden. Mitarbeiter der Teigwaren Riesa GmbH schrieben bei einem Arbeitskampf auf ein Plakat: »Wir können gar nicht so schlecht arbeiten, wie wir bezahlt werden.«

In dem Nudelwerk wird inzwischen besser entlohnt. Das ist Ergebnis eines »Häuserkampfs«, mit dem vor allem die Gewerkschaft NGG Verbesserungen in einzelnen Firmen durchsetzt. Generell aber hat sich an dem düsteren Bild von vor vier Jahren nichts geändert. Am 1. Mai 2023 wetterte DGB-Landeschef Markus Schlimbach, Sachsen stehe bundesweit noch immer auf dem vorletzten Platz bei der Tarifbindung. Der Anteil der solcherart entlohnten Beschäftigten war marginal auf 42 Prozent gestiegen, die Zahl der Betriebe verharrt bei 15 Prozent.

Niedrige Löhne wurden von den CDU-geführten Regierungen in Sachsen lange als Standortvorteil gepriesen. Es sei, sagte Schlimbach, »staatlich gewollt« gewesen, dass kein Tarif gezahlt wurde. Negative Folgen wie Abwanderung und niedrige Steuereinnahmen nahm man in Kauf. Um den Tarif zu umgehen, mussten Firmen nicht einmal aus dem Arbeitgeberverband austreten: Dieser bot sogenannte OT-Mitgliedschaften an – OT steht für »ohne Tarifbindung«.

Der Fachkräftemangel hat zwar inzwischen zu einem teilweisen Umdenken geführt. Als CDU, Grüne und SPD 2019 in Sachsen eine Koalition bildeten, bekannten sie sich vertraglich zu einer »starken Tarifpartnerschaft«. Bei der Vergabe von Fördermitteln aber seien Tariflöhne keine Bedingung, merkt Hron an; sie können lediglich mit einem Bonus honoriert werden. Als Trauerspiel empfinden Gewerkschafter auch das ergebnislose Tauziehen um ein neues Vergabegesetz. SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig strebt an, die Vergabe öffentlicher Aufträge an Tarifverträge und Branchenmindestlöhne zu koppeln. Doch bisher beißt er sich an der CDU die Zähne aus. Vor einem Vierteljahr klagte Schlimbach, man diskutiere aktuell über einen Entwurf, der »nicht mal Tariftreueregelungen für alle Branchen umfasst und den anderen Bundesländern um mindestens zehn Jahre hinterherhinkt«. Er mahnte die CDU zu »Vertragstreue«. Inzwischen ist es aber nur noch ein gutes halbes Jahr bis zum Ende der Wahlperiode.

Die Folgen der Billiglohnpolitik spüren derweil nicht nur die aktuell Beschäftigten. In Sachsen arbeite jeder sechste Beschäftigte im Niedriglohnbereich, sagt Susanne Schaper, Landeschefin der Linken; im Erzgebirge seien es 43 Prozent. Das sei »eine Hauptquelle für Altersarmut« Ihr Parteifreund Ramelow sagt: »Niedriglöhne zu bewerben heißt Altersarmut als Normalität hinzustellen.«

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