Antisemitismus und Rassismus in Deutschland: Der Hass grassiert

Rechte wollen die Geschichte umdeuten, Rassismus ist fest in der Mitte der Gesellschaft verankert. Das zeigen zwei aktuelle Studien

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.

Antisemitismus wie Rassismus sind in Deutschland weit verbreitet. Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober ist die Situation für Jüd*innen hierzulande noch deutlich bedrohlicher geworden, zeigt der aktuelle zivilgesellschaftlichen Lagebericht Antisemitismus der Amadeu-Antonio-Stiftung, der am Dienstag in der Bundespressekonferenz vorgestellt wurde. Häuser jüdischer Bewohner*innen würden mit Davidsternen markiert, Menschen angegriffen, die Plakate für eine Gedenkdemonstration am 9. November aufhängten, Mahnmale mit israelfeindlichen Stickern beklebt, zählt Nikolas Lelle auf. Er ist Projektleiter der Bildungs- und Aktionswochen der Amadeu-Antonio-Stiftung gegen Antisemitismus.

Diskutiert werde zurzeit vor allem muslimischer Antisemitismus. »Aber auch in der aktuellen Situation dürfen wir die extreme Rechte nicht aus den Augen verlieren, die gerade so tut, als sei sie von aller Schuld befreit«, sagt Lelle mit Verweis auf die AfD. Diese würde historische Begriffe wie »Zivilisationsbruch« umdeuten, um Alliierte zu Tätern und Deutsche zu Opfern zu machen und so die Grenze des Sagbaren zu verschieben, wie auch der Fall Hubert Aiwanger (Freie Wähler) in Bayern zeigt.

Ein weiteres Beispiel sei der rechtsextreme Verein »Gedächtnisstätte« in Thüringen, in dessen Umfeld die Shoah geleugnet und deutsche Kriegsverbrecher zur Märtyrern stilisiert würden. Dabei werde dem Gedenken an die Judenvernichtung eine eigene Erinnerungskultur entgegengesetzt. Gerade in Thüringen würden viele Vorfälle mit Bezügen auf die Shoah registriert, besonders bei den Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, wo ein drastischer Anstieg an Schmierereien und Schändungen zu verzeichnen sei.

Aber auch deutschlandweit würden Orte zum Gedenken an die Opfer der Shoah zur »Dauerzielscheibe antisemitischer Straftaten«, wie es in dem Lagebericht heißt. Der wachsende Antisemitismus bedeute, »dass der Platz für Jüdinnen und Juden hier kleiner wird«, sagt Lelle und appelliert an die Zivilgesellschaft, mehr Solidarität mit Jüd*innen zu zeigen.

»Rechte sind auf dem Weg zu einer Umdeutung der Geschichte, die längst in die bürgerliche Mitte gewandert sind«, problematisiert Deborah Hartmann, Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz. »Deutschen Opfernarrative und die Verhöhnung demokratischer Erinnerungskultur« hätten kaum Konsequenzen – Aiwanger sei bei den Landtagswahlen dafür noch belohnt worden. Dagegen seien Gedenkstätten mit dem Vorwurf einer »staatlich auferlegten Erinnerungskultur« konfrontiert.

Laut Lagebericht Antisemitismus drehen sich Debatten über die Shoah seit einigen Jahren weniger um den Nationalsozialismus und vermehrt um Israelkritik, wodurch israelbezogener Antisemitismus verharmlost werde. Aktuell werde zum Beispiel ausgeblendet, dass sich der Angriff der Hamas nicht nur gegen Israel richte, sondern vor allem gegen Jüd*innen, da es womöglich keine ausreichende Auseinandersetzung mit »der ideologischen Grundlage der Hamas« gibt, meint Hartmann.

Sie kritisiert in dem Zusammenhang auch den Demo-Spruch »Free Palestine from german guilt« (Befreit Palästina von deutscher Schuld) und den Vorwurf des Genozids an Palästinenser*innen, bei denen die Begrifflichkeiten deutsche Schuld und Genozid ihrer Ansicht nach nicht richtig eingeordnet werden. Den Spruch über die Befreiung von deutscher Schuld sieht Lelle als eine »Schlussstrich-Forderung«. Dabei gebe es keine »von oben diktierte« Erinnerungskultur, im Gegenteil: Diese sei »gegen den Willen der deutschen Mehrheitsbevölkerung« von unten erkämpft worden, sagt er.

Kritik an Israel sei nicht per se antisemitisch, betont Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung. Problematisch werde es aber, »wenn die Regierung mit Nazis verglichen oder Gaza als großes Konzentrationslager bezeichnet« würden. In den vergangenen Wochen seien viele jüdische Veranstaltungen abgesagt worden oder hätten unter Polizeischutz stattgefunden. »Das sind Zeichen einer tief sitzenden Angst«, so Klein. Bei vielen dieser Veranstaltungen sei es jedoch gar nicht um Israel oder den Nahost-Konflikt gegangen. Daraus schlussfolgert er, dass es sich bei den Bedrohungen um »puren Antisemitismus handelt«.

Beate Küpper erklärt, dass Antisemitismus zwar auch unter muslimisch sozialisierten Personen verbreitet sei. Es seien aber vor allem »deutsch-deutsche Menschen, bei denen wir diese deutlichen Anstiege sehen«. Küpper ist Sozialpsychologin und Mitautorin der »Mitte-Studie«, einer Untersuchung der Einstellungen der »gesellschaftlichen Mitte« im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, laut der inzwischen 5,7 Prozent der breiten Bevölkerung offen antisemitische Einstellungen teilen. Ein Problem sei, dass in den Schulen zwar über den Nationalsozialismus informiert werde, aber wenig über Antisemitismus. Gerade unter jüngeren Menschen habe dieser zugenommen, was auch mit der Verbreitung in den sozialen Medien zu tun habe.

Dass sich auch viele Linke gegen Israel positionieren, erklärt Küpper damit, dass diese oft zu den »scheinbar Unterlegenen« hielten und diese dabei auch »moralisch aufwerteten«. Der postkoloniale Diskurs sei sehr wichtig. Mit der Bezeichnung Israels als Apartheitsstatt würden ihrer Ansicht nach »Opfer des Kolonialismus instrumentalisiert, um Israel eins auszuwischen«.

Aber auch Rassismus ist nach wie vor ein Problem, wie eine repräsentative Befragung der deutschen Bevölkerung durch das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) zeigt. Dieser Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor mache jedoch auch Hoffnung: »Viele Menschen sind bereit, sich gegen Rassismus zu engagieren«, sagt Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) bei der Vorstellung des Berichts am Dienstag. 70 Prozent der Befragten erklärten sich dazu bereit.

Andererseits gebe es einen Teil der Bevölkerung, der eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema abwehre, sagt Frank Kalter, Direktor des Dezim-Instituts: »Knapp die Hälfte der Bevölkerung findet, dass Rassismusvorwürfe und ›politische Korrektheit‹ die Meinungsfreiheit einschränken würden. Unsere Daten zeigen, dass diese Abwehr vor allem aus der alters- und bildungsmäßigen Mitte der Gesellschaft kommt.« Fast die Hälfte der Deutschen glaube noch immer an die Existenz menschlicher »Rassen« und 60 Prozent, dass Rassismus vor allem ein Problem von Rechtsextremen sei.

22 Prozent der Gesamtbevölkerung haben laut der Befragung bereits Rassismus erfahren, 50 Prozent finden, dass wir in einer rassistischen Gesellschaft leben und 81 Prozent, dass Menschen sich auch unbeabsichtigt rassistisch verhalten können.

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