Kreis Göttingen: Aderlass in der Linken

Sieben Mandatsträger wechseln zum Wagenknecht-Bündnis. Der Göttinger Kreisverband verzeichnet zugleich zehn Neueintritte in den letzten Wochen.

  • Reimar Paul, Göttingen
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie anderswo, so gibt es auch in der Linkspartei im Kreis Göttingen Turbulenzen: Sieben Abgeordnete verschiedener Kommunalparlamente haben ihren Austritt verkündet. Das entspricht immerhin die Hälfte der Linke-Mandatsträger im Kreis. Sie wollen sich dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) anschließen, dessen Gründung die Bundestagsabgeordnete zusammen mit Vertrauten am 23. Oktober offiziell verkündet hatte. Der Kreisverband propagiert derweil einen Neustart – und vermeldet den Eintritt von zehn Personen seit Ende Oktober.

Eine gemeinsame Erklärung der Abtrünnigen ging dieser Tage den lokalen Medien zu. Unter den Unterzeichnern sind der Fraktionsvorsitzende der Linken im Kreistag, Eckhard Fascher, der Kreistagsabgeordnete Andreas Gemmecke sowie Ratsmitglieder aus vier Stadt- oder Gemeinderäten. Mitgezeichnet hat die Erklärung auch Edgar Schu. Der mittlerweile fraktionslose Ratsherr der Stadt Göttingen war schon im Herbst 2022 aus der Linken ausgetreten. Ende 2022 schied er auch aus der Fraktion der »Wählergemeinschaft Göttinger Linke« im Stadtrat aus. Die Unterzeichner wollen in der Wagenknecht-Partei mitmischen, sobald diese sich Anfang 2024 formiert hat. Das prognostizierte hohe Wählerpotenzial für sie sei dabei »Ansporn, bei den nächsten Wahlen mit starken Fraktionen in die Parlamente einzuziehen«.

Fascher und Co. begründen ihre Abkehr von der Linken ähnlich wie Wagenknecht: Die Linke habe sich auch in Göttingen »inzwischen zu einer völlig abgehobenen Partei verwandelt, die vor allem junge Akademiker aus eher besser gestellten Verhältnissen anspricht«. Soziale Themen spielten nur eine untergeordnete Rolle. Die kommunalen Mandatsträger hingegen seien stets bemüht, »ihre Bodenhaftung zu behalten«. Sie hätten »Themen angesprochen wie die Umsetzung von Hartz IV, eine fundamentale Kritik am dreigliedrigen Schulsystem, tarifliche Bezahlung Beschäftigter oder auch die Rekommunalisierung wichtiger Bereiche wie den ÖPNV«.

Außenpolitisch habe sich auch die Göttinger Linke nicht glaubwürdig gegen Waffenlieferungen für die Ukraine und den »Wirtschaftskrieg gegen Russland« positioniert, so Fascher. Auch gehe es nicht an, Kritik am israelischen Vorgehen gegen die Palästinenser als Antisemitismus zu brandmarken. Dies hat, soweit bekannt, allerdings weder Die Linke im Bund noch in Göttingen getan.

Kreissprecherin Lisa Zumbrock widerspricht den Vorwürfen auch insgesamt. »Wir haben in den letzten zwei Jahren vor allem steigende Mieten, Nebenkosten und Lebensmittelpreise, bezahlbaren Nahverkehr und Klimaschutz in sozialer Verantwortung thematisiert«, sagt sie. Im Moment unterstütze die Partei im Rahmen der Kampagne »Wir fahren zusammen« die Beschäftigten der Göttinger Verkehrsbetriebe im Kampf um mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Kämpferisch gibt sich Ko-Kreissprecher Thomas Goes: »Wir werden uns kommunalpolitisch neu aufstellen, um in Stadt und Landkreis für alle verlässliche Partnerin zu sein, die sich Gerechtigkeit, Klimaschutz in sozialer Verantwortung, Frieden und klare Kante gegen den Rechtsruck wünschen«, erklärt er.

Auch die Göttinger Linke-Stadtratsfraktion verweist auf ihre sozialpolitischen Aktivitäten. »Mit Anträgen wie zur Mensa für alle oder für ein Soziales Zentrum in Göttingen haben wir uns der Anliegen der Göttinger angenommen«, betont der Fraktionsvorsitzende Jost Leßmann. Die »erfolgreiche Arbeit der letzten zwei Jahre für ein sozialeres und gerechteres Göttingen« in klarer Abgrenzung zu rechten Kräften wolle man fortsetzen.

Darüber hinaus setze sich die Fraktion aber auch dafür ein, dass die Stadt Göttingen – wie jüngst etwa Braunschweig – politische Verantwortung übernehme und beispielsweise die Patenschaft für ein Seenotrettungsschiff beschließe. In der Ratsfraktion, sagt Leßmann, spiele die Diskussion über die Aktivitäten von Wagenknecht und ihren Anhängern übrigens keine Rolle.

Eine weitere Parallele zur Bundesebene gibt es in Göttingen in Bezug auf den Umgang mit den Mandaten. Während Zumbrock die Abtrünnigen aufforderte, diese an die Partei zurückzugeben, erklärte Fascher klipp und klar, die Unterzeichner der Erklärung würden ihre Mandate »selbstverständlich weiter ausüben«.

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