- Berlin
- Asylpolitik Brandenburg
Rassistische Kontrollen an der polnischen Grenze
Studierende der Europa-Universität von Frankfurt (Oder) verpassen Lehrveranstaltungen
Seit Dezember 2007 gibt es an der polnischen Grenze eigentlich keine Kontrollen mehr. Die Grenzanlagen an der Stadtbrücke von Frankfurt (Oder) sind längst abgeräumt. Doch seit Oktober fließt der Verkehr nicht mehr wie gewohnt. Übergangsweise gibt es wieder Kontrollen. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) hatte bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vehement darauf gedrungen.
Das erklärte Ziel: Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Deutschland aufhalten. »Die Kommunen sind am Limit und brauchen eine anhaltende Reduzierung des Zustroms«, rechtfertigt Stübgen das Vorgehen. »Europäische Maßnahmen müssen jetzt zügig greifen, bis dahin muss die Kontrolle an nationalen Grenzen aufrechterhalten werden.« Doch das behindert die gute Nachbarschaft zur polnischen Schwesterstadt Słubice drüben auf der anderen Seite der Oder zuweilen ganz erheblich.
»Es gibt Tage, da ist weniger Stau, und es gibt Tage, da ist Verkehrskollaps«, beklagt der Linke-Kreisvorsitzende Stefan Kunath. »Die Stimmung in Słubice gegenüber den Maßnahmen auf deutscher Seite kippt«, stellt er fest. Kunath erinnert Auswirkungen für Pendler und Speditionen. Außerdem würden die polnischen Rettungskräfte bei ihren Einsätzen von den Rückstaus behindert. Das stehe in keinem Verhältnis zu den wenigen Flüchtlingen, die entdeckt werden. Oberbürgermeister René Wilke (Linke) kann es aber nicht ändern. Die Entscheidung über die Kontrollen liegt nicht in seinem Einflussbereich. Er hat sie kritisiert. Aber das sollte die Frankfurter CDU auch tun und sich bei Innenminister Stüben für »Grenzkontrollen mit Augenmaß einsetzen«, findet der Linke-Kreisvorsitzende Kunath. Immerhin 14 000 Polen pendeln zur Arbeit nach Brandenburg und weitere 4000 nach Berlin.
Drei Container und drei Polizisten stehen am Samstagmittag wenige Meter hinter der Stadtbrücke auf dem Mittelstreifen. Ein Beamter mit Kelle zwingt Autofahrer, maximal im Schritttempo zu passieren. Einige müssen kurz abstoppen, damit er die Insassen genauer anschauen kann. Ab und an winkt der Polizist auch Fahrzeuge heraus. Die müssen über die Bordsteinkante auf den schon zerfahrenen Rasen steuern, wo sich zwei Kollegen die Pässe zeigen lassen und einen Blick in den Kofferraum werfen. Ein Muster ist bei den Stichproben klar zu erkennen: Es trifft Menschen, die nicht dem Bild von einem weißen Europäer entsprechen und darum verdächtigt werden, illegal einzureisen. Nur ein einziges Auto, in dem die Beifahrerin ein muslimisches Kopftuch trägt, kommt unbehelligt durch. Da unterhalten sich die Polizisten gerade und haben die Fahrbahn nicht im Blick. Sie sehen die Frau nicht.
Von der Vorgehensweise sind auch Studierende der Europa-Universität Viadrina von Frankfurt (Oder) betroffen, die in Słubice wohnen. Bei manchen von ihnen komme bei Gesichtskontrollen das Gefühl auf, wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert zu werden, heißt es in einer Erklärung des Allgemeinen Studierenden-Ausschusses (AStA) der Viadrina. Von einem Kommilitonen indischer Herkunft soll mehrfach als einzigem von allen Fahrgästen im Bus verlangt worden sein, dass er seine Dokumente vorzeigt. Er und andere haben wegen der Kontrollen Vorlesungen und Seminare verpasst.
»Für eine Universität, die sich als Europa-Universität bezeichnet, sich für europäisch-internationale Werte einsetzt und dessen internationale Studierende einen Anteil von fast einem Drittel der gesamten Studierendenschaft einnimmt, ist dergleichen nicht hinnehmbar«, rügt AStA-Referent Karl Frenzel. Referentenkollege Gabriel Pietrzyk betont: »Das nahtlose Pendeln war essentiell für unsere pünktliche Teilnahme an Lehrveranstaltungen.«
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!