Diabetes-Risiko: Ungesunde Ernährung jederzeit verfügbar

Moderne Ernährungsgewohnheiten potenzieren das Risiko für einen Typ-2-Diabetes

Nicht nur Fertigpizza, Süßigkeiten und Softdrinks gehören zu den ungesunden Lebensmitteln, auch Tütensuppen sollten eine Notlösung bleiben.
Nicht nur Fertigpizza, Süßigkeiten und Softdrinks gehören zu den ungesunden Lebensmitteln, auch Tütensuppen sollten eine Notlösung bleiben.

Mindestens 8,5 Millionen Menschen in Deutschland haben zurzeit einen gesicherten Typ-2-Diabetes, im Vorjahr wurde mit einer Dunkelziffer von etwa zwei Millionen Fällen gerechnet. Die Stoffwechselerkrankung hat viel mit falscher Ernährung und zu wenig Bewegung zu tun. Insofern ist es naheliegend, dass sich auch die Herbsttagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) mit der Thematik der Ernährung beschäftigt, zumal die Veranstaltung am Ende dieser Woche in Leipzig in diesem Jahr auch in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) stattfindet.

Ein regelrechtes Einfallstor für ungesunde Ernährung sind die hoch verarbeiteten Lebensmittel, an die sich die meisten Menschen in den vergangenen Jahrzehnten durchaus gewöhnt haben. Dazu forscht Anja Bosy-Westphal an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Die Ernährungsmedizinerin weist darauf hin, dass Fastfood oder Fertigprodukte zum modernen Lebensstil gehören: »Sie haben unsere Lebensweise stark verändert, sind attraktiv, weil lange haltbar und zu jeder Tageszeit verfügbar.« Mit diesen Produkten wurden traditionelle Ernährungsweisen überall verdrängt. »Sie haben dazu beigetragen, dass sehr viel unregelmäßig gegessen wird, teils bis in den späten Abend hinein.«

Das bequeme Essen mit einer riesigen Vielfalt von Angeboten dieser Lebensmittel birgt aber auch Probleme. »Entscheidend sind die hohe Kalorienaufnahme und die allgemeine Verfügbarkeit.« Zudem regten die meisten der Produkte nicht zum Kauen an. Es werde also schnell gegessen, das Sättigungsgefühl komme erst später, wenn schon zu viel Kalorien aufgenommen wurden. Die herstellende Industrie setzt zudem auf unwiderstehliche Kombinationen aus Fett, Zucker, auch Salz und eben die schnell verfügbaren Kalorien. Kein Wunder, dass sich die Snacks verschiedenster Sorten höchster Beliebtheit erfreuen. Laut Bosy-Westphal spricht die Zusammensetzung das Belohnungssystem im Gehirn an und sorgt so dafür, dass süße und zugleich fetthaltige Nahrung auf Dauer bevorzugt wird. Mittelfristig, so warnt die Ernährungswissenschaftlerin, beeinträchtige eine solche Ernährung die Kontrolle des Appetits und es komme zu Stoffwechselstörungen, darunter zu einer Unempfindlichkeit gegenüber den Hormonen Insulin und Leptin sowie zu chronischen Entzündungen. Aber die biologischen Zusammenhänge würden erst langsam verstanden.

Indessen sind die Folgen auch in Deutschland nicht mehr zu übersehen: Über 50 Prozent der Erwachsenen haben Übergewicht, jeder fünfte sogar Adipositas, also eine krankhafte Fettleibigkeit. Schon bei Kindern und Jugendlichen sind die Werte mit rund zehn und sechs Prozent erschreckend hoch. Bei den genannten Gruppen ist der Pfad in Richtung eines Typ-2-Diabetes bereits eingeschlagen, und es fällt vielen Betroffenen schwer, ihn aus eigener Kraft wieder zu verlassen. Insofern wünschen sich Ernährungsmediziner und Diabetologen einen gesellschaftlichen Diskurs dazu, welche Unterstützung es hier geben muss – angefangen zum Beispiel bei Werbebeschränkungen.

Bei diesem Thema hat sich in den vergangenen Monaten durchaus etwas getan, und zwar dank Cem Özdemir von den Grünen, der in der Bundesregierung das Ressort Ernährung und Landwirtschaft verantwortet. Der Minister habe Pläne für Werbebeschränkungen vorgelegt, die heftigen Widerstand seitens der Lebensmittel- und Werbeindustrie auslösten, berichtet Barbara Bitzer. Sie ist Geschäftsführerin der DDG und Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (Dank), eines Bündnisses von medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Verbänden und Forschungseinrichtungen. Laut Bitzer zeigte sich der Minister gesprächsbereit, ein politischer Konsens ist aber noch nicht hergestellt. Werbung, so die Pharmazeutin mit Industrieerfahrung, solle durchaus weiter zugelassen bleiben – aber für »ausgewogene« Produkte. Beschränkungen würde es nach den Plänen Özdemirs nur für ungesunde Produkte geben.

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Nötig scheint das: Denn Kinder unter 14 Jahren bekommen nach einer Studie von 2021 im Durchschnitt 15-mal täglich Werbung für Süßigkeiten, Softdrinks oder andere ungesunde Lebensmittel gezeigt. Wird die gesamte Lebensmittelwerbung für Kinder betrachtet, gelten 92 Prozent ungesunden Produkten. Zur Debatte stehen mit Özdemirs Vorschlägen drei Maßnahmen, darunter eine Uhrzeitenregelung, wonach im Fernsehen täglich von sechs bis 23 Uhr keine Reklame für ungesunde Produkte gemacht werden darf. Zusätzlich sollten Influencer im Internet auf allen Kanälen nur noch gesunde Produkte bewerben. Vorgesehen ist ebenfalls eine Bannmeile für Plakatwerbung in der Nähe von Schulen und Kitas.

Solche Beschränkungen wären laut Dank-Sprecherin Bitzer nur eine erste Maßnahme, es sollte aber nicht dabei bleiben. Selbst mit vielleicht industriefreundlichen Nachbesserungen wäre ein solches Gesetz aber noch äußerst wirksam. Dies belegten Erfahrungen unter anderem aus Chile, Portugal und Großbritannien. Die Werberegulierung wurde teils durch bessere Kennzeichnungen und Warnhinweise auf den Produkten ergänzt.

Zusätzlich müsse aber auch weiterhin individuelle Unterstützung dabei geleistet werden, mit einer Ernährungsberatung Patienten vor allem mit einem »frischen« Typ-2-Diabetes bei der Remission ihrer Erkrankung zu begleiten. Das ist durchaus möglich, aber es funktioniert nicht für alle gleich. Vor allem geht es hier um eine Gewichtsreduzierung, eine Sache, die leichter klingt, als sie ist. Diana Rubin, Chefärztin des Zentrums für Ernährungsmedizin und Diabetologie an Berliner Vivantes-Kliniken, hält hier die Hilfe etwa von Diätassistenten für unverzichtbar. Wichtig für Menschen mit Diabetesrisiko sei es, nach erfolgreichem Abnehmen das erreichte Gewicht auch zu halten. Sie würden mit einer besseren Lebensqualität belohnt.

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