1. FC Union Berlin: Das böse Erwachen aus einem Wunschtraum

Nach dem Ende der erfolgreichsten Ära der Vereinsgeschichte mit Trainer Urs Fischer ist Union im Schockzustand

Trainer Urs Fischer und der 1. FC Union Berlin gehen fortan getrennte Wege.
Trainer Urs Fischer und der 1. FC Union Berlin gehen fortan getrennte Wege.

Dem Schrecken ohne Ende folgte das Ende mit Schrecken: Am Mittwochvormittag gab der 1. FC Union die einvernehmliche Trennung von seinem Trainer Urs Fischer bekannt. Die Nachricht kam überraschend. Denn trotz der enorm großen sportlichen Krise der Köpenicker Fußballer erfuhr der Erfolgscoach bis zuletzt eine ebenso erstaunlich große und bedingungslose Rückendeckung. Und das nicht nur von den Fans, sondern auch vom Verein. Der Einzige, der diesen Schritt in den vergangenen Wochen öffentlich in Erwägung gezogen hatte, war Fischer selbst. Wenn er merke, dass er die Mannschaft nicht mehr erreiche und erfolgreich führen könne, dann wäre es Zeit für einen Rücktritt. So ist es gekommen.

Als Dirk Zingler am frühen Nachmittag den Presseraum der Alten Försterei betrat, erhellte ein flüchtiges Lächeln zur Begrüßung sein Gesicht. Der Rest war Enttäuschung – und mehr. »Ich hatte Angst vor diesem Tag«, beschrieb Unions Präsident seine Gefühle. Obgleich Zingler gewusst habe, dass dieser Tag der Trennung kommen werde. »Wir hatten schon einen Termin dafür vereinbart«, sagte er. Nun ist die ferne Zukunft plötzlich jetzt schon Realität – und der Verein in einem Schockzustand. Das jähe Ende der erfolgreichsten Ära des 1. FC Union hat alle überrumpelt.

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Von einem »Rücktritt« Fischers wollte Zingler nicht reden, wohl aus Respekt. Denn der Schweizer sei kein Mensch, der vor Problemen weglaufe. »Er ist auch nicht entlassen worden«, erklärte Zingler, der dem Trainer auch weiterhin vertraue und ihn »bis zur letzten Sekunde« unterstützt hätte. Eine »gemeinsame Entscheidung« war es demnach nur dahingehend, dass der Präsident Fischers Entschluss, die Zusammenarbeit zu beenden, zugestimmt hat. »Den Zeitpunkt durfte der Trainer bestimmen.«

Urs Fischer wurde nicht gesehen. Gefallen war die Entscheidung ja auch schon am Montag, nach einem Gespräch mit Zingler. An diesem Donnerstag kommt Fischer noch einmal nach Köpenick zurück – zu einem Abschiedsfrühstück mit der Vereinsführung. Des Trainers letzte Worte übermittelte der Verein per Pressemitteilung: »Die letzten Wochen haben sehr viel Kraft gekostet. Wir haben viel versucht, die Mannschaft hat viel aufgewendet, aber es hat sich nicht in Ergebnissen ausgezahlt. Für das Vertrauen, das ich hier jederzeit gespürt habe, bin ich sehr dankbar. Trotzdem fühlt es sich richtig an, wenn jetzt eine Veränderung passiert: Manchmal hilft einer Mannschaft eben doch ein anderes Gesicht, eine andere Art der Ansprache, um eine Entwicklung auszulösen.«

Schlechter kann es kaum noch werden, tiefer der Fall vorerst auch nicht. Mit zwei Siegen als Spitzenreiter in die Bundesliga-Saison gestartet, ist Union nach neun Niederlagen in Folge in den Keller der Tabelle abgestürzt. Wer den Umschwung vollbringen soll, stand am Mittwoch noch nicht fest. Zusammen mit dem bisherigen Assistenztrainer Sebastian Bönig übernehmen vorerst Unions U19-Coach Marco Grote und Marie-Louise Eta die Mannschaft. Die 32-Jährige ist damit die erste Co-Trainerin in der Geschichte der Bundesliga.

Abgesehen von derlei erforderlichen Sofortmaßnahmen will sich der Verein laut Zingler »Zeit nehmen, das zu verarbeiten«. Vor allem, weil die vergangenen fünf Jahre »so emotional« waren. Und erfolgreich. In insgesamt 224 Pflichtspielen hatte Urs Fischer den 1. FC Union von der 2. Liga bis in die Champions League geführt. Es ging nur bergauf: Aufstieg, die Plätze elf, sieben, fünf und vier in der 1. Liga sowie die europäische Reise in der Conference League, der Europa League und schließlich der Königsklasse. Fischer wurde im Sommer zum »Trainer des Jahres« gewählt, jetzt ist er weg. Es ist das böse Erwachen aus mehr als einem Wunschtraum. Wohl deshalb hatte Zingler auch zuvor schon »Angst vor den Tagen danach«. Gut, dass sich gerade das Länderspielfenster geöffnet hat und der Ligabetrieb pausiert.

»Die Zeit danach beginnt am Montag«, kündigte der Präsident an. Dann beginnt die Vorbereitung auf das Heimspiel gegen den FC Augsburg. Auf einen neuen Cheftrainer muss die Mannschaft, die am Mittwochmorgen über Fischers Abschied informiert wurde, wahrscheinlich etwas länger warten. Man brauche einen sorgfältigen Entscheidungsprozess, sagte Zingler: »Ohne Zeitdruck.«

Die Wahl muss wohlüberlegt sein. Denn der Erfolg trägt nun einmal den Namen Urs Fischer. Einerseits machte er viele Spieler besser. Kevin Behrens beispielsweise: Bevor der kantige Stürmer nach Köpenick kam, hatte er noch nie Erstligafußball gespielt, jetzt ist er Nationalspieler. Eine ähnlich gute und kaum vorhersehbare Entwicklung nahmen aus dem aktuellen Team Abwehrchef Robin Knoche und Mittelfeldstratege Rhani Khedira. Und viele Spieler, die sich bei Union einen Namen gemacht hatten und den Verein mit dem Ziel verließen, sich zu sportlich oder finanziell zu verbessern, fanden das große Glück nie wieder. Denn erst das anspruchsvolle System Fischers ließ Spieler und damit auch den Verein im Erfolg glänzen.

Wie es zum Absturz kam? Dirk Zingler wirkt ratlos. »In den letzten Jahren wussten wir nicht immer, wie wir manches Spiel gewonnen haben. Jetzt wissen wir nicht, wie wir manches Spiel verlieren konnten.« So paradox es klingen mag, vielleicht helfen ja die Fehler von Oliver Ruhnert dem neuen Trainer. Im Gegensatz zu den Vorjahren schlug noch kein einziger Neuzugang in dieser Saison richtig ein. Weil der Manager aber im Sommer, wohl mit dem Blick auf die Champions League, einige Spieler mit höherer individueller Qualität als üblich verpflichtet hat, könnte der neue Coach genau davon profitieren. Im System Fischer funktionierten sie jedenfalls nicht.

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