Film »Rustin«: Kämpfer hinter den Kulissen

Der Film »Rustin« erzählt vom Leben des Aktivisten Bayard Rustin und dem legendären Bürgerrechts-Marsch nach Washington

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Hinter Martin Luther King immer in der zweiten Reihe: Bayard Rustin (Colman Domingo)
Hinter Martin Luther King immer in der zweiten Reihe: Bayard Rustin (Colman Domingo)

Jeder kennt Martin Luther Kings legendäre Rede »I have a dream«, die er am 28. August 1963 beim Bürgerrechts-Marsch auf Washington vor dem Lincoln Memorial hielt. Diese Großdemonstration mit mehr als 250 000 Teilnehmern gilt als eines der bedeutsamsten Ereignisse der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA und als Meilenstein auf dem Weg zum 1964 erlassenen Civil Rights Act, der jede Form rassistischer, sexistischer und religiöser Diskriminierung gesetzlich untersagt.

Weit weniger bekannt ist einer der wichtigsten Organisatoren und Ideengeber dieses »March on Washington for Jobs and Freedom«, wie die monatelang minutiös geplante Großdemonstration hieß, die als bewegungspolitisches Format später auch von der Anti-Vietnam-Kriegsbewegung mehrfach kopiert wurde, um Regierung und Parlament direkt mit dem politischen Massenprotest zu konfrontieren. Der Aktivist Bayard Rustin war einer der wichtigsten Macher dieses damals alle Vorstellungen und Dimensionen bisherigen Protestes sprengenden Bewegungsereignisses. Nun legt der Streaminganbieter Netflix, in dessen Programmgestaltung Geschichte und Politik des Schwarzen Amerika seit Jahren eine wichtige Rolle spielen, mit »Rustin« die erste filmische Annäherung an die Biografie dieses außergewöhnlichen Mannes vor.

Der Film »Rustin« erzählt vor allem von den Wochen der intensiven Vorbereitung dieses Protestereignisses und von den Grabenkämpfen innerhalb der Bürgerrechtsbewegung um die Frage, ob dieser Marsch wirklich Sinn macht. Schließlich war die Sorge groß, dass gar nicht genug Menschen kommen würden oder die Organisatoren keinen friedlichen Ablauf des Ereignisses garantieren könnten und mit der rassistischen Gewalt der damals regelmäßig wild um sich prügelnden Staatsorgane konfrontiert wären.

Friedlicher und passiver Widerstand war für Bayard Rustin, der Ende der 1940er Jahre auch in Indien war, um dort Formen des friedlichen zivilen Protests zu studieren, fester Bestandteil seines politischen Selbstverständnisses. Der 1912 geborene Rustin, der in jungen Jahren Sozialist war, sich später aber immer mehr einem liberalen Bürgerrechtsdiskurs verpflichtet fühlte, bereiste unter anderem auch Ghana, Nigeria und Südafrika, um sich mit den dortigen Formen des politischen Kampfes auseinanderzusetzen. Seine enge Freundschaft mit Martin Luther King (Aml Ameen), mit dem Rustin 1956 den von Rosa Parks mitinitiierten Montgomery Bus Boykott organisiert hatte, erlebte Anfang der 1960er Jahre einen Einbruch. Der offen schwul lebende Rustin wurde von Teilen der Bürgerrechtsbewegung wegen seiner sexuellen Orientierung kaltgestellt.

Davon erzählt der Film sehr ausführlich, der zeigt, wie sehr Bayard Rustin (Colman Domingo) auch immer wieder gegen homophobe Anfeindungen innerhalb der Bürgerrechtsbewegung ankämpfen musste, bis ihn der Marsch auf Washington und seine aktivistische Abgebrühtheit und Erfahrung bei der Organisierung wieder ins Epizentrum des politischen Protestgeschehens katapultierte. So geht es neben dem politischen Kampf auch viel um Rustins Privatleben, um romantisches und sexuelles Begehren und um den queeren Alltag in den frühen 1960er Jahren. Wobei sich Rustins Privatleben oft kaum von seiner Rolle als Macher und Motor des politischen Kampfes gegen Rassismus trennen lässt.

Der Film zeigt die zum Teil hart geführten Diskussionen innerhalb der Bewegung, es geht aber auch um den Protestalltag und um die oft aufwühlenden Treffen des Organisationskomitees, das immer bis spät in die Nacht hinein arbeitete. Der Film zeigt, wie hochnäsig und rassistisch sich Polizeibeamte bei Vorgesprächen mit Bayard Rustin in Washington D.C. verhielten, während die politische Rechte in einem fort versuchte, den Protest schon im Vorfeld zu kriminalisieren und Bayard Rustin und seine sexuelle Orientierung immer wieder zum Gegenstand politischer Kampagnen wurde.

Regisseur George C. Wolfe, der mehr Theaterstücke inszeniert als Filme gedreht hat, erzählt dieses Biopic in knapp zwei Stunden Länge ungemein rasant und äußerst dialogreich. Musikalisch wird der Film begleitet von Jazz-Legende Branford Marsalis, der Titelsong stammt von Lenny Kravitz. Hauptdarsteller Colman Domingo lässt die ganze Obsession, die Hingabe, die Chuzpe und die Verletzlichkeit dieses eigenwilligen Charakters mit unglaublicher Wucht auf der Leinwand lebendig werden.

»Rustin« bringt die 1950er und 1960er Jahre und die damals geführten Kämpfe gegen Rassismus, wie zuletzt auch in dem Spielfilm »Till« (2022), einem globalen Massenpublikum näher und arbeitet dabei eine überaus detailliert inszenierte politische und soziale Zeitgeschichte auf. Für die Erinnerung an Bayard Rustin, der hierzulande kaum bekannt ist, aber als agiler, eigenwilliger, streitbarer und kämpferischer Akteur hinter den Kulissen ungemein viel für den Kampf gegen Rassismus und Homophobie geleistet hat, ist dieser übrigens von Barack und Michelle Obama produzierte Film eine angemessene Würdigung.

»Rustin«, USA 2023, Regie: George C. Wolfe. Mit: Colman Domingo, Aml Ameen, Glynn Turman. 106 Minuten, ab 17.11. auf Netflix verfügbar

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