Berliner Landeshaushalt: Kahlschlag nur zwischen den Zeilen

Berlins Regierungsfraktionen feiern ihren vermeintlich weitsichtigen Haushaltsentwurf

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wir sind die wirklich linke Partei«, gibt Raed Saleh, SPD-Landesvorstand und Fraktionsvorsitzender, noch mit auf den Weg, als die Pressekonferenz schon beendet ist – und wiederholt noch einmal das Mantra, das die beiden Koalitionsfraktionen am Montagvormittag bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfes regelrecht beschworen haben: »Wir verhindern den sozialen Kahlschlag.«

Am Wochenende haben die Fraktionen der CDU und SPD die Haushaltsberatungen für den Doppelhaushalt 2024/25 abgeschlossen. Von den insgesamt 80 Milliarden Euro konnten sie 400 Millionen Euro pro Jahr für eigene Schwerpunkte verteilen. Ein Fokus liegt auf Maßnahmen für den »gesellschaftlichen Zusammenhalt«, denn: »Nichts ist wertvoller als der soziale Frieden in einer Gesellschaft«, sagt Saleh. 105 Millionen Euro stehen bereit, um eine Enquete-Kommission zur Antisemitismus- und Rassismusprävention einzurichten, bestehende Antidiskriminierungsmaßnahmen auszubauen und in Schutz und Stärkung jüdischen Lebens zu investieren.

Für Berlins sozialen Sektor stellen die Fraktionen zusätzliche 41 Millionen Euro zur Verfügung. Die Schwangerenkonfliktberatung wäre damit nicht mehr von Kürzungen bedroht, außerdem sollen die Gelder in die Sanierung des neunten Frauenhauses und in den Assistenzbereich für Menschen mit Behinderung fließen. 42 Millionen Euro stehen außerdem für Einrichtungen der Jugendsozialarbeit bereit.

Eine Politik des öffentlichen Luxus fahren die Regierungsfraktionen aber deshalb noch lange nicht. CDU-Fraktionschef Dirk Stettner betont: »Das ist kein Kahlschlag-Haushalt. Aber damit das auch in zwei Jahren nicht so ist, müssen wir jetzt konsolidieren.« Denn nachdem der Haushalt in Reaktion auf die Pandemie erheblich angewachsen war, müssten nun so langsam wieder »Ausgaben und Einnahmen in ein Gleichgewicht kommen«, so Stettner. »Uns ist klar, dass das kein leichter Weg für Berlin sein wird.«

Das Vorrechnen übernehmen die Finanzexperten der beiden Fraktionen, die Abgeordneten Torsten Schneider (SPD) und Christian Goiny (CDU). Schneider zeigt mit einer Grafik, wie der Landeshaushalt von 2019 auf 2020 um ein Drittel anwuchs und damit den Normalverlauf einer Haushaltsentwicklung weit überschritt. »Da gab es einen fulminanten Sprung durch Kredite und Bundesmittel.« Das seitdem entstandene strukturelle Defizit, also die Haushaltsausgaben, die nicht gedeckt oder refinanziert sind, beziffert er mit aktuell drei Milliarden Euro. Ohne Konsolidierung müsste Berlin entsprechend der Finanzplanung spätestens im Doppelhaushalt 2026/27 einen harten Spareinschnitt verkraften.

Um das zu verhindern, sollen zwei wesentliche Maßnahmen mit dem Haushalt in Kraft treten. Erstens plant die Koalition eine gesetzliche Sperre für Verpflichtungsermächtigungen. Das sind Verträge zwischen dem Land und juristischen Personen, die Finanzierungen über den Doppelhaushalt hinaus für die kommenden Jahre festhalten. Ausnahmen wie etwa bei den Hochschulverträgen müsste es natürlich geben, betont Schneider. Insgesamt brauche es aber eine Debatte um diese langfristigen Zusagen und ein Bekenntnis zum »Jährlichkeitsprinzip«. »Derzeit finden Sie Verpflichtungsermächtigungen an unzähligen Stellen. Das schmälert die Steuerungsmöglichkeiten des Haushaltsgebers.«

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Zweitens setzen die Regierungsfraktionen den Rotstift beim öffentlichen Personal an. Unbesetzte Stellen sollen nicht mehr dazu führen, dass die Bezirke damit pauschale Minderausgaben auflösen können. Dabei handelt es sich um einen beliebten Haushaltstrick: Wenn etwa ein Bezirk die geplanten Ausgaben überschritten hat, konnte er bislang das Defizit über veranschlagte, aber nicht abgerufene Gelder ausgleichen – zum Beispiel mithilfe unbesetzter Stellen. »Wir wollen Menschen bezahlen, nicht Stellen«, sagt Goiny. Diese Praktik soll unterbunden und Anstellungsverfahren beschleunigt werden.

Einsparpotenzial sehen SPD und CDU auch bei der Flächennutzung des Landes. Während die EU sechs Quadratmeter Bürofläche pro Person vorsieht, liegt Berlins Vorgabe bei 15. Der tatsächliche Flächenverbrauch überschreitet den Referenzwert jedoch um 50 bis 100 Prozent. Fördermaßgaben sollen auf die Vor-Corona-Basis zurückgeschraubt und Fachstandards überprüft und angepasst werden. Mögliche Geldreserven und Rücklagen wollen die Regierungsfraktionen anzapfen und damit die Aufnahme von Krediten mit hohen Zinsen vermeiden. Und schließlich planen sie eine Ausweitung der Tourismussteuer auf Geschäftsreisende.

André Schulze, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, blickt skeptisch auf die Konsolidierungspläne. »Sie bleiben vielfach sehr abstrakt und sagen wenig darüber aus, an welcher Stelle konkret Einsparungen vorgesehen sind«, kritisiert er gegenüber »nd«. Wie genau die Förderkulissen etwa angepasst würden, bliebe unklar. Die Sperre für Verpflichtungsermächtigungen bezeichnet er als »bloße Symbolpolitik«. »Es wurden in 2022 für die Jahre ab 2024 nur knapp vier Milliarden Euro der Verpflichtungsermächtigungen in Anspruch genommen«, so Schulze. Wesentliche Verpflichtungsermächtigungen wie in den Bereichen Bauinvestitionen, Hochschul- oder Verkehrsverträge würden ohnehin notwendigerweise weiterbestehen.

Der Finanzexperte der Linksfraktion, Steffen Zillich, hält das Kahlschlag-Risiko noch nicht für gebannt. Der Haushaltsentwurf des Senats sei nur durch die pauschalen Minderausgaben »gedeckt«. Haushaltsposten könnten dementsprechend zur Auflösung der pauschalen Minderausgaben wegfallen, auch nachdem der Haushalt parlamentarisch beschlossen wurde. »Alles im Haushalt steht unter Vorbehalt«, so Zillich zu »nd«. Auf dieser Grundlage ließe sich keine Haushaltsdebatte führen. »Und man bringt damit eine massive Unsicherheit in die Stadt, weil alle um ihre Projekte bangen müssen.« Die geplante Regelung, pauschale Minderausgaben nicht über unbesetzte Stellen aufzulösen, bezeichnet er als »Daumenschrauben«. »So stellt man sicher, dass die pauschalen Minderausgaben ganz gewiss für Einsparungen verwendet werden und nicht, weil einfach ein Projekt ausfällt.« Wo dann genau gespart würde, liege in den Verantwortung der zuständigen Verwaltung und entziehe sich somit der parlamentarischen Kontrolle.

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