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Berlin-Lichtenberg: Die Letzten verlassen den Wohnwagen
Vielen bis zuletzt in der Containersiedlung verbliebenen Menschen fällt der Auszug schwer
»Es ist traurig, es ist ziemlich schwer. Das ist vielleicht kein schöner Anblick hier, aber das war unser Leben.« Eine ehemalige Bewohnerin der Container- und Wohnwagensiedlung im Hönower Wiesenweg in Karlshorst steht mit Tränen in den Augen vor dem Bauzaun, der bis auf einen Ein- und Ausgang die Siedlung umgibt. Hinter ihr steht der gelbe Bus der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), der sie und die übrigen Bewohner*innen in ihr neues Zuhause bringen soll: entweder eine Unterkunft in der Paul-Gesche-Straße in Lichtenberg oder zusammen mit Haustieren in ein Senior*innenwohnheim im Norden Pankows. »Es ist zwar nett in dem Altenheim, aber wir wissen nicht, wie lange wir dort bleiben können«, so die Bewohnerin am Dienstag, dem Tag, an dem ihr Zuhause das letzte Mal für sie zugänglich war, zu »nd«.
Der Bezirk Lichtenberg kündigte vor einer Woche an, dass die Wohnnutzung des Grundstücks im Hönower Wiesenweg am Dienstag beendet würde. Dort vermietet seit Jahren der Eigentümer der Fläche Container und Wohnwagen. Da es sich rechtlich aber um eine Gewerbefläche handelt, auf der eine Wohnnutzung illegal ist, versuchte der Bezirk schon lange, die Vermietung dort zu unterbinden. Schließlich kappte Stromnetz Berlin Ende September aufgrund von Zählermanipulation die Stromversorgung. Nun müssen die noch verbliebenen Bewohner*innen, die sich noch mit Feuertonnen und benzinbetriebenen Generatoren versorgt hatten, endgültig gehen. Grund dafür sei die hohe Brandgefahr, so Bezirksbürgermeister Martin Schaefer (CDU).
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Am Dienstagmorgen steht deshalb die Bauaufsicht bereits früh im Hönower Wiesenweg und beginnt zusammen mit einem privaten Schlüsseldienst, die Schlösser der Container und Wohnwagen auszutauschen – egal, ob die entsprechenden Bewohner*innen gerade vor Ort sind oder nicht. Auch Polizist*innen sind zwischenzeitlich dabei. Grund dafür sei eine Gefährdungslage gewesen, sagt Schaefer, der seit dem späten Vormittag ebenfalls vor Ort ist, zu »nd«. Anscheinend habe einer der Bewohner*innen die Bezirksamtsmitarbeiter*innen bedroht und gesagt, er habe eine Waffe. Diese konnte aber im Anschluss nicht von der Polizei aufgefunden werden.
Die etwa 15 Bewohner*innen, die sich am Dienstag noch in der Siedlung befinden, sind wütend über den Verlust ihres Zuhauses. »Scheiß Kapitalistenpack«, schimpft einer von ihnen. Eine andere Bewohnerin sagt, dass das Neubaugebiet »Parkstadt Karlshorst« direkt gegenüber der Grund sei, warum die Containersiedlung gehen müsse.
Vielen ist es nicht recht, ihr Zuhause zu verlassen, ohne ihr Hab und Gut mitnehmen zu können. Laut Bauaufsicht können zwar alle später Termine ausmachen, um ihre verbliebenen Sachen abzuholen, aber dem trauen die Bewohner*innen nicht. Trotzdem: Nach und nach packen die meisten der Verbliebenen so viel wie möglich ihrer Habseligkeiten zusammen, darunter etwa Kühlschränke, Generatoren und Bildschirme, und begeben sich in Richtung des Busses, der sie in die Unterkünfte fahren soll.
Schon am Montag wurden viele Bewohner*innen per Bus in die beiden Unterkünfte in Lichtenberg und Pankow gebracht. Insgesamt seien es etwa 50 Menschen gewesen, so Schaefer. Bis zum Dienstagnachmittag habe man schließlich auch alle noch verbliebenen Bewohner*innen überzeugen können, die Wohnwagen- und Containersiedlung »friedlich« zu verlassen, sagt Schaefer gegen 16.30 Uhr zu »nd«. »Die letzten zwei bis drei Leute packen noch zusammen und verlassen jetzt auch das Grundstück«, so der Bezirksbürgermeister.
Um 17.40 Uhr erklärt das Bezirksamt Lichtenberg den Einsatz im Hönower Wiesenweg für beendet, alle Bewohner*innen seien »freiwillig« gegangen. »Das Grundstück ist jetzt abgesperrt und verschlossen«, so das Bezirksamt.
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