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Gesine Lötzsch: Wagenknecht-Flügel nicht allein verantwortlich
Die Linke-Politikerin über die Folgen der Spaltung der Partei Die Linke und die Lehren daraus
Frau Lötzsch, war der Augsburger Parteitag vor einer Woche das Signal für einen Neuanfang, das viele in ihm sehen?
Ich finde es wichtig, dass eine Partei Optimismus ausstrahlt. Aber ich finde, wir dürfen die Bereitschaft, aus der Geschichte zu lernen, nicht vergessen. Und die ist augenscheinlich gering. Schon zu DDR-Zeiten hieß es immer: keine Fehlerdiskussion, wir schauen nach vorn. Aber die Ergebnisse sind ja davon nicht besser geworden. Und ich finde, wir müssen schon zurückschauen: Bis zu welchem Punkt hätte man die Spaltung verhindern können und wie? Denn die Schwächung der Partei sowohl in den Umfragen als auch in ihrer Präsenz im Bundestag ist ja politisch dramatisch. Die Fraktion Die Linke wird in zehn Tagen nicht mehr existieren.
Was bedeutet das ganz akut?
Wir merken jetzt schon, dass unser sowieso geringer Einfluss immer kleiner wird. Wir können nur noch in der kommenden Sitzungswoche Initiativen ergreifen. Wir können, was für uns ein wichtiges Mittel war, keine Aktuellen Stunden mehr beantragen zu ganz konkreten Themen wie zum Beispiel im Sommer zur Situation der streikenden Kollegen beim Windkraftanlagenbauer Vestas. Und die Gruppe, die wir werden wollen, sind wir noch lange nicht. Also: Neumitglieder sind toll, aber entscheidend ist, dass wir die Menschen als Wähler für uns gewinnen, und da haben wir noch viel zu tun.
Gesine Lötzsch ist seit 2002 Bundestagsabgeordnete. In ihrem Berliner Wahlkreis gewann sie sechsmal in Folge das Direktmandat. Von 2002 bis zur vorgezogenen Neuwahl 2005 waren sie und Petra Pau die einzigen Abgeordneten der PDS, da die Partei mit einem Ergebnis von nur vier Prozent den Wiedereinzug ins Parlament verpasste. Lötzsch ist stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion und deren langjährige haushaltspolitische Sprecherin. Von 1991 bis 2002 war sie für die PDS Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, von 2010 bis 2012 zusammen mit Klaus Ernst Linke-Bundesvorsitzende.
Bis zu welchem Zeitpunkt hätte denn der Linke-Vorstand den Austritt der Leute um Wagenknecht verhindern können und wie?
Der Vorstand hat die Aufgabe, die Partei zusammenzuhalten. Und das ist nicht gelungen, um es freundlich auszudrücken. Ein entscheidender Punkt war für mich die Nichtunterstützung der großen Friedensdemonstration am 25. Februar. Dabei hatten den Aufruf dazu drei unserer Bundespräsidenten-Kandidaten unterschrieben: Christoph Butterwegge, Gerhard Trabert und Luc Jochimsen. Das waren ja Leute, die quasi aus dem Herzen der Linken kamen, ebenso wie Gregor Gysi. Und trotzdem wurde er offiziell von der Partei nicht unterstützt. Stattdessen wies man immer auf die vermeintlich unzureichende Abgrenzung nach rechts hin. Das war eine verpasste Chance für uns, und viele haben sich an diesem Punkt von der Linken abgewandt.
Für diesen Samstag ruft ein breites Bündnis bundesweit zu einer Friedensdemonstration auf, dieses Mal mobilisiert auch Die Linke – mit einem eigenen Aufruf …
Den Bündnisaufruf haben Gregor Gysi, Dietmar Bartsch, Sören Pellmann aus dem Bundestag, die Europaabgeordnete Özlem Demirel und viele andere Linke-Mitglieder unterschrieben. Insofern hätte ich gedacht, dass es nicht noch einen Extra-Aufruf braucht. Andererseits schadet es natürlich nicht, wenn von vielen Seiten unterstützt wird. Gerade wenn es um den Frieden geht, muss man das größtmögliche Spektrum ansprechen, wobei es natürlich ganz wichtig ist zu sagen: Man demonstriert nicht mit Nazis zusammen.
Die Parteivorsitzenden haben versichert, immer wieder das Gespräch mit Sahra Wagenknecht gesucht zu haben …
Die Frage ist ja: Wie führt man Gespräche? In ganz Europa zerfallen linke Kräfte, das jüngste Beispiel sind die Wahlen in den Niederlanden am Mittwoch: Unsere Schwesterpartei, die Sozialistische Partei der Niederlande, hat sich quasi halbiert. Deswegen wäre es für Die Linke in Deutschland, die auch in Europa eine wichtige Rolle spielt, die Hauptaufgabe gewesen, zusammenzubleiben.
Aber es gab doch von der anderen Seite faktisch keine Bereitschaft zum Dialog. Stattdessen behauptete Sahra Wagenknecht im Halbjahr vor der Bundestagswahl wöchentlich in Talkshows, ihre Partei interessiere sich nicht mehr für die Belange derer, die nicht »auf der Sonnenseite« stünden, wolle »grüner als die Grünen« sein, und das ging nach dem schlechten Wahlergebnis immer so weiter.
Das ist ja völlig richtig. Und es ist eine Tatsache, dass Sahra Wagenknecht und neun weitere Abgeordnete aus der Partei ausgetreten sind und dass wir in der Konsequenz keine Fraktion mehr sind. Ich finde es trotzdem zu einfach zu sagen, Sahra Wagenknecht ist an allem schuld. Wir müssen schauen, wie wir in Zukunft wieder die Linken mehr zusammenbringen. Und wer jetzt sagt, man könne erleichtert sein, schätzt die Situation falsch ein. Denn wir werden schwächer, das merken wir täglich in der politischen Auseinandersetzung im Bundestag. Und ich denke, die anderen Fraktionen werden uns nichts schenken. Das sieht man schon an der Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes im März. Die Streichung der Grundmandatsklausel darin durch die regierenden Fraktionen ist ein eindeutiger Angriff auf unsere Partei. Damit, dass man mit unter fünf Prozent Wahlergebnis bei drei Direktmandaten keine Fraktion mehr bilden darf, überlässt man den Osten außerdem vollständig der AfD. Man sendet die Botschaft aus: Es hat sowieso keinen Zweck, Die Linke zu wählen.
Das gehört zu den widrigen politischen Rahmenbedingungen, für die Die Linke und ihr Vorstand nichts können …
Auch das ist richtig. Aber die anderen Fraktionen werden unsere Möglichkeiten knallhart so einschränken, dass wir nur noch ganz wenig erreichen können. Ich will nur daran erinnern: Während Petra Pau und ich die einzigen linken bzw. PDS-Bundestagsabgeordneten waren, wurden die Hartz-Gesetze und die Zuzahlungen im Gesundheitssystem beschlossen. Wer sagt: Lieber eine Gruppe, die zusammenhält, als eine zerstrittene Fraktion, hat den Ernst der Lage nicht erkannt. Es ist dramatisch, vor allen Dingen dramatisch für unsere Wählerinnen und Wähler. Und nebenbei ist es auch für mich persönlich ein schwerer Schlag. Fraktionslos habe ich meine ersten Erfahrungen im Bundestag gesammelt, und nachdem man so lange gekämpft hat, steht man wieder am Anfang, ebenfalls fraktionslos.
Was müsste die Partei aus Ihrer Sicht tun, um aus diesem Tief rauszukommen?
Wir müssen uns wirklich ehrlich machen und zurückschauen. Wir haben ja in den vergangenen Jahren kontinuierlich verloren. Auch die Abgeordnetenhauswahl in Berlin, insbesondere die Wiederholungswahl, brachte Verluste: Wir sind aus der Landesregierung geflogen, haben unsere Bezirksbürgermeister verloren, haben Stadträte verloren. Und deshalb müssten wir uns ernsthaft damit auseinanderzusetzen, warum Gruppen, deren Interessen wir meinen zu vertreten, sich von uns nicht mehr vertreten fühlen. Wir müssen dafür dorthin gehen, wo die Leute sind und uns deren Vorstellungen, Interessen erst mal anhören, aufnehmen und ihnen nicht gleich nach dem ersten Satz die Welt erklären.
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Viele sprechen davon, dass Die Linke wieder »Kümmererpartei« werden müsse.
Das werden wir nicht schaffen, jedenfalls im Augenblick nicht. In den 90er Jahren in der PDS hatten wir personell völlig andere Voraussetzungen. Da hatten wir viele Leute, die frühzeitig aus dem Berufsleben rausgedrängt worden waren. Die waren gut organisiert, zuverlässig, hochqualifiziert. Heute fehlt es uns in den meisten Regionen an personellen Ressourcen – und an Kontinuität: Wir brauchen Leute, die unabhängig davon, wie sie gerade die aktuelle Politik der Partei finden, bereit sind, über viele Jahre vor Ort für sie Ansprechpartner zu sein und etwas zu tun.
Wie finden Sie das Europawahlprogramm?
Es hat ja über 80 Seiten und enthält natürlich viele wichtige Forderungen. Aber wir sollten mit fünf kurzen, präzise formulierten Forderungen in den Europawahlkampf gehen, weil das Europaparlament für viele Leute so weit weg und gefühlt wirkungslos ist. Wir müssen an konkreten Beispielen erklären, wo dieses Parlament sinnvolle Dinge beschließt bzw. beschlossen hat und was man bisher dort erreicht hat. Und wir müssen klar friedens- und sozialpolitische Schwerpunkte setzen. Es geht darum, dass die Lebensbedingungen der Menschen gesichert werden und Ausbeutung wirksam bekämpft wird.
Mit ihrem Eintreten für eine menschenrechtsbasierte Asylpolitik wird Die Linke auch keine Massen für sich gewinnen können. Sollte sie trotzdem konsequent weiter darauf beharren?
Natürlich, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Nicht zuletzt, weil alles, was man an Geflüchteten »ausprobiert«, irgendwann auch andere Gruppen betrifft. Kürzlich haben die Ministerpräsidenten beschlossen, dass Geflüchtete kein Bargeld mehr bekommen sollen, sondern nur noch eine Bezahlkarte. Wenn sich das in der Praxis durchsetzt, wird man bald sagen: Warum machen wir das eigentlich nicht bei Sozialhilfe- und Bürgergeldempfängern? Unsere Aufgabe muss es sein zu zeigen, dass der Umgang mit Geflüchteten ein Experimentierfeld ist und dass das irgendwann anderen »zustoßen« kann. Dieses Ausspielen der Ärmsten gegen die Armen funktioniert sehr gut, und wir müssen über den Zweck aufklären. Und darüber, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Migration ist und dass wir, wenn wir Waffen exportieren, Geflüchtete »importieren«.
Eine weitere Herausforderung für Die Linke ist die anstehende mindestens teilweise Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin. Womit rechnen Sie dabei?
Man muss mit allem rechnen. Sollten wir eine vollständige Neuwahl in Berlin haben, könnte es sein, dass die Menschen innerhalb weniger Monate mehrfach zu den Wahlurnen gerufen werden, wenn auch die Ampel-Koalition platzt. Die Frage wäre dann: Wer geht da überhaupt hin? Und für unsere Partei ist diese Berlin-Wahl natürlich unter verschiedenen Aspekten wichtig. Gregor Gysi und ich haben die Aufgabe, unsere Direktmandate zu bestätigen, und es wäre natürlich schön, wenn weitere Direktmandate hinzukämen. Aber das hängt auch davon ab, in welchem Umfang die Wahl wiederholt wird. Für uns ist außerdem eine hohe Wahlbeteiligung wichtig, weil das Auswirkungen auf die Zahl der Mandate hat. Wir werden viel Kraft investieren müssen, um den Menschen deutlich zu machen: Ohne linke Stimme im Bundestag wird sich eure soziale Lage verschlechtern.
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