Tausende gegen Kriegstüchtigkeit auf Demo in Berlin

Mehr als 10 000 Menschen auf Demonstration in Berlin. Schulterschluss mit Klimabewegung gefordert

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.

Trotz des nasskalten Wetters versammelten sich am Samstagmittag Tausende Menschen aus ganz Deutschland am Brandenburger Tor in Berlin, um für Abrüstung und Waffenstillstand in der Ukraine und im Nahen Osten zu demonstriert. Die Wahrheit über die Zahl der Teilnehmenden dürfte wie meist zwischen der Angabe der Polizei, die von immerhin 10 000 Teilnehmenden ausging, und jener der Demo-Initiator*innen liegen. Sie sprachen von mehr als 20 000 Demonstrierenden.

Menschen, die schon auf der Demo »Aufstand für Frieden« vor genau neun Monaten dabei gewesen waren, schätzten am Samstag ein, dieses Mal seien deutlich weniger Leute dabei. Am 25. Februar hatte sich die Aufmerksamkeit auf Sahra Wagenknecht konzentriert, die damals noch Mitglied der Linken war, und zusammen mit der Publizistin Alice Schwarzer ein »Manifest für Frieden« samt Demo-Aufruf initiiert hatte, das zahlreiche Prominente aus Wissenschaft, Kultur und Politik unterzeichnet hatten.

Am Samstag redete die seit dem 23. Oktober parteilose Bundestagsabgeordnete gleich zu Beginn der Auftaktkundgebung am Brandenburger Tor und rief zu einem Waffenstillstand in der Ukraine und im Nahen Osten auf. »Die Menschen in der Ukraine brauchen keine Waffen, sondern endlich Frieden, und dafür braucht es Verhandlungen«, rief Wagenknecht unter großem Applaus.

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Mit Blick auf den Nahen Osten bekannte sie sich zur Verantwortung insbesondere der Bundesrepublik, »das Existenzrecht Israels ohne Wenn und Aber zu verteidigen«. Aber diese »verpflichtet uns nicht, die rücksichtslose Kriegsführung der Regierung Netanjahu als Selbstverteidigung schönzureden und zu unterstützen«. Es sei doch »absurd zu glauben, dass Bomben den islamistischen Terror schwächen. Sie stärken ihn«.

Zu den Rednern auf der Abschlusskundgebung, die ebenfalls am Brandenburger Tor stattfand, gehörte Ates Gürpinar, stellvertretender Vorsitzender der Linken. Die Partei hatte ihre Mitglieder und Sympathisanten, anders als im Februar, zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen. Der Parteivorstand hatte das damals mit der unzureichenden Abgrenzung der Initiatorinnen von möglichen Teilnehmenden aus dem AfD-Umfeld begründet und war dafür auch aus der Partei heraus scharf kritisiert worden.

Gürpinar sagte, in allen militärischen Konflikten seien es die armen Menschen, die leiden und sterben, während die Profite der Konzerne steigen. Er rief dazu auf, Kriegsdienstverweigerer aus allen Ländern in Deutschland zu unterstützen. »Das ist die Konsequenz der Zeitenwende – von der Ampel bis ganz nach rechts: Dass Deutschland wieder kriegstüchtig werden soll. Und dass der, der das genauso betont, als beliebtester Politiker Deutschlands umjubelt wird«, sagte der Bundestagsabgeordnete. Zeitenwende, das sei, »wenn du als Gewerkschafter und Linker auf angeblichen Friedensdemos ausgebuht wirst, wenn du für Abrüstung wirbst« – und das bedeute, dass »alles der Haushaltssperre unterliegt – bis auf das Sondervermögen Bundeswehr«.

Früher habe man sich noch geschämt, wenn mit Waffen Geld verdient wurde. Jetzt werde Kriegsgerät »mit Stolz und tonnenweise in einen Konflikt geliefert, der zu einem Atomkrieg eskalieren kann«, so Gürpinar mit Blick auf den Ukraine-Krieg. Hinter diesem und dem in Gaza werde »der Angriffskrieg Erdogans gegen die Kurden nahezu unsichtbar, von den Kriegen im Jemen, in Äthiopien, im Sudan und anderswo ganz zu schweigen«.

Auch der langjährige SPD-Politiker Michael Müller sprach sich dafür aus, Deserteure aus allen Ländern in der Bundesrepublik aufzunehmen. »Nicht diejenigen, die 100 Menschen erschossen haben, sondern die, die sich weigern, einen Menschen zu erschießen, sollten geehrt werden«, rief er.

Müller und Gürpinar sprachen sich auch dezidiert gegen jegliche Zusammenarbeit mit Rechten aus. Da applaudierten nicht alle, und es gab auch einige Zwischenrufe. An der Demonstration hatte auch ein Block der »Freien Linken« teilgenommen, die von Antifaschist*innen als rechtsoffen eingeordnet wird. Zu sehen waren auch Fahnen und Transparente mit der Parole »Ami go Home«, die insbesondere im Umfeld des rechten Magazins »Compact« beliebt ist. Doch diese Banner mussten nach kurzer Zeit auf Druck anderer Demonstrant*innen eingerollt werden.

Zu der Demo am Samstag hatten neben Gruppen der klassischen Friedensbewegung und der Linken auch etliche Gliederungen der großen Gewerkschaften aufgerufen. So waren Mitglieder der IG-Metall und der GEW mit eigenen Transparenten vertreten. Sie forderten eine soziale anstelle der militärische Zeitenwende.

Teilnehmende bedauerten den geringen Anteil junger Menschen auf der Kundgebung. »Es ist schade, dass es keine Koordination mit der Klimabewegung gegeben hat«, sagte ein älterer Mann, der ein Schild mit dem Satz »Krieg ist der größte Klimakiller« trug. Auch Michael Müller, der Vorsitzender der Organisation Naturfreude ist, betonte in seiner Rede, es sei notwendig, Rüstung, Krieg und Klimakrise gemeinsam zu bekämpfen.

Seit Jahren wünschen sich Aktive der Friedensbewegung einen Schulterschluss mit der Klimaschutzbewegung – bislang vergeblich. Nahezu zeitgleich mit dem Beginn der Friedensdemonstration besetzten nur wenige Kilometer entfernt rund 1400 Aktive der Letzten Generation die Straße des 17. Juni und forderten den Ausstieg aus der fossilen Energie bis 2030. Es gab keine Bezugnahmen der Aktionen aufeinander.

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