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Mehrwertsteuer in der Gastronomie: Kulinarische Spaltung
Die Mehrwertsteuer auf Essen wieder auf 19 Prozent anzuheben ist ein ernährungspolitischer Rückschritt, fürchtet Daniel Kofahl
Im Wahlkampf hatte Bundeskanzler Olaf Scholz versprochen, am reduzierten Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie festzuhalten. Nun wurde diese Zusage aufgrund der desolaten Haushaltslage kassiert. Die Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie abzusenken – von 19 auf 7 Prozent –, war zunächst dazu gedacht, die Gastronomie durch die Corona-Pandemie zu bringen. Dem lag die Intention zugrunde, während des Lockdowns und der anschließenden Auflagen an die Gastronomie dem Massensterben von Restaurants, Lokalen und Cafés vorzubeugen.
Nun strauchelte Deutschland nach der Coronakrise direkt in die Folgen des Kriegs in der Ukraine. Dazu kommen wirtschaftliche Herausforderungen, die besonders durch den deutschen Sonderweg in der Energiepolitik verstärkt werden. Die Krise führte in Deutschland zu einer Inflation mit Preissteigerungen in allen alltagsrelevanten Lebensbereichen sowie zu einer wirtschaftlichen Rezession, die sich negativ auf das Konsumklima auswirkt.
Von der Inflation sind Lebensmittel besonders stark betroffen. So stiegen die Preise für Lebensmittel im Vergleich zum Vorjahresmonat weiter massiv an: Brot wurde um 11,1 Prozent teurer, Obst um 10 Prozent, Fisch um 8,2 Prozent, Fleisch um 3,9 Prozent. Nun geraten Gastronomen wieder unter verschärften wirtschaftlichen Druck. Doch nicht nur das. Auch Menschen mit Einkommen im niedrigen oder niedrigen mittleren Bereich werden sukzessive von der gesamtgesellschaftlichen Tischgemeinschaft zwangsexkludiert.
Daniel Kofahl ist Ernährungssoziologe und arbeitet beim Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur (APEK).
Die gesamtgesellschaftliche Tischgemeinschaft meint die möglichst umfassende Teilhabe aller Menschen einer umgrenzten Bevölkerung an der vorherrschenden Ernährungskultur, wobei die Nahrung quantitativ, qualitativ und im weiteren Sinne kulturell angemessen sein sollte. Diese kulinarische Teilhabe wird dadurch ermöglicht, dass die Menschen über ausreichend Möglichkeiten verfügen, sich an der Ernährungskultur zu beteiligen. Das heißt zum Beispiel: Wenn die Mehrheitskultur darin besteht, regelmäßig Fleisch und Gemüse isst, dann sollte es jedem möglich sein, ebenfalls regelmäßig Fleisch und Gemüse zu essen. Wenn die Mehrheitskultur darin besteht, regelmäßig gastronomische Angebote in Anspruch zu nehmen, weil man dort nicht nur schnelles, fertig zubereitetes Essen bekommt, sondern auch an der Gemeinschaft des gastronomischen Erlebnisses sowie an Speisenkreationen teilhat, die man im privaten Bereich gar nicht selbst zuzubereiten vermag, dann sollte es die Möglichkeit zum Gastronomiebesuch geben.
Wenn all dies nicht möglich ist, erleben wir eine stetige Rückkehr in eine gesellschaftliche Ordnung, die ihre Spaltung in Arm und Reich am alltäglichsten, nämlich der unvermeidbaren Nahrungsaufnahme, manifestiert. Was wir gegenwärtig konstatieren, ist das zunehmende Auseinanderdriften der Bevölkerung in Fragen des Alltags. Die Mehrwertsteuer ist schon in ihrer Grundkonstruktion ungerecht, weil sie nicht einkommensabhängig, sondern für alle gleichermaßen erhoben wird, was Menschen mit niedrigen Einkommen besonders hart trifft.
Wird sie nun auch noch wieder für gastronomische Angebote und Lebensmittel angehoben, dann wird dies direkt an die Konsumenten weitergegeben. Die Folge: Es wird noch mehr Junk-Food in der unteren Bevölkerungshälfte geben. Es wird noch öfter an Kindergeburtstagen deutlich werden, welche Familien es sich leisten können, ein reichhaltiges Speisenangebot zu präsentieren und welche Familien kein Geld haben, um auch noch die Freunde ihrer Kinder zu verköstigen.
Es gibt viele Bereiche des Konsums, in denen Steuererhöhungen Sinn ergeben. Auf Essen und Trinken, bei dem jeder das Nützliche mit dem Sinnlichen und Sozialen verbinden kann, sollte die Mehrwertsteuer jedoch so niedrig wie möglich sein. Sieben Prozent waren da nur ein Anfang.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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