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Geschäft mit Berliner Ausländerbehörde: 100 Euro für einen Termin
Private Unternehmen verkaufen Termine bei der Berliner Ausländerbehörde
Wer in Berlin den Aufenthaltstitel verlängern will, muss warten: Das Landesamt für Einwanderung gibt bei Schriftverfahren einen Rückstand von vier Monaten an. Für einen regulären Termin müssten die Antragstellenden sich bis zu sechs Monate lang gedulden.
Wer nicht warten will, braucht Geld. Mehrere Unternehmen bieten einen Buchungsservice an, der Kund*innen innerhalb weniger Tage mit einem Termin bei der Berliner Ausländerbehörde versorgt. Nachdem der »Tagesspiegel« bereits über die fragwürdigen Angebote auf den Internetseiten fastisus.com und appointmentsberlin.com und über weniger offizielle Services etwa in Whatsapp-Gruppen berichtet hatte, liegen »nd« Informationen zu einem weiteren Unternehmen vor: Go Easy Berlin.
Drei Monate war Mina im Sommer auf der Suche nach einem Termin bei der Ausländerbehörde, ihr Studierendenvisum war abgelaufen. »Ich war fast jeden Tag auf der Website, aber es ging leider nicht«, erzählt die Studentin aus dem Iran »nd«. Sie möchte aus Angst vor Nachteilen anonym bleiben.
Für ihr Studium und ihren Job spielte das abgelaufene Visum zwar keine Rolle – der Versuch, einen Termin für die Verlängerung des Aufenthaltstitels zu buchen, zählt mit entsprechendem Beleg als Fiktionsbescheid und stellt sicher, dass Betroffene vor dem tatsächlichen Termin ihren Status nicht verlieren. Doch mit dieser einfachen Bestätigung lassen sich keine Grenzen überqueren, dafür bräuchte es gültige Papiere. »Ich konnte Deutschland für über drei Monate nicht verlassen«, sagt Mina.
Tatsächlich können abgelaufene Papiere noch drastischere Probleme mit sich bringen. Wenn Arbeitgeber den Fiktionsbescheid nicht akzeptieren, kann das zu Jobverlust führen, wer nach Arbeit sucht, hat mit diesem Ersatzpapier schlechte Karten. Sozialleistungsansprüche hängen ebenfalls von einem gültigen Aufenthaltsstatus ab und werden ausgesetzt, solange der Aufenthalt nicht verlängert wurde.
Freunde, die ebenfalls mit der Ausländerbehörde zu tun haben, erzählen Mina von Go Easy Berlin. Das Unternehmen biete Terminbuchungen an – für 100 Euro. »Ich habe morgens um sieben geschrieben, um neun hatte ich eine Antwort, um zwölf die Terminbestätigung«, sagt Mina. »Ich bin nicht stolz darauf, dass ich den Service benutzt habe, aber ich hatte keine andere Möglichkeit.« Rund eine Woche später geht sie zu ihrem Termin und erhält ihr verlängertes Visum.
Go Easy Berlin präsentiert sich online wie ein typisches Start-up-Unternehmen. Es beschreibt sich selbst als »Lebensprojekt, das von zwei Freunden entwickelt wurde: Renan Aoki und Rafael Gouveia«. Die beiden hätten demnach in Brasilien studiert und auf dem Finanzmarkt gearbeitet, bevor es sie nach Berlin zog. Dort entwickeln sie gemeinsam mit anderen Freund*innen die Idee, einen umfassenden Service für Migrant*innen und Tourist*innen auf die Beine zu stellen, der »weit über die herkömmlichen Austauschpakete hinausgehen« sollte. »Dazu gehört auch die Hilfe bei Buchung und Kauf von Flugtickets, Unterkünften, Transport und Deutschkursen, sowie die ständige Betreuung.« So heißt es auf Englisch zur Unternehmensgeschichte.
Zu der ständigen Betreuung gehört auch die Unterstützung bei aufenthaltsrechtlichen Fragen. Auch das lässt sich auf der Website nachlesen: »Go Easy Berlin bietet einen exklusiven Beratungsdienst für Visa an, mit vorheriger Analyse der Unterlagen, Terminplanung für die Beantragung des Visums und Begleitung zum Interview in der Ausländerbehörde.« Dass das Unternehmen Termine bucht, steht dort nicht. Der Unternehmensgründer Renan Aoki antwortet zwar auf nd-Nachfrage, will sich jedoch nicht zitieren lassen.
Dafür bestätigt die Ausländerbehörde gegenüber »nd«: Das Amt habe Terminbuchungen festgestellt, die von Go Easy Berlin kamen. Einen Einfluss auf die Buchungen habe die Erkenntnis, dass es sich hierbei um bezahlte Termine handelte, nicht. »Die Kunden werden regulär bedient«, heißt es in der Antwort. Wie viele Termine das Unternehmen bucht, werde nicht statistisch erfasst.
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Das LEA stellt außerdem klar, dass ihm keine Fälle von Mitarbeiter*innen bekannt seien, die für spezielle Terminvergaben Gegenleistungen erhielten. »Terminbuchungen, auch über Go Easy Berlin, erfolgen ohne Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des LEA direkt über die Online-Terminvereinbarung.« Um zu verhindern, dass das digitale Buchungssystem etwa durch Serienbuchungen missbraucht wird, treffe man laufend technische Maßnahmen »wie etwa Anpassungen im Workflow der Online-Terminvereinbarung«. »Es ist leider festzustellen, dass die getroffenen technischen Maßnahmen nach einiger Zeit wieder überwunden werden.«
Wie die kommerzielle Terminbuchung funktionieren könnte, zeigt eine »Tagesspiegel«-Recherche. Gegenüber der Tageszeitung erklärte ein Mann, wie er ein Programm schrieb, das alle fünf Sekunden die Buchungsseite aktualisiere und bei freien Terminen Alarm schlage. So finde er die Termine schneller als andere und könne sie für seine Kund*innen buchen. Die stellen ihm schon im Vorfeld alle notwendigen Daten wie Name, Geburtstdatum, Passnummer und Anliegen zur Verfügung. Ob Go Easy Berlin dieses oder ein ähnliches Verfahren nutzt, teilt das Unternehmen nicht mit.
Eine aktuelle Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Grünen zeigt, dass auch die zuständige Innenverwaltung nach wie vor keine Antwort auf den Handel mit Terminen hat. »Nach derzeitiger Bewertung besteht keine rechtliche und aktuell auch keine technische Handhabe, derartige Angebote und Terminbuchungen durch diese Anbieter gänzlich auszuschließen«, heißt es in dem Schreiben. Der zentrale IT-Dienstleister des Landes arbeite daran, Terminbuchungen mit Bot-Unterstützung zu verhindern »und erschwert diese auch«.
Was die effiziente Bekämpfung eines Marktes angeht, der mit eigentlich kostenlosen Bürger*innendiensten Geld verdient, macht sich die Innenverwaltung erstaunlich ehrlich: »Das kommerzielle Abgreifen freigegebener Termine (...) wird ins Leere laufen, wenn wieder eine ausreichende Anzahl zeitnaher freier Termine zur Verfügung steht.«
Die Frage ist nur, wann dieser Punkt erreicht sein wird. Der aktuelle Haushaltsentwurf sieht insgesamt 38 zusätzliche Stellen zur Bearbeitung der Fachkräfteeinwanderung vor. Die gesamte Behörde wird von 100 Beschäftigungspositionen verstärkt, von denen aber nur 20 neu dazukommen, die übrigen exisitieren bereits als Ergänzung der fest Angestellten.
Der Flüchtlingsrat Berlin fordert als Adhoc-Maßnahme, auf Abschiebungen zu verzichten und die freigewordenen Kapazitäten in den Terminstau zu stecken. »Es ist natürlich skandalös, dass die aktuelle Praxis beim LEA solche Dinge entstehen lässt, aber dass sich dafür ein Markt entwickelt, ist alles andere als verwunderlich«, sagt Sina Stach vom Flüchtlingsrat. Die existenzielle Bedrohung, ohne gültigen Aufenthaltstitel dazustehen, lasse Betroffene zu teuren Mitteln greifen. »Menschen nehmen sich extra Anwält*innen, um beim LEA einen Termin zu erhalten – das ist am Ende vergleichbar, denn die müssen ja auch bezahlt werden«, so Stach zu »nd«.
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