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Nicht nur blöd einkaufen

Berliner Linksfraktion diskutiert mit Fachleuten über die sinnvolle Nutzung leer stehender Ladenflächen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Linden-Center in Berlin-Hohenschönhausen können Kunden warme Kleidung und Lebensmittel kaufen – und in der dort ebenfalls untergebrachten Anna-Seghers-Bibliothek gibt es herzerwärmende Kinderbücher und geistige Nahrung für Erwachsene. Seit Oktober 1995 ist die Bibliothek dort zu finden. Sie hat 95 000 Medien vorrätig. Zum Bestand gehört auch eine sogenannte Bibliothek der Dinge, in der etwa ein Bollerwagen, ein Stativ oder eine Bohrmaschine ausgeliehen werden können.

Auch die Ingeborg-Drewitz-Bibliothek in Steglitz ist in einem Einkaufszentrum untergebracht. Hier habe der Bezirk die benötigte Fläche in der dritten Etage gekauft, in Höhenschönhausen müsse er »kräftig« Miete zahlen, berichtet Regine Kittler, Landesvorsitzende des Bibliotheksverbands. Auf lange Sicht rechne sich Eigentum. Ungefähr 800 öffentliche Bibliotheken gebe es in der Hauptstadt, berichtet Kittler am Dienstagabend bei einer Veranstaltung der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie nennt die Bibliotheken einen »wichtigen Faktor der Chancengerechtigkeit«, weil sich Einwohner der Stadt unabhängig vom Geldbeutel durch Lesen weiterbilden können. Die Möglichkeit, das aufgegebene Einkaufszentrum Galeries Lafayette in Berlin-Mitte für die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) umzubauen, bezeichnet Kittler als »Jahrhundertchance«.

Kultursenator Joe Chialo (CDU) hat diese Idee in die Debatte gebracht. ZLB-Betriebsdirektor Jonas Fansa kann sich damit anfreunden. »Einziger Wermutstropfen: In der Galeries Lafayette könnte man nicht sämtliche Magazine unterbringen«, sagt er am Dienstagabend. Aber Außenmagazine wären kein ernstes Problem.

Eingeladen hat die Linksfration zum Austausch über »neue Ideen für alte Räume«. Die Abgeordnete Manuela Schmidt erklärt: »Wir haben Räume in dieser Stadt, die veröden, die vereinsamen, die einen Kiez auch runterziehen können.« Andererseits brauche es Platz für Kultur und Soziales. Die Galeries Lafayette könnte eine hervorragende Landesbibliothek werden, ist Schmidt überzeugt. Ein Verkehrswertgutachten der landeseigenen BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH gebe Rückenwind für das Projekt.

Schmidts Fraktionskollegin Katalin Gennburg ergänzt, seit vier Jahren diskutiere man die Krise der Kaufhäuser und den Umgang mit leer stehenden Shoppingcentern. Was könnte der Gegenentwurf zur »kapitalistischen Stadtentwicklung« sein? Wie lassen sich Orte schaffen, an denen man nicht nur »blöd Geld ausgeben« müsse? Diese Fragen möchte Gennburg beantwortet haben. Dazu hat die Linksfraktion Gäste auch aus Bremen und Hamburg eingeladen, die sich an dem Thema schon praktisch versuchten oder es noch immer tun. Gekommen ist Daniel Schnier von der Zwischenzeitzentrale Bremen, die je zur Hälfte kommunale und private Objekte betreut. Es ist ihr seit 2009 auch schon gelungen, Zwischenlösungen in eine dauerhafte Nachnutzung zu überführen. »Wir sind versiert, Leerstände zu aktivieren«, sagt Schnier. Gefördert wird das von der Stadt Bremen. Aber die Zwischenzeitzentrale berät auch andere Kommunen in Deutschland und erhält dafür Bundesmittel.

Marco Hosemann vom Hamburger Zentrum für Zukunft berichtet, was in der Hansestadt mit einem Karstadt-Sport-Kaufhaus und dem gegenüberliegenden Galeria Kaufhof geschah, die seit Oktober 2020 leer standen. Ein Bündnis »Stadtherz« besetzte die Objekte, allerdings nur symbolisch – so etwa mit einer Projektion an der Fassade. Mithilfe einer Stiftung konnten 300 Quadratmeter für Kunst, Kultur und Soziales angemietet werden. Es gab dann beispielsweise jeden Samstag ein Spielecafé, wo auch Hosemann mit seinen »Lütten« hinging, wie er sagt. Doch das Projekt war nicht von Dauer.

Inzwischen sei die Freizeitgestaltung wieder kommerzialisiert, bedauert Hosemann. Kinder und Jugendliche könnten jetzt auf einer Etage ihre Drohnen fliegen lassen, »wenn sie das nötige Kleingeld haben«. Zehn Minuten kosten 15 Euro! »Es werden Dauerlösungen gebraucht und nicht nur Zwischennutzungen«, fasst Hosemann die gesammelten Erfahrungen zusammen. Denn von den Zwischennutzungen profitierten am meisten nur die Eigentümer der Immobilien.

»Wir vom Haus der Statistik verweigern uns dem Terminus Zwischennutzung. Wir kämpfen schon begrifflich um dauerhafte Nutzungen«, erzählt dann auch der in Berlin tätige Konrad Braun. Das Land Berlin kaufte das alte Haus der Statistik 2016 von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Nach 15 Jahren Leerstand wurde der Standort für zunächst 120 000 Euro ertüchtigt. Erst 8000 und dann weitere 4000 Quadratmeter wurden in Betrieb genommen. 80 Initiativen sind vor Ort, die mindestens 50 Jahre bleiben möchten, wie Braun sagt. Das Erdgeschoss musste zwar wieder geräumt werden. Doch es sei Ersatz in Containern geschaffen worden. »Die Nachfrage ist enorm«, versichert Braun. Allein für das Haus 2 haben sich ihm zufolge 300 Interessenten mit einem Raumbedarf von zusammen 50 000 Quadratmetern beworben.

Die Abgeordnete Gennburg erinnert sich, welche schönen Freiräume früher in Berlin für die Kultur besetzt werden konnten. Leere Einkaufszentren gefallen ihr da im Vergleich sehr viel weniger. Aber sie seien die letzte Chance, überhaupt noch an Flächen zu gelangen.

Leerstand gebe es, bestätigt Phillip Haverkamp. Für die Einkaufsmeile Schlossstraße beispielsweise sei ein Leerstand von rund 20 Prozent ermittelt worden, sagt der Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg. Die Situation des Einzelhandels sei schwierig. Das zweite Jahr in Folge fahre die Branche Verluste ein. Sie lebe von Zuversicht und von der Konsumstimmung der Kunden. Doch die Stimmung habe durch Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg gelitten. Dann haben die Eigentümer von Ladenflächen auch noch überzogene Preisvorstellungen. Die geforderten Mieten seien teils durch den Handel nicht mehr zu erwirtschaften, erläutert Haverkamp. Während der Corona-Pandemie hatte der Online-Versandhandel auf Kosten der Geschäfte zugelegt. Doch inzwischen mache auch der Online-Handel Verlust.

Haverkamps Einschätzung nach sind die Betreiber der Einkaufszentren offen für neue Konzepte. Fitnessstudios gebe es dort schon seit der letzten Modernisierungswelle. In Sachen Zwischennutzung habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich nicht jede Fläche für sich rechnen müsse. Hauptsache, sie locke Kunden an. »Der Handel ist abhängig von guten Partnern – und Kultur und Soziales sind sicher gute Partner«, glaubt Haverkamp. Bei einem Mehrwert für den Komplex könnten Flächen für Kultur als Zwischennutzung billiger vermietet werden. Auf lange Sicht müssten die Konzepte aber tragfähig sein oder subventioniert werden.

Mit der gemeinnützigen Kulturraum Berlin gGmbH gibt es in der Hauptstadt seit drei Jahren auch schon einen Ansprechpartner für Zwischennutzungen. Die gGmbH mietete anderthalb Jahre Räume für bildende Kunst im Ringcenter an der Frankfurter Allee. Aber diese Phase sei schon wieder vorbei, bedauert Kulturreferentin Jole Wilcke. Weil das Ringcenter für eine Mischnutzung mit Büros komplett umgebaut wird, sei das Ende absehbar gewesen. Zwischenutzung sei ein schwieriges Thema, findet auch Wilcke. »Eigentlich sollte es eine Dauernutzung sein.«

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