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»As Bestas« im Kino: Das ist unfair
Oder liegt Adorno falsch? Rodrigo Sorogoyens treuherzig klassistischer Thriller »As Bestas – Wie wilde Tiere«
Im Kino ist der Film am schönsten«, mahnt die Pressebetreuung, aber erstens ist Streaming manchmal einfacher, und zweitens hätte der Rezensent im Kino die paar Zufallsminuten Tierfilm verpasst, in denen drei Geparden eine verzweifelt gegen den Tod anrennende Antilope reißen und die mögliche Leerstelle des Veganismus anzeigen: Die Freiheit, die dieser fürs Tier reklamiert, ist ja nicht ohne neoliberalen Akzent.
Da ist die eingehegte Freiheit, mit der die spanisch-französische Produktion »As Bestas – Wie wilde Tiere« beginnt, vielleicht doch verträglicher, denn die galizischen Wildpferde sind gar nicht völlig wild, sondern werden, erfahren wir, geschoren und markiert, wozu sie erst einmal eingefangen werden müssen. Das besorgen Männer, die die Tiere mit den bloßen Armen niederringen; und wenn es besorgt ist, sieht man nur mehr die Nüstern, die sich, den Lebens- als Widerstandstrieb markierend, öffnen und schließen.
Die Szene wird sich im Film wiederholen, wenn der französische Aussteiger Antoine, der sich mit seiner Frau Olga in den Bergen Galiziens den Traum von der kleinen Biolandwirtschaft erfüllt hat, im Schwitzkasten der Brüder Xan und Loren landet, die Antoine hassen, ihm seinen Brunnen vergiftet haben und auch sonst keine Gelegenheit auslassen, ihn als Besatzer und »Franzosen« anzuschwärzen. Antoine ist nämlich Städter, Lehrer und in der Welt herumgekommen, und das ist, wie Xan ihm hinreibt, »unfair, weil du hier seit zwei Jahren den Bauern spielst. Ich lebe hier seit 52 Jahren«, und er hat es sich nicht ausgesucht, ohne Ausbildung, ohne Frau und ohne Chancen in einem sterbenden, von den Jungen verlassenen Dorf von der Hand in den Mund zu leben. Dass Antoine aus linksgrüner Überzeugung gegen den geplanten Windpark und das vermeintlich große Geld gestimmt hat, kann ihm Xan, dessen kulturelles Kapital aus Kleingeld besteht, da nicht verzeihen.
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Es ist dies die größte Szene des Films, ein Kampf mit Worten in einem schlecht beleuchteten Dorfgasthaus. Xan ist nämlich eigentlich der Böse. Er ist es vorher, und er ist es später erst recht, die Personifikation von Neid, Hass und Gewaltbereitschaft; aber hier ist er bloß ein eingeborener Verlierer, der sich, und zwar nicht ohne intellektuelle Würde, gegen den hereingeschneiten Anywhere behauptet, der allerdings seinerseits nicht wegkann, weil seine gesamten Ersparnisse in dem stecken, was für ihn längst Heimat ist. (Für die sich aufdrängende zeitgeschichtliche Allegorik kann der Film nichts, aber sie schadet ihm auch nicht.)
Aber es ist dann wohl doch ein Unterschied, ob jemand der Welt mit Absicht den Rücken kehrt oder ob er mit dem Rücken zu ihr geboren ist, und es ist die Schwäche eines fesselnden, formal eigentlich trittsicheren Films, dass ihn das nach der zentralen Szene nicht mehr interessiert. Das Bild des niedergerungenen, nach Luft schnappenden Antoine ist nämlich eine Inversion, denn die »wilden Tiere«, die Bestien, sind und bleiben Xan und Loren, die den Geist und die Vernunft zu Boden zwingen: die Rache der Natur an der Aufklärung, die so ihrerseits zu einem Naturphänomen wird, zu etwas ohne gesellschaftliche Bedingung.
Faschismus, wissen wir, ist die Rache der Dummheit am Intellekt; aber wer ist dumm, und wer ist es warum nicht? Das Rededuell zwischen Xan und Antoine verhandelt das noch, bevor »As Bestas«, bei aller stillen Nüchternheit, wieder Partei nimmt – und wie auch nicht, denn Bosheit bleibt Bosheit, und wer immer mit dem Film zu tun hat, ob hinter der Kamera oder vor der Leinwand, ist wie Antoine.
Niemand ist wie Xan, der mit seinem dummen Bruder und der bösen Mutter im Nichts verschimmelt und nie Frau und Kind haben wird, weil er »nach Scheiße riecht«. Dagegen ist Antoine nicht mal ein unsympathischer Bio-Hipster, sondern das Inbild eines Mannes, der seine Ruhe will und das Richtige tut: Der liebende Ehemann, gute Vater und Großvater, der unbezahlt die verfallenden Häuser repariert, um das Dorf zu retten, ist das Gute selbst, das gegen das Böse keine Chance hat. So einfach ist das; aber wenn das so einfach ist, dann ist das, was ist, alles. Dass »As Bestas« mit Preisen zugeschüttet wurde, bedeutet da nichts Gutes.
Wer Spaß an Dialektik hat, mag finden, es spreche für den (faszinierend dreisprachigen) Film von Rodrigo Sorogoyen, dass einem das alles erst beim Abspann klar wird, nachdem der identifikatorische Bann sich gelöst hat, der dafür einstand, dass Dummheit, gegen Adornos Wort, eben doch eine Naturqualität ist. Die Geschichte, lässt sich nachlesen, hat ein reales Vorbild, aber was heißt das: dass die Welt nicht gut werden kann, weil das Böse immer dagegen ist? Und lehrt ein Blick in die Fernsehnachrichten nicht, dass es stimmt?
Um Schiller zu variieren: Ernst ist das Leben, weiter ist die Kunst, denn wenn Kunst bloß das Leben kopiert, brauchen wir sie nicht. Es ist in diesem Fall eine außerordentlich schöne Kopie, und gut lässt sich in der zweiten Filmhälfte die karge, der Landschaft gleichsam abgeschaute Stärke Olgas bewundern, die aus einem Roman von Marlen Haushofer herausgeschnitten scheint. Aber am Ende dieses intellektuellen Suggestions- und Überwältigungskinos siegt die eine Gerechtigkeit, und die andere Gerechtigkeit ist desavouiert; und dass das rezensierende Bürgerkind vegetativ dafür ist, ist das nicht eben das Problem?
»As Bestas – Wie wilde Tiere«, Frankreich/Spanien 2022. Regie: Rodrigo Sorogoyen; Buch: Isabel Peña, Rodrigo Sorogoyen. Mit: Denis Ménochet, Marina Foïs, Luis Zahera. 139 Min. Kinostart: 7. Dezember.
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