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Lausitz-Festival: Importierter Glücksbeschleuniger
Die Auseinandersetzungen um das 2019 implantierte Lausitz-Festival wollen nicht verstummen
Es liegt nicht am frühen Winter, dass weiterhin Frost herrscht im Verhältnis der Organisatoren des Lausitz-Festivals zu vielen Kulturakteuren in der Region. Schon im Gründungsjahr 2019 gab es Animositäten zwischen den Machern und den Initiativen vor Ort, die bis heute eher zugenommen haben.
Seit dem beschlossenen Kohleausstieg lässt sich der Name »Lausitz« nicht mehr ohne den Begriff »Strukturwandel« denken. Von den im Strukturstärkungsgesetz des Bundes 2020 beschlossenen 40 Milliarden Euro für Kohleregionen landet in der brandenburgisch-sächsischen Lausitz etwa ein Viertel. Aber ein Mentalitätsstärkungsgesetz zur Bewältigung dieser Umstellung bei einem voraussichtlichen Verlust von knapp 9 000 Arbeitsplätzen wurde nicht beschlossen. Den Kitt und den Halt und die Moral in dieser Phase der Verunsicherung soll wieder einmal die Kultur liefern. Und so wurde 2019 ohne großen Vorlauf ein opulent ausgestattetes Festival in der Problemregion installiert. Bis heute fallen Begriffe wie »Sturzgeburt« und »Ufo«.
Bis heute hält sich auch die Wendung von der »Hamburg-Connection«. Zum Beispiel bei Musikern der Neuen Lausitzer Philharmonie, dem einzig verbliebenen Orchester im sächsischen Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien. Denn die beiden ehemaligen Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs (SPD) und Rüdiger Kruse (CDU), als Förderer Hamburger Kultur profiliert, kümmern sich auch um die darbende Lausitz. Und so gab es vier Millionen Euro Etat vom Bundeskulturministerium für das neue Festival. Die Hamburg-Förderung aber lief weiter, denn die Symphoniker Hamburg, neben den Philharmonikern und der NDR Elbphilharmonie das dritte große Sinfonieorchester der Hansestadt, erhielten sozusagen ein Auftrittsabonnement in der Lausitz. Ihr seit 2004 amtierender Intendant und Alleinvorstand Daniel Kühnel übernahm zugleich das anfangs noch namenlose Lausitz-Festival. Er brachte Vertraute seiner Hamburger Festivals mit wie die Pianistin Martha Argerich und den Cellisten Mischa Maisky – Weltstars, die man sich in der armen Lausitz kaum hätte leisten können.
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Kehrt sich damit eine Entwicklung in der Region der gescheiterten Festivals um? Vom grenzüberschreitenden Europera-Projekt oder vom Dreiklang-Musikfestival spricht schon niemand mehr, das Schlesische Musikfest versucht seit 2020 ein Comeback und der alle zwei Jahre stattfindende Lausitzer Musiksommer hat sich nicht zum erhofften Magneten entwickelt. In dem sprichwörtlich armen und mit überdurchschnittlichen Sozialausgaben belasteten Landkreis Görlitz kämpfen Kulturinstitutionen ums Überleben. Das Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau-Görlitz, zu dem auch die Neue Lausitzer Philharmonie gehört, stand in diesem Jahr vor der Insolvenz. Ohne erhöhte Zuschüsse waren die Tarif- und Energiekostensteigerungen nicht zu stemmen.
Dennoch hält sich hartnäckig eine gewachsene Szene. Es gibt 49 kleinere Kunstfestivals an der Neiße und in der Oberlausitz, zum Beispiel das vielgestaltige, über den ganzen Sommer laufende Festival »1000 & Deine Sicht« im Dreiländereck. Hans Narva vom Musikfestival »Kommen & Gehen« auf den Spuren des alten Lausitzer Sechsstädtebundes hatte im Vorjahr sogar schon seinen Frieden mit dem Lausitz-Festival gemacht. Man komme sich nicht in die Quere, jeder mache seins, nur die Plakatierungskapazitäten seien vom reichen Festival besetzt. Im Herbst 2021 wurde im prächtigen Jugendstiltheater Cottbus mit viel Getöse ein »Kulturplan Lausitz« vorgestellt, der eher Vorhandenes bündelte, als dass er etwas plante. Die Sorben, das sich tapfer gegen eine totale Assimilation wehrende slawische Völkchen, freuten sich, das sie darin vorkamen – anders als beim Lausitz-Festival.
Mittlerweile redet niemand mehr vom Kulturplan Lausitz, nur noch von dem Festival, mit dem so viele fremdeln. Im Regionalstudio Bautzen des MDR wird von Intendant Kühnel als dem »bestgehassten Mann der Region« gesprochen. Was so allein schon deshalb nicht stimmen kann, weil er hier nicht wohnt und nur zur Organisation der zweieinhalb Festivalwochen Ende August von Norden her einpendelt. »Er sitzt eben nicht in der Kneipe und redet mit Eingeborenen oder hiesigen Künstlern«, heißt es in Theaterkreisen. Auf diese horizontale Komponente legt man in einer Krisenregion, die noch stark vom Zusammenhalt aus DDR-Zeiten geprägt ist, starken Wert.
Die seit der Konstituierung als brandenburgisch-sächsische Festival-GmbH im April erneut auflodernde Kritik am Festival fokussiert sich sehr auf den Intendanten. Eigentlich sollte der künstlerische Beirat ein Vorschlagsrecht haben, aber handstreichartig hat ihn der Aufsichtsrat im August für weitere fünf Jahre zum Intendanten bestellt. Daniel Kühnel ist zweifellos ein von den Künsten bis zur Philosophie gebildeter, belesener und kenntnisreicher Mann. Auf der Pressekonferenz Ende November in Görlitz, die eigentlich der Vorstellung von künftigen Festival-Leitlinien dienen sollte, extemporierte er lange über das Andere und die Andersartigen. Gefragt, ob er dieses Gedankengebilde auch auf seine Kritiker in der Region anwende, fällt die Antwort dünn aus: »Wir haben immer schon mit allen, die da sind, gesprochen.«
Genau das bezweifeln jene, »die da sind«. Von monatelangen vergeblichen Kontaktversuchen berichten einige. Seit September kursiert vor allem in Cottbus und der Niederlausitz ein Arbeitspapier »Für ein echtes Lausitz-Festival«, dem sich beispielsweise auch der Sächsische Musikrat angeschlossen hat. »Die gewünschte Transformationskraft, die Kunst in der Region entfalten soll, wurde nicht in den Lausitzer Strukturen verankert, obwohl die Idee des Lausitz-Festivals das Potenzial hätte«, kritisieren die Verfasser um den ehemaligen Veranstalter des Cottbuser Filmfestes Jörg Ackermann. Die durch ihre kundigen Hoyerswerda-Beschreibungen bekannt gewordene Autorin und Filmemacherin Grit Lemke hat den Beirat verlassen, obschon sie die bereichernde Absicht des Festivals eigentlich begrüßt. Man habe keine Möglichkeit der Mitwirkung, es herrsche ein »rüder Umgangston« mit Kritikern. »Das ist eher so eine ZK-Atmosphäre. Die Sitzungen laufen so ab, dass der Intendant das Programm verkündet, dann loben ihn alle und heben die Hand«, ärgert sich Lemke. Intendant Kühnel weist das zurück, noch nie sei ein Vorschlag einfach ignoriert worden. Der künstlerische Beirat wird von den Kulturministerien Brandenburgs und Sachsens berufen, in ihm sitzen überwiegend Kulturfunktionäre.
Daniel Kühnel hat das Problem begriffen, kann aber nicht heraus aus dem Kreidekreis seiner Ambitionen. Seine Äußerung auf der Hoyerswerdaer Ideenkonferenz Ende März 2019 vor der Festival-Premiere wird meist verkürzt wiedergegeben. »Wir knipsen damit das Licht an, gucken, wer im Raum ist und was man gemeinsam tun kann«, sagte er durchaus einladend. Hört man ihm heute zu, ist aber Distanz zu spüren, nicht unbedingt die Liebe zur Lausitz, die manche dort erwarten. »Ich bin nicht angetreten, um dem Vorhandenen zusätzliche Bühnen zu geben«, äußert er eher beiläufig. In der Region sieht er gar seit den »Reden an die deutsche Nation« des in Rammenau geborenen Johann Gottlieb Fichte vor 225 Jahren eine antisemitische Stimmung. Die in Weimar lehrende Professorin Christiane Voss, die die kulturphilosophischen Kolloquien des Festivals moderiert, hatte brieflich nicht nur die Kritiker des Festivals zerpflückt, sondern einem »Taz«-Journalisten auch Antisemitismus unterstellt, weil dieser die Geburt Kühnels 1973 in Jerusalem erwähnt hat.
Ein Indiz mehr für eine vergiftete Atmosphäre, die viel mit latenten Ost-West-Animositäten zu tun hat. Warum zeigen sich die Lausitzer Ossis so undankbar für ein mit manchen Ködern gespicktes Festival, bei dem Geld in der Lausitz-Kultur erstmals keine Rolle spielt? Das weckt Neidgefühle. Daniel Kühnel hat sein Festivalangebot nach einem bescheidenen Anfang zu einem anspruchsvollen Mehrspartenprogramm ausgebaut und äußert zumindest verbal guten Willen, hiesige Künstler einzubeziehen. Doch die Eingeborenen stimmen mit den Füßen ab. Nur 5000 bis 7000 Menschen besuchen die teils in Industriebrachen gelegenen Spielstätten, und da sind Besucher der Highlights aus Berlin oder Dresden schon einbezogen. Jedes Ticket wird mit durchschnittlich fast 900 Euro subventioniert.
Das war auch Thema am vergangenen Mittwoch bei einer öffentlichen Anhörung im Kulturausschuss des Brandenburger Landtags. Daniel Kühnel trug vor, es sei normal, das ein neues Festival erst einmal Anlaufschwierigkeiten habe, nun aber müsse es wachsen und gedeihen – »und das freudig zuzulassen, das muss gelingen!« Seinen Kritikern hielt er entgegen, es sei falsch von einer »Opfer-Lausitz« zu sprechen, »denn ein Unterdrücker entfällt, es gibt ihn nicht«. Grit Lemke antwortete ihm: »Wenn man davon spricht, dass die Lausitz dunkel ist, sieht man auch nicht das, was strahlt.« Ein Grundgesetz des Kuratierens von Kulturveranstaltungen laute: sich selbst zu kennen, heiße, sein Publikum zu kennen. Das könne von diesem Festival nicht behauptet werden. Lemkes entscheidende Frage, warum der Beirat nicht wie in den Statuten vorgesehen über den Abschluss des neuen Intendantenvertrags für Kühnel abstimmen durfte, konnten die Festivalvertreter nicht beantworten. Und die Vertreter der Landesregierung ebenso wenig, sie wollen sich keine Blöße geben.
Die mangelnde Resonanz des Festivals könnte mit der generellen Skepsis der Lausitzer gegenüber allen missionarischen Erlösungsgroßangeboten zusammenhängen. Der geplante ICE Berlin-Görlitz »fährt nur an uns vorbei«, das hört man oft. Die Strukturstärkungsmilliarden gehen am Mittelstand, an den Gewerbetreibenden und an den Bürgern vorbei. Leider auch die gut gemeinten, aber verständnislosen Angebote einer importierten Höchstkultur.
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