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Michael Krüger: Wie kommen Sterne an den Himmel?
Diesen Sonnabend feiert der Dichter und legendäre Hanser-Verleger Michael Krüger seinen 80. Geburtstag
Der Dichter schaut auf seine Kindheit und verweist auf das, was sein gesamtes Dasein prägen würde: »Je mehr ich las, desto komplizierter wurde mein Leben.« Das ist eine so gewinnbringende wie gefährliche Wahrheit: Literatur kräftigt nicht, Literatur macht porös; Poesie härtet nicht, Poesie erweicht, ja verwirrt den Menschen. Der Sensible ist der Angreifbare. Poesie ist Aufstörung – gegen das ideologisch dröge Geschwätz vom Gewusst-wie und Gewusst-wo. Kindheit, Jugend, wunderbares Altern. Viel Erfahrung und viel Wissen werden angehäuft für die wertvollste aller Erfahrungen: Leben wird schöner, je mehr uns das Einverständnis mit der Unbegreiflichkeit der Dinge gelingt.
An diesem Sonnabend wird Michael Krüger 80 Jahre alt. Zum Jubiläum erschien der Band »Verabredung mit Dichtern. Erinnerungen und Begegnungen«. Es ist ein schmuckloser Titel. Steht für Sachlichkeit. Die Bescheidenheit freilich ist höchst exklusiv und elitär: Sie ist Konzentrationsfähigkeit auf das, was Shopping, Quatsch-Comedy, Parteibuch, Talkshows, Internet und Events noch übrig lassen. Inmitten einer Wirklichkeit, die mehr und mehr einem hell ausgestrahlten, doch keinesfalls erleuchteten Theater gleicht.
Es spricht aus diesem Buch ein Gedächtnis ohne Aufputz. »Bei mir ist alles unsicher, vieles verschwimmt«, schreibt Krüger. Existenz ist ihm kein »erzählbarer Ablauf …« Als Junge besaß er einen Chemiebaukasten. Die alchemistischen Gelüste lenkte sein Bruder in eine andere Richtung, er sagte, »das wahre Gold eines Landes sei seine Philosophie und seine Literatur«. Krüger, einer der großen deutschen Verleger und ein bedeutender Dichter, wurde in besonderer Weise Schatzgräber, Goldfinder.
Seine Erinnerungen erzählen von Kindheit und Jugend im Westberliner Gelände um Wannsee, Schlachtensee und Nikolassee. Dann aber geht es rasch zu Freunden, Bekannten, Vorbildern, Weggefährten aus dem europäischen Literaturkosmos. Krüger lässt uns in einem Mosaik aus Episoden, Preisreden und Notizen von unterwegs teilhaben an seiner Lebensart. Er bleibt angenehm mittelpunktscheu. Intrigen, Skandale? »Nichts für mich.« Wir lesen Porträts über den Schriftsteller Reinhard Lettau und den Verleger Klaus Wagenbach, Skizzen über israelische, polnische, schwedische, vor allem italienische Autoren (Moravia, Magris, Eco).
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Im Grunde erzählt er von den Wundern, die aus Überraschungen entstehen: ein Schritt zur Seite, und unser sorgsam gefügtes Dasein verliert seine Halterungen; ein Moment Verlangsamung, und wir sind womöglich in einer anderen Zeit; ein Blick vom Wege ab, und wir verschwinden aus unserem geordneten Lebenslauf. Jede Freiheit, die wir uns nehmen, nimmt uns etwas, an dem wir sonst so gern festhalten: Sicherheit. Denn jeder Schritt in eine Freiheit ist der Schritt in eine Fremdheit. Das bleibt mit Furcht verbunden, und wer die nicht spürt, ist nicht frei. Aber: »Wenn dich der Ausgang nicht mehr kümmert, bist du am Ziel.«
Die Erinnerungen stehen in Empfindungsnähe zu Krügers Gedichten. Der Schlaf ist hauchdünn in dieser Poesie; sie beneidet den Schnee um sein Schweigen, in die Verse fährt Wind, er legt die Unterseiten der Blätter bloß, und wenn es am heißesten ist, nachts, »müßte ein Boot ablegen / in dem mausgrauen Himmel, weit weg von aller Menschenwärme«. In diesen Lyrikbänden (etwa »Diderots Katze«, »Nachts, unter Bäumen«, »Wettervorhersage«, »Ins Reine«, »Einmal einfach«) erfahren wir, wie sich die Sekunde und das Jahrhundert, das Gesicht und die Maske, das Schöne und jener grobkörnige Rest, aus dem unser Hauptteil Leben besteht, auf geheimnisvolle Weise mischen. Es gibt einen Gedanken des langjährigen Hanser-Autors Botho Strauß, der auch die Gedichte Krügers trifft: Sprache sei gleichsam nur das Kontrastmittel, das durch das Unaussprechliche fließe, »um die Geäder der Stummheit darzustellen«.
Michael Krüger, geboren 1943 in Wittgendorf (bei Zeitz), hat sich existenziell zwischen den Zuständen angesiedelt. Er war Verlagschef und ist seit Langem auch Autor. Ist Lesender und Schreibender. War Angestellter und blieb freier Geist. Der gelernte Buchhändler und studierte Philosoph trat im folgenreichen 68er Jahr, das einer Generation den Namen gab, in den Münchner Carl-Hanser-Verlag ein, wurde literarischer Leiter, geschäftsführender Gesellschafter. Krüger galt mit den Jahren als Legende. Er arbeitet unermüdlich, mit genauer Einteilung der Zeit, des Pensums, und war sehr geschickt dabei, die Nöte der Pflicht wie die Freuden der Kunst auszubalancieren. In einem dem Band angefügten Gespräch erinnert Interviewer Knut Cordsen an Karl Heinz Bohrer, der bescheinigte dem »sanften Anarchisten« Krüger eine »geradezu engelhafte Aura«.
Aus Lehrjahren, in denen er jugendgemäß begann, sich als »Fatalisten und Existenzialisten auszubilden«, wurde verlegerische bürgerliche Meisterschaft. In Erinnerung an den engen Freund Klaus Wagenbach heißt es über frühe Jahre, man habe »ein paar Avantgarden verzucken und verflattern sehen und in ihrem Rücken die Heraufkunft der alten Formen«. Ein Sieg von feinem Sinn und feinem Stil. Vielleicht besteht die wahre Kultur darin, nach ’68 den Weg in die Melancholie zu finden, statt in moosiger Altrebellen-Pose zu überdauern. Und so steht dieser ironische Mensch, ganz im Sinne eines schmerzerfüllten Romantikers, für eine Kultur wider die informativen Überbietungen und fuchtelnden Reizsteigerungen. Dem setzte dieser Leidenschaftliche stets etwas entgegen, das er selbst »eine bis an die Grenze der Lächerlichkeit gehende Verteidigung der Poesie« nennt.
Mehrfach von der Buchhändler-Branche zum »Verlag des Jahres« gewählt, verfügte Hanser unter Krügers Ägide über ein stolzes Poetenregister: Elias Canetti, Joseph Brodsky, Umberto Eco, W. G. Sebald, Jostein Gaarder, Seamus Heaney, Jorge Luis Borges, Günter Kunert, Milan Kundera, Alexander Tisma, Botho Strauß, Philip Roth. Auch Herta Müller und Tomas Tranströmer gehörten zu den Nobelpreisträgern mit Hanser-Verträgen. Verlegerkunst hieß für Krüger: charaktervolle, zähe Überlistung jener Zeittendenz, die auf Ballung von Marktmacht drängt; Krüger sagte: »Unser kleines Gärtchen darf nie von einem Baum beherrscht werden, in dessen Schatten nichts anderes mehr wächst.«
Die Romane und Novellen Krügers (»Was tun?«, »Warum Peking?«, »Wieso ich?«, »Die Cellospielerin«, »Das falsche Haus«) sind ein souveränes, vibrierendes Spiel mit den Konflikten zwischen Wollen und Können, Traum und Realität. Am Ende, wie es in einem Gedicht heißt, »zählt nur / die undurchdringliche Welt«. Es ist, als greife man eine Art Gelassenheits-Samt. Krügers Ton gestattet der Leistungszeit nicht, der Traumzeit den Etat zu kürzen. Mitten in Industrielandschaften existiert in seiner Poesie jenes exotische Abseits, das aus den dörflichen Erzählungen der Großeltern herüberzwinkert.
Der Dichter bezeichnet sich als Pessimisten, er besteht dennoch darauf, dass der Mensch belastbar auch im Leichtsinn sei. Alles Erfahrene wird in seinem Werk wieder zu Sehnsucht eingeschmolzen. Unsicherheit und Gewissheit berühren sich mit ihren jeweils sehr offenen Enden. Dieser Poet ist von einer heftig unmodernen Effizienz: Er rechnet – und zwar mit dem Menschen. Mit jenem Menschen, der langsam ist. Der aber weiß, wie die Sterne an den Himmel kommen und warum sie nicht herunterfallen. Und der Kunst und Literatur braucht, weil beides »das einzige System ist, das nie für alle sprechen will«.
Michael Krüger: Verabredung mit Dichtern. Erinnerungen und Begegnungen. Suhrkamp. 447 S., geb., 30 €.
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