Berliner Grüne: Erschütterungen auf Landesparteitag

Berliner Grüne lehnen die Kandidatur von Tanja Prinz als neue Co-Vorsitzende beim Landesparteitag ab

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 5 Min.

Machtkampf bei den Berliner Grünen: Auf dem Landesparteitag am Samstag ist die Neuwahl des Landesvorstandes knapp gescheitert. Tanja Prinz, Kandidatin für die Realo-Fraktion, erhielt in drei Wahlgängen nicht die absolute Mehrheit, sondern wurde von rund 71 Prozent der Delegierten abgelehnt.

Dass es Prinz an Unterstützung in der Partei mangelte, hatte sich schon im Vorfeld abgezeichnet. Vor rund einem Monat hatte sich die 44-Jährige aus Lichtenrade überraschend um die Führungsposition beworben und damit die aktuell noch amtierende Co-Landeschefin und Reala Susanne Mertens herausgefordert.

Traditionell wird die Doppelspitze nicht nur geschlechterparitätisch, sondern auch jeweils mit Vertreter*innen des realpolitischen und des parteilinken Flügels besetzt. Der parteilinke Co-Landevorsitzende Philmon Ghirmai hätte am Samstag in seinem Amt bestätigt werden sollen. Susanne Mertens hingegen nahm von einer erneuten Kandidatur Abstand, nachdem Prinz sie bei einer Vorabstimmung im Realo-Lager mit 83 zu 78 Stimmen knapp ausgestochen hatte.

Auf Prinz’ Kandidatur folgte sogleich Kritik – und zwar sowohl von Parteilinken als auch von Realos. Für Kritik sorgten einerseits inhaltliche Positionen. Prinz legte bei ihrer Kandidatur wert auf eine massentaugliche Partei, »die Menschen in Berlin in ihrer ganzen Vielfalt erreichen« sollte: »Menschen im S-Bahn-Ring von Alt-Mitte bis Marzahn-Hellersdorf. Die junge Studentin, den Handwerker, die Unternehmerin und den Rentner.« Von Parteilinken wurde das als Aufgabe des grünen Profils für bessere Wahlergebnisse und eine Regierungsbeteiligung um jeden Preis verstanden.

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Innerhalb der Realos sorgte eher die Art und Weise ihres parteiinternen Wahlkampfes für Unmut. In einem offenen Brief, über den zuerst der Sender RBB am Freitag berichtet hatte, sprachen sich neun der insgesamt zwölf Kreisverbände gegen Prinz’ Unterstützer*innen aus – insbesonders gegen die in Mitte verankerte Realo-Gruppierung »Gr@m« (Grüne Real@ Mitte). »Gr@m« stehe für eine »Kultur des Misstrauens«, Mitglieder würden »eingeschüchtert, andere werden psychisch unter Druck gesetzt«, hieß es in dem Schreiben. Sogar der Kreisvorstand von Tempelhof-Schöneberg, Prinz’ eigener Kreisverband, hatte unterschrieben.

Prinz sagte am Samstag auf Nachfrage zu dem offenen Brief, sie wolle ihn ernstnehmen. »Falls ihr mich heute wählt, möchte ich zu einem offenen Meeting einladen, um über die Kommunikation in unserem Verband zu sprechen.« Doch ihre Wahl steht nun erst einmal nicht mehr im Raum: Nach drei erfolglosen Wahlgängen, bei denen sie weniger als ein Drittel der Stimmen erhielt, trat Prinz nicht mehr für einen weiteren Wahlgang an.

Co-Vorsitzender Philmon Ghirmai rief anschließend zur Besinnung auf: »Unsere Partei erlebt gerade Erschütterungen. Umso wichtiger ist es, Ruhe zu bewahren.« Der Antrag der amtierenden Landesführung, den Parteitag zu unterbrechen und am Mittwochabend fortzuführen, wurde angenommen. »Wir müssen reden, miteinander, und uns die Zeit nehmen, uns zu verständigen«, begründete Ghirmai die Pause.

Timur Ohloff, Mitglied des Grünen-Kreisvorstandes Mitte und Unterstützer von Prinz, kritisierte die Unterbrechung. »Tanja steht für eine Neuausrichtung. Wenn man das nicht will, hätte man ein demokratisches Gegenangebot machen können.« Anstatt die Wahl zu vertagen, müsste sich seiner Meinung nach aus dem Lager der Prinz-Gegner*innen jemand »der Verantwortung stellen« und selbst kandidieren.

Im Vorfeld hatten Beobachter*innen nicht ausgeschlossen, dass Susanne Mertens bei einer Niederlage von Prinz doch noch einspringen könnte. Sie wurde jedoch am Mittwoch feierlich verabschiedet. Daniel Wesener, ehemaliger Finanzsenator unter Rot-Grün-Rot, betonte in der Abschiedsrede die Herausforderungen, die Mertens in den zwei Jahren als Co-Landeschefin bewältigen musste. Die diversen Krisen sowie die Wiederholungswahl hätten ihre Amtszeit zu einer »einzigen politischen Achterbahnfahrt« gemacht. »Dass du uns durch diese Zeit navigiert hast, das ist und bleibt dein Verdienst und dafür sind wir dir zu unendlichem Dank verpflichtet.« Damit widersprach Wesener indirekt Tanja Prinz, die in ihrem Wahlkampf vor allem Mertens für ein in ihren Augen enttäuschendes Wahlergebnis und das Ende der Regierungsbeteiligung verantwortlich gemacht hatte. Auf seine Rede folgte stehender Applaus.

Neben der Machtfrage ging es auf dem Landesparteitag auch um Inhalte. Die Mitglieder verabschiedeten den Leitantrag »Transformation der Wirtschaft – Neuer Wohlstand in einer neuen Zeit«. »Klimaneutralität ist nicht nur eine Verpflichtung, sondern ein Versprechen für bessere Zeiten«, begründete Mertens den Antrag. Die Partei sprach sich damit unter anderem für eine neue Strategie gegen den Fachkräftemangel inbesondere in Klimaberufen aus, für bessere Arbeitsbedingungen und eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, für Gründer- und Innovationszentren für klimaneutrale Wirtschaft und eine reformierte Schuldenbremse, um Klimaschutz-Investitionen zu ermöglichen.

Bundesparteichefin Ricarda Lang unterstützte das Vorhaben. »Wer klimaneutral wird, besteht in der Zukunft in diesem Wettrennen«, sagte Lang. Lediglich von der Grünen Jugend kam Gegenwind. »Endloses Wachstum ist nicht drin«, sagte Elina Schumacher vom Landesvorstand und zweifelte an, ob Klima und Wirtschaft tatsächlich zusammengingen: »Das ist nur Kapitalismus in Grün.« In Richtung Ricarda Lang verurteilte Schumacher außerdem die von den Bundesgrünen mitgetragenen Asylrechtsverschärfungen.

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