Potsdams Linke: Hans-Jürgen Scharfenberg reicht's

Urgestein und Stimmenmagnet Hans-Jürgen Scharfenberg verlässt die Partei

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Keine Angst, sich den Mund zu verbrennen: Der Stadtverordnete Sascha Krämer.
Keine Angst, sich den Mund zu verbrennen: Der Stadtverordnete Sascha Krämer.

Immer wenn am Samstagmorgen noch jemand den Saal in der Potsdamer Leonardo-da-Vinci-Gesamtschule betritt, gehen etliche Blicke fragend nach hinten: Kommt der Stadtverordnete Hans-Jürgen Scharfenberg (Linke) doch noch und versucht in einer Kampfkandidatur, für die Kommunalwahl am 9. Juni aufgestellt zu werden? Der Kreisvorstand der Linken schlägt den Mitgliedern des Stadtverbandes für jeden der sechs Wahlkreise jemanden für den ersten und den zweiten Listenplatz vor – hat aber Scharfenberg nicht berücksichtigt.

Dabei war der 69-Jährige lange Landtagsabgeordneter und wäre 2002 beinahe Oberbürgermeister geworden. Äußerst knapp verlor er damals die Stichwahl gegen Jann Jakobs (SPD), dem er dann im zweiten Anlauf acht Jahre später erneut unterlag. Über Jahrzehnte hinweg führte Scharfenberg die Linksfraktion in der Stadtverordnetenversammlung (SVV). Er war und ist das Gesicht seiner Partei in der Stadt und erhielt bei Kommunalwahlen in Potsdam so viele Stimmen wie kein anderer Kandidat. Dennoch hat der Kreisvorstand ihn nun nicht berücksichtigt. Dabei erklärt der Kreisvorsitzende Jörg Schindler am Samstag, dass vor zwei Wochen beschlossene Kommunalwahlprogramm sei allein nur bedrucktes Papier. Es komme auf die Kandidaten an, die die Wähler überzeugen. »Kandidaten müssen überhaupt nicht Mitglied unserer Partei sein, Hauptsache sie sind im Kopf Linke.« Nominiert wird dann mit der Erzieherin Susanne Rose tatsächlich auch eine Frau, die der Linken nicht angehört. Schindler sagt aber auch, wer für die Linke antreten wolle, müsse »für Geschlossenheit stehen«.

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Denn im September 2022 spaltete sich die Potsdamer Linksfraktion, nachdem der ihr angehörige parteilose Stadtverordnete Ralf Jäkel dafür gestimmt hatte, dass sich Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) wegen der explodierenden Energiepreise dafür einsetzen soll, die Erdgasleitung Nord Stream 2 für russisches Gas zu öffnen. Das war ein Tabubruch, weil Jäkel damit für einen Antrag der AfD gestimmt hatte. In der Linksfraktion wurde das einhellig verurteilt. Doch Scharfenberg und zum Beispiel auch der Stadtverordnete Sascha Krämer wollten es bei einer scharfen Ermahnung belassen und Jäkel erst im Wiederholungsfall aus der Fraktion ausschließen. Der hatte seinen Fehler eingesehen und versprochen, es nie wieder zu tun. Anderen reichte das nicht. Es kam zur Spaltung, wobei dann allein noch Scharfenberg zu Jäkel hielt. Es gibt deswegen seit September 2022 zwei Linksfraktionen in der Stadtverordnetenversammlung und der Kreisvorstand wollte Scharfenberg nur unter der Bedingung als Kandidaten vorschlagen, dass er Jäkel verlässt und als reuiger Sünder zurückkehrt.

Darauf hat sich der 69-Jährige nicht eingelassen. Er bleibt der Nominierungsversammlung in der Leonardo-da-Vinci-Schule fern und versendet dazu auf Nachfrage eine Erklärung unter der Überschrift »Es reicht!«. Darin steht: »Vor dem Hintergrund der Entwicklung in der Partei Die Linke, die sich bundespolitisch mit Zweideutigkeiten in der Sozialpolitik, Grundfehlern in der Friedenspolitik und einer Vernachlässigung der Ostkompetenz immer weiter vom Erfurter Parteiprogramm von 2011 entfernt hat, was sich insbesondere auch in der Potsdamer Linken widerspiegelt, erkläre ich mit Wirkung zum Ende des Jahres 2023 meinen Austritt.« Und weiter: »Nach 49 Jahren Mitgliedschaft mit Höhen und Tiefen fällt mir dieser Schritt schwer.« Scharfenberg bekräftigt seine Bereitschaft, sich mit seinen langjährigen Erfahrungen in der neu zu wählenden Stadtverordnetenversammlung einzubringen.

Öffentlich erläutert er nicht, was das konkret bedeutet. Doch seine Genossen können es sich leicht ausmalen: eine Kandidatur als Unabhängiger oder für die neue Partei der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht, die im Januar gegründet werden soll.

Der Stadtverordnete Sascha Krämer bedauert das. »Ich hätte gern mit ihm Kommunalwahlkampf gemacht – auf einer Seite.« Krämer hatte sich im Vorfeld dafür ausgesprochen, Scharfenberg zu nominieren, konnte seine Genossen jedoch nicht dazu bewegen. Nun kandidiert Krämer selbst auf Listenplatz eins im Wahlkreis 6 – in Scharfenbergs Revier, obwohl er nicht dort wohnt. Aber Krämer trat bei vorangegangenen Kommunalwahlen auch schon in drei anderen Wahlkreisen an. Er ist ein Mann für die gesamte Stadt, schnitt mit seinen Stimmergebnissen als Zweitbester der Genossen hinter Scharfenberg und als Drittbester von allen Kandidaten ab. Die Stadtverordnete Jana Schulze, einst Wahlkreismitarbeiterin des Landtagsabgeodneten Scharfenberg, hört nach 26 Jahren in der SVV im Juni auf. Sie macht Platz im Wahlkreis 6 und nennt Krämer einen »guten Nachfolger«.

Nominiert wurden weiterhin etwa Landesgeschäftsführer und Stadtfraktionschef Stefan Wollenberg, die Landtagsabgeordnete Isabelle Vandré und die Stadtverordnete Tina Lange, die warnt: »Potsdam wird immer mehr zu einer Stadt der Reichen.« Lange ist die Frau des Ex-Bundestagsabgeordneten Norbert Müller. Nominiert worden sind auch die Kreisvorsitzenden Jörg Schindler und Iris Burdinski. Die bei der Gewerkschaft tätige Juristin erinnert an die im Bundesvergleich extrem hohen Lebenshaltungskosten in Potsdam, die sich vor allem aus den explodierenden Mieten erklären. Burdinski verweist auf das Wahlprogramm, das einen Mietendeckel und eine Meldestelle für Mietwucher fordert.

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