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Änderung des Polizeigesetzes: »Leichtfertig und gefährlich«
Taser, Bodycams und Präventivgewahrsam: Innenexperte Niklas Schrader (Linke) über die Reform des Berliner Polizeigesetzes
Am Donnerstag hat das Abgeordnetenhaus eine Verschärfung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (Asog) beschlossen. Kann Berlin jetzt mit Bayern mithalten, was restriktive Polizeigesetze betrifft?
So weit würde ich nicht gehen. Bayern ist jenseits von Gut und Böse. Aber in Berlin ist das schon ein deutlicher Schwenk zu mehr Repression und tiefer greifenden Grundrechtseingriffen, ganz eindeutig.
In der Gesetzesnovelle wird eine Bandbreite neuer Befugnisse für die Polizei geregelt: die flächendeckende Nutzung von Tasern und Bodycams sowie eine Ausweitung des Präventivgewahrsams. Wenn Sie sich eine der Neuerungen aussuchen müssten, welche macht Ihnen am meisten Sorgen?
Am meisten Sorgen macht der Taser, weil er natürlich potenziell lebensgefährlich ist. Die Koalition hat relativ niedrige Einsatzschwellen in das Gesetz geschrieben. Der Taser kann auch anstelle einer Hiebwaffe eingesetzt werden, also eines Schlagstocks, und nicht nur anstelle einer Schusswaffe. Und die vermeintlichen Schutzmaßnahmen, dass zum Beispiel der Taser nicht gegen vorerkrankte Personen oder Schwangere angewendet werden darf, die laufen natürlich vollkommen ins Leere, weil man das den Menschen von außen nicht ansieht. Das kann höchst gefährlich werden für Menschenleben.
Niklas Schrader ist innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. 2021 war er unter Rot-Grün-Rot an einer progressiven Reform des Allgemeinen Sicherheits- und Polizeigesetzes beteiligt.
In den vergangenen drei Jahren sind in Deutschlands schon sieben Menschen nach Taser-Einsätzen gestorben. Die Polizeipräsidentin Barbara Slowik betont aber immer wieder, dass Taser Menschenleben retten können.
Ja, es gibt immer wieder das Argument, der Taser würde dazu führen, dass weniger geschossen und es dadurch weniger Tote geben wird. Das kann man zu Recht bezweifeln, wenn man sich Forschungsergebnisse ansieht. Die zeigen, dass der Schusswaffengebrauch bei Taser-Nutzung nicht sinkt. Das heißt, das ist ein zusätzliches gefährliches Instrument. Aber es gibt keine Bereitschaft in der Koalition, sich mit diesen empirischen Ergebnissen wirklich auseinanderzusetzen. Die machen das jetzt einfach. Das finde ich schon leichtfertig und gefährlich.
Die Linke fordert ja stattdessen multiprofessionelle Teams für psychische Krisensituationen. Gibt es im neuen Gesetz Schritte in diese Richtung?
Ja, wir hatten dieses Vorhaben im Koalitionsvertrag unter Rot-Rot-Grün stehen. Wir haben dafür gekämpft, weil bei den meisten Polizeieinsätzen, wo es am Ende zum Schusswaffeneinsatz kommt und Tote gibt, Menschen in psychischen Ausnahmesituation sind. So eine Situation von Anfang an zu deeskalieren, dass die sozialpsychiatrischen Kräfte so schnell da sind wie die Polizei – das ist das Ziel. Davon haben sich damals auch die Innensenatorin und die SPD überzeugen lassen. Nur nehmen sie das jetzt nicht als Alternative zum Taser. Aber immerhin ist im Entwurf für den Landeshaushalt Geld dafür vorgesehen. Damit könnte man zumindest lokal das Modell ausprobieren. Wir wissen nur noch nicht, wie genau die Koalition das konzipieren wird. Ich würde dafür plädieren, diese Teams beim Rettungsdienst anzubinden, nicht bei der Polizei.
Nun gibt es ja nicht nur Bedenken zu den Tasern, sondern auch zu der flächendeckenden Einführung von Bodycams und insbesondere deren Nutzung in Privaträumen. Die Koalition hat einen früheren Entwurf entschärft – jetzt braucht es eine richterliche Erlaubnis, um solche Aufnahmen etwa für Strafverfahren zu nutzen. Haben Sie immer noch datenschutzrechtliche Bedenken?
Ja. Einfach, weil Daten in dem besonders geschützten Bereich von Privatwohnungen erhoben werden sollen. Das ist ein tiefer Grundrechtseingriff. Ohne den Richtervorbehalt wäre das verfassungsrechtlich hoch fragwürdig gewesen. Aber auch nach der Änderung bleibt das Grundproblem bestehen – ohne dass wir empirische Erkenntnisse darüber haben, ob das wirklich ein wirksames Instrument ist, um Angriffe beider Seiten zu verhindern.
Innensenatorin Iris Spranger (SPD) argumentiert immer mit dem Kampf gegen häusliche Gewalt: Dafür brauche es Bodycams in Privaträumen.
Ich habe daran wirklich ernsthafte Zweifel. Wenn die Polizei wegen häuslicher Gewalt gerufen wird, dann ist die in der Regel schon geschehen, dann kann nur noch Schadensbegrenzung und Opferhilfe stattfinden. Außerdem zeigt die Erfahrung, dass gerade in besonders emotionalen, erhitzten Situationen solche Dinge wie Kameras überhaupt keine Wirkung haben. Insofern glaube ich, dass das Argument von der Senatorin instrumentalisiert wird.
Aber auch der Nutzen von Bodycams im öffentlichen Raum ist umstritten, oder?
Ja, auch da sind die Ergebnisse nicht eindeutig. Es gibt Studien, die sagen, dass es gar nicht so eine deeskalative Wirkung hat, wie immer behauptet wird. Das wollten wir eigentlich in Berlin durch die Evaluation herausfinden. Aber jetzt werden die Bodycams schon als Standardinstrument ausgerollt, ohne dass man die Ergebnisse abgewartet hat.
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Die Evaluation der Bodycams wurde noch unter Rot-Grün-Rot mit der Asog-Novelle 2021 beschlossen. Haben Sie damit nicht die Grundlage für eine flächendeckende Einführung gelegt?
Wir haben damals gesagt: Wir wollen herausfinden, ob Bodycams grundsätzlich ein gewinnbringendes Instrument sein können. Aber mit der klaren Regelung, die Befugnis zeitlich zu begrenzen und erst danach grundsätzlich zu entscheiden. Und wir waren der Ansicht, dass, wenn man es richtig anstellt, Bodycams aus bürgerrechtlicher Perspektive ein Gewinn sein können, weil damit auch rechtswidriges Polizeiverhalten besser verfolgt werden kann.
Also bereuen Sie es nicht, die Nutzung von Bodycams schon 2021 verankert haben?
Nein. Wenn wir das nicht gemacht hätten, hätte die schwarz-rote Koalition das jetzt trotzdem einführen können. Unsere Evaluation war nicht die Voraussetzung dafür.
Die dritte große Neuerung im Asog ist die Ausweitung des Präventivgewahrsams. Anders als von Spranger angekündigt, betrifft die Verlängerung nicht die Aktivist*innen der Letzten Generation. Fünf beziehungsweise sieben Tage können nur bei Verdacht auf schwere Straftaten oder Terror angeordnet werden. Ist die Koalition hier in ihrem Populismus gegen die Klimakleber zurückgerudert?
Ich finde nicht. Ich finde eher, das ist ein ganz besonderes Beispiel dafür, wie in einer aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung versucht wird, Signale der Härte zu senden. Die Innensenatorin hat mehrfach zugegeben, dass sie das Instrument zur Abschreckung einsetzen will. Und so, wie das Gesetz aussieht, ist das jetzt auch möglich.
Sie spielen auf die Anwendungsvoraussetzungen an, die erfüllt sein müssen, um Präventivgewahrsam anzuordnen.
Genau, die Regelbeispiele, die im Gesetz genannt werden, sind so schwammig formuliert, dass dort von Waffen, Werkzeugen oder sonstigen Gegenständen die Rede ist, die den Gewahrsam begründen können, wenn sie bei einer Person gefunden werden. Das wird am Ende ein Gummiparagraf sein, den die Polizei versuchen wird, so weit wie möglich auszuschöpfen. Und natürlich spielt da politischer Druck eine Rolle.
Könnte das auch andere politische Aktivist*innen treffen?
Ja, das ist natürlich immer zu befürchten. Das Instrument war ursprünglich für schwerste Formen der Kriminalität wie Terrorismus gedacht, und wie das oft so ist, gab es eine Normalisierung, und am Ende wird es dann bei einfacher Kriminalität angewendet. Es kann Demos treffen, wenn die Polizei der Ansicht ist, dort wird es Straftaten geben – zum Beispiel bei radikaleren linken Demos wie der 1.-Mai-Demo. Es kann auch Fußballfans vor bestimmten Spielen oder Turnieren treffen.
Trotzdem war der Protest bisher ziemlich leise. Am Donnerstag kamen knapp 50 Menschen zur Kundgebung gegen die Gesetzesnovelle.
Ja, wenn man das mit anderen Protesten vergleicht, ist er noch klein. Aber immerhin gibt es ein breites Bündnis mit verschiedenen Organisationen, das jetzt schon mehrfach vor dem Abgeordnetenhaus demonstriert hat. Letztens war bei Union Berlin in der Fankurve ein großes Statement zu lesen. Es rumort schon bei vielen, die sich potenziell betroffen fühlen.
Warum hat sich das bisher nicht in größeren Demonstrationen gezeigt?
Die Gesetzesreform kommt ja scheibchenweise, das mindert vielleicht das Mobilisierungspotenzial. Jetzt kommen erst mal nur drei Punkte; im nächsten Jahr sollen dann im zweiten Schwung noch heftigere Eingriffe folgen, mit Videoüberwachung, Quellen-TKÜ (Telekommunikationsüberwachung, Anm. d. Redaktion), dem finalen Rettungsschuss oder Einschränkungen im Versammlungsrecht. Das ist jetzt noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Deswegen glaube ich, dass sich Protest noch weiter formieren und verstärken kann.
Ist diese stückchenweise Umsetzung Kalkül, um nicht so viel Öffentlichkeit zu erregen?
Darüber möchte ich nicht spekulieren, aber den Effekt hat es natürlich.
Was kann Die Linke noch tun, um gegen die Grundrechtseinschränkungen vorzugehen?
Ein Viertel des Abgeordnetenhauses kann eine Normenkontrollklage einleiten, das können wir also nicht alleine. Aber wir können natürlich prüfen, ob in dem Gesetz verfassungswidrige Punkte sind, und das werden wir auch tun. Aber dafür braucht es schon objektive Verfassungsverstöße.
Sie haben es bereits erwähnt: 2024 sollen weitere Verschärfungen folgen. Würden Sie die Reformen in einen bundesweiten Trend einordnen?
Auf jeden Fall! Den bundesweiten Trend gibt es ja schon länger. Und die letzte Koalition unter Rot-Rot-Grün hat es geschafft, dem zu widerstehen, woran wir einen nicht ganz unbeträchtlichen Anteil hatten. Mit dem Regierungswechsel wird der Trend in Berlin nachgeholt.
Frustriert Sie das, wenn nach Ihrer Arbeit der Rückschritt kommt?
Ja. Aber es ist uns durchaus gelungen, Pflöcke einzuschlagen. Das war also nicht umsonst. Und dass die Verschärfungen jetzt nicht ganz so hart kommen wie anderswo, ist auch der Diskussion in Berlin geschuldet, die hier einfach viel kritischer war.
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