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Willkommen in der Wasser-Stadt
Unsere Kolumnistin besucht das Schwimmbad im Europapark und entdeckt, dass ihre Heimatstadt reichlich Wasser hat – zum Glück!
»Die Berlin Bewegung: Diese Bahn streikt nie.« Unter dem riesigen Betonsockel, der den Eingang des Schwimmbades im Europapark vom S-Bahngraben an der Landsberger Allee trennt, hängen blaue Banner der Berliner Bäderbetriebe. Mit lustigen Sprüchen wie diesem – vor allem, wenn wirklich gerade Streik-Tag ist bei der S-Bahn.
Ich bin per Straßenbahn angereist und viele Treppen hinabgestiegen. Wie ein DJ-Set aus Plattenspieler und Mix-Pult wirkt das Luftbild des Europaparks mit dem darin versenkten kreisrunden Velodrom und dem unterirdischen Rechteck des Schwimmbades mit Sprung- und Wettkampfhalle, wo Franziska van Almsick 2002 bei den Europameisterschaften fünf Goldmedaillen gewann. Nach dem Mauerfall für die Olympia-Bewerbung 2000 geplant, wurde das Ensemble zwischen 1995 und 1999 erbaut. Um die undankbare Aufgabe des Entwurfs repräsentativer Sportbauten für Berlin hatten sich nur wenige Architekten bemüht, es gewannen zwei Entwürfe ohne Fassaden, die ihre großen Baumassen im Erdreich verstecken.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Freitags öffnet das Bad um elf, halb zwölf sind nur wenige Schränke belegt. In der Dusche treffe ich Frauen, die schon fertig sind für heute. In der Halle ist es seltsam still, obwohl auf allen zehn 50-Meter-Bahnen geschwommen wird. Eine Holzdecke aus schmalen Leisten überspannt die schummrige Halle, an der Beleuchtung wird gespart – blöd, wenn auch noch die Schwimmbrille verdunkelt ist. Vorsichtig steige ich die Leiter ins finstre Nass hinab.
Die ersten zwei Bahnen sind trockenen Haares Schwimmenden vorbehalten, ich tauche zu Bahn zwei bis drei, die moderat Schwimmenden eine Doppelbahn bietet – mit hochgezogenem Leinenende auf jeder Seite. Wir können bequem zu zwanzigst im Kreis schwimmen und einander bei Bedarf überholen. Ab Bahn vier wird scharf trainiert. Hier geht es um Sport. Das steckt an, bald pflüge ich ebenfalls auf die Blasen schlagenden Plastikbohlen am flachen Beckenende zu. Anschlag, Wende, zurück.
Nach einer halben Stunde japse ich am Beckenrand der Nuller-Bahn nach Luft, mein Blick schweift über ein lümmelndes Bademeister-Pärchen auf das drückende Grau hinter der Fensterfront und die S-Bahn-Trasse ohne Bahnen, bis er auf einem Strandkorb landet. Mittig auf der Längsseite der Schwimmhalle steht ein dicker, gemütlicher Meeres-Strandkorb! Weitere drei im angrenzenden Kinderbereich, entdecke ich bald. Im Nichtschwimmerbecken spielt ein Kind mit seinen Großeltern, im Therapiebecken tummeln sich Rentner.
Ich lege mich ins verwaiste Planschbecken und drifte ab in den Roman »Die eigentümliche Vorliebe für das Meer« von Gregor Hens, den ich vor Kurzem gelesen habe. Es geht um eine tropische Stadt am Meer und eine Familiengeschichte, die über mehrere Generationen reicht. Diese Stadt und ihr Meer mochte ich sehr. Den Salzgeschmack in der Luft, das Rufen der Seevögel über den Falterfischen, Borstenzähnern und schillernden Barschen. Der Roman beginnt mit dem Satz: »Eine Stadt ohne Wasser ist traumlos, sie hat nichts zu verbergen, es gibt nichts zu entdecken.«
Nach dem ersten Schreck beschloss ich: All dies trifft im umgekehrten Sinn auf Berlin zu! Zwar liegt es (leider) nicht am Meer, aber am Wasser. All seine Flüsse, Kanäle, Buchten, Häfen, Strände und Seen machen Berlin aus. Das verborgene Wasser nicht mal mitgezählt, seine Bäder und Hallen, denke ich entspannt, winke einem Bademeister zu und zeige auf die Sprudler hinter mir. Er nickt und geht in die Schaltzentrale, ein paar Knöpfe drücken. Ich forme mit den Händen ein Herz und sinke in den Wasserstrahl.
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