Zoo Berlin: »Ort der Ausbeutung und Geringschätzung«

Ein ehemaliger Zoo-Guide im Gespräch über die Kündigungswelle im Berliner Zoo und Tierpark

  • Interview: Lukas Schmolzi
  • Lesedauer: 5 Min.
Arbeiten im Haifischbecken: Die Zoo-Guides müssten zwar nicht tauchen, beklagen aber trotzdem prekäre Arbeitsverhältnisse.
Arbeiten im Haifischbecken: Die Zoo-Guides müssten zwar nicht tauchen, beklagen aber trotzdem prekäre Arbeitsverhältnisse.

Aktuell suchen Zoo und Tierpark Berlin nach neuen Guides. Sie haben auch als Guide gearbeitet. Was für ein Job ist das?

Vor ein paar Monaten waren wir noch circa 40 Guides in den beiden Zoos. Wer dort arbeitet, macht das aus Leidenschaft. Wir machen Führungen für Schulklassen, Kitas, Fachpublikum und organisieren Kindergeburtstage. Viele von uns studieren Biologie und Tiermedizin und können sich nichts Schöneres vorstellen, als mit den Gästen über die Tiere zu reden. Es ist ein Job, der unglaublich viel Fachwissen erfordert, denn im Zoo und im Tierpark leben weit über 1000 Arten. Erfahrene Guides sammeln Wissen über Jahre, auch aus ihrem Studium. Dazu muss man sich mit sehr vielen Sicherheitsvorkehrungen auskennen. Die Arbeit ist allerdings nur knapp über dem Mindestlohn bezahlt – nur 14 Euro pro Stunde, und das seit 2004. Feiertags- und Wochenendzuschläge gibt es nicht.

Wie sind die Arbeitszeiten geregelt?

Wir haben keine garantierten Arbeitszeiten. Manchmal arbeiten wir die ganze Woche durch, und manchmal gar nicht. Im Winter gibt es monatelang sehr wenig Arbeit. Wir erfahren erst eine Woche vorher, ob wir arbeiten. Wir müssen sechs Wochen vorher angeben, wann wir verfügbar sind. Diese Zeit müssen wir freihalten und erfahren erst kurzfristig, wenn wir doch keine Arbeit und kein Geld bekommen.

Interview

Der Interviewpartner hat als Guide im Berliner Zoo und Tierpark gearbeitet und dort Führungen gegeben. Er möchte aus Angst vor negativen Konsequenzen in seinem aktuellen Anstellungsverhältnis anonym bleiben.

Der Presse war zu entnehmen, dass eine Umstrukturierung durchgeführt wurde. Was ist passiert?

Im Frühling wurde die langjährige Leitung der Zooschule rausgedrängt. Ein neuer Manager, der aus dem privaten Aquarium Sea Life kam, gab neue »Regularien« bekannt. Bisher war der Deal: Wir geben an, wann wir Zeit haben, und sie sagen, wann sie uns brauchen. Plötzlich hieß es, wir sollten jede Woche mindestens zehn Stunden verfügbar sein. Jemand, der in der Prüfungsphase war, sollte dann Urlaub beantragen, welcher teilweise abgelehnt wurde. Weil wir nun teilweise als ehrenamtliche »Übungsleiter« gelten, wurden auch Rentenpunkte und Urlaubsgeld gekürzt. 

Wie begründete die Leitung dieses Vorgehen?

Es hieß, alle sollten mehr arbeiten und die Arbeit gerechter verteilt werden. Aber mit diesen neuen Arbeitsbedingungen begann auch eine Kündigungswelle. Eine sehr erfahrene Kollegin wurde ohne Grund und trotz Widerspruch vom Betriebsrat gekündigt. Dann auch Leute in der Probezeit. Leute mit befristeten Verträgen wurden nicht verlängert. Dann sind viele aufgrund sinnloser Schikanen »freiwillig« gegangen. Eine funktionierende Struktur ist zerstört worden.

Haben Sie einen Überblick, wie viele Guides ihren Job verloren haben?

Nicht genau, aber innerhalb weniger Monate war mehr als die Hälfte des Teams verschwunden. Zoo und Tierpark reduzieren ihre Angebote seitdem deutlich. Früher waren Dutzende Touren mit verschiedenen Konzepten im Angebot – jetzt kann man nur noch Standard-Touren buchen. Es finden weniger Führungen statt und traditionelle Veranstaltungen wie der Laternenumzug oder die Taschenlampen-Touren fallen plötzlich aus. Diese Entwicklung ist nicht nur traurig für die Guides, sondern auch für die Gäste.

Wie erklären Verantwortliche ihr Vorgehen gegenüber den Beschäftigten?

Uns wurde nie irgendetwas erklärt. Soweit wir es einschätzen können, müssten die Einnahmen stark zurückgegangen sein. Die Verantwortlichen haben wohl in Personalgesprächen erzählt, dass die Zooschule für ihren Geschmack zu sehr wie eine Familie funktioniere – die Guides haben sich gegenseitig stark unterstützt. Dieses solidarische Miteinander war unerwünscht. Es wirkt so, als sollten die Führungen künftig mit schnell angelernten Saisonkräften laufen. Das mag für einen Vergnügungspark funktionieren, aber es ist schlecht für eine wissenschaftliche Einrichtung.

War das Vorgehen der Leitung überhaupt legal?

Dadurch, dass es sich überwiegend um befristete Arbeitsverträge handelt, war es leichtes Spiel, uns rauszudrängen. Leider stehen wir außerhalb des Tarifvertrages. Der Betriebsrat sagte uns, dass die Veränderungen unserer Arbeitsbedingungen nie zur Mitbestimmung vorgelegt wurden und deswegen unwirksam waren. Wir wissen nicht, ob es rechtens ist, dass wir immer auf Abruf bereit sein müssen, ohne Anspruch auf Bezahlung. Aber selbst wenn, ist es nicht in Ordnung, wenn ein Betrieb, der viele öffentliche Gelder bekommt, jeden letzten Cent aus den Beschäftigten herauspresst.

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Es gibt überall Fachkräftemangel, insbesondere im zoologischen Bereich. Wie geht es weiter?

Nun sucht der Zoo neue Guides – kurz nachdem alle verscheucht wurden. Die Stellen werden erneut auf ein Jahr befristet ausgeschrieben.

Über Berliner Zoos wird viel berichtet. Warum hat man so wenig über den Umgang mit den Zoo-Guides gelesen?

Wir haben uns an die Presse gewendet, aber das war frustrierend. Zwei große Medien haben viel recherchiert und eher aussagelose Artikel oder gar nichts veröffentlicht. Es wirkt so, als hätten sie Angst davor, den Zugang zu den Pandas zu verlieren, wenn sie über die Arbeitsbedingungen berichten.

Welcher Eindruck bleibt bei Ihnen? Organisieren sich die Beschäftigten?

Wir haben uns vernetzt, das hat geholfen, dass nicht jeder für sich alleine kämpft. Aber logischerweise sind die meisten gegangen – jeder findet heutzutage schnell einen besser bezahlten Job. Viele von uns sehen den Zoo weiterhin als einen magischen Ort, wo Wissenschaft, Naturschutz und Bildung zusammenkommen. Doch leider mussten wir erleben, dass es auch ein Ort der Ausbeutung und Geringschätzung ist. Das muss aber nicht so bleiben. Beschäftigte beim Zoo in Hamburg haben gestreikt und damit gezeigt, dass man sich für bessere Bedingungen für Mensch und Tier einsetzen kann. Das wird hoffentlich auch bald in den Berliner Zoos passieren!

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