Hongkonger Verleger Lai vor Gericht

Demokratieaktivist muss sich wegen »Verschwörung« in einem Prozess verantworten

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.

Ohne Frage: Der Fall Jimmy Lai ist ein für Hongkong richtungsweisender Prozess, der die Grenzen der Pressefreiheit und auch der Rechtsstaatlichkeit in der Finanzmetropole schonungslos offenlegt. Als einer der letzten offenen Peking-kritischen Demokratie-Aktivisten wird Lai unter anderem »Verschwörung mit ausländischen Kräften« vorgeworfen. Konkret geht es um mehrere Leitartikel und Online-Postings, in denen er die internationale Staatengemeinschaft dazu aufgerufen hat, chinesische und Hongkonger Regierungsvertreter mit Sanktionen zu belegen. Dafür droht ihm nun lebenslängliche Haft. Am Montag hat der Prozess gegen Lai wegen unterstellter Verstöße gegen das umstrittene Sicherheitsgesetz der chinesischen Sonderverwaltungsregion begonnen.

Dass es sich um keinen normalen Prozess handelt, davon zeugen am Montag die über 1000 Polizisten rund um das Gerichtsgebäude. Sogar einen Hügel nahe der Haftanstalt haben die Behörden weiträumig abgesperrt, damit die Journalisten keine Foto-Aufnahmen von Jimmy Lai beim Verlassen des Gefängnisgebäudes schießen können. Die Regierung möchte unter allen Umständen verhindern, dass der Angeklagte medial als Märtyrer der Pro-Demokratie-Bewegung stilisiert wird.

Vom Textilarbeiter zum Millionär

Dabei mutet seine Lebensgeschichte durchaus wie ein filmreifes Heldenepos an. In eine wohlhabende Familie in der Provinz Guangdong geboren, verlieren die Lais ihr gesamtes Hab und Gut im Zuge von Mao Tsetungs kommunistischer Revolution. Die Mutter landete im Arbeitslager, der Vater konnte rechtzeitig nach Hongkong fliehen.

Als Zwölfjähriger folgte ihm Jimmy Lai ebenfalls in die damals britische Kronkolonie. Dort schuftete er in den Textilfabriken der Stadt, brachte sich selbstständig Englisch bei und lotete seine Chancen aus. Mit unvorstellbarem Fleiß und unternehmerischem Geschick arbeitete er sich in Windeseile zum erfolgreichen Unternehmer hoch, baute in wenigen Jahren mit der Marke »Giordano« ein Modeimperium auf und brachte es zu beachtlichem Reichtum.

Doch 1989 folgte der politische Wendepunkt des Geschäftsmannes Lai. Als Pekings Volksbefreiungsarmee die Studentenbewegung vom Tiananmen-Platz niederschoss, entwickelte er sich zum leidenschaftlichen Gegner der Kommunistischen Partei. Jimmy Lai wandte sich dem Verlagsgeschäft zu, gründete mit »Apple Daily« ein reißerisches Revolverblatt, das jedoch auch der prodemokratischen Bewegung eine mächtige Stimme lieh.

Nicht nur auf Papier setzte sich der überzeugte Christ für seine Positionen ein: Lai marschierte stets selbst mit den Peking-kritischen Demonstranten auf den Straßen – und zwar auch dann, wenn die Luft bereits von den Tränengas-Geschossen der Polizei durchtränkt war.

Erst mit dem nationalen Sicherheitsgesetz von 2020, das Peking zur Unterdrückung der Hongkonger Opposition geschmiedet hatte, änderten sich die Machtverhältnisse grundlegend: Politiker wurden über Nacht festgenommen, Aktivisten eingeschüchtert, kritische Medien geschlossen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich der Sicherheitsapparat auch Jimmy Lai schnappte.

Seit über 1000 Tagen sitzt dieser bereits im Gefängnis. Seine harschen Haftbedingung hatte zuletzt die Nachrichtenagentur AP dokumentiert. So wird Jimmy Lai 23 Stunden pro Tag in Einzelhaft gesperrt, nur 50 Minuten darf er in einem winzigen, von Stacheldraht umzäunten Innenhof verbringen.

Unterstützung aus dem Westen

Die internationalen Reaktionen belegen, welch eine Bedeutung dem Prozess zukommt. Großbritanniens Außenminister David Cameron sagte am Sonntagabend, die politisch motivierte Strafverfolgung des 76-Jährigen müsse dringend eingestellt werden. Seine Kritik richtet sich dabei auch ganz direkt gegen die Zentralregierung in Peking, die mit dem Gesetz zur nationalen Sicherheit die Freiheiten der einstigen britischen Kronkolonie ausgehöhlt habe: »Verhaftungen auf der Grundlage des Gesetzes haben die Stimmen der Opposition zum Schweigen gebracht.«

Auch die US-Regierung hat am Montag die sofortige Freilassung von Jimmy Lai gefordert. Wie es in einer Stellungnahme des Außenministeriums heißt, haben die Repressionen »dem Ruf Hongkongs als internationales Geschäfts- und Finanzzentrum geschadet«.

Für Peking ist Lai vor allem deshalb ein rotes Tuch, weil er sich bis zum heutigen Tage den Drohungen der chinesischen Regierungen nicht gebeugt hat – und das obwohl dem 76-Jährigen die Konsequenzen seines Handelns überaus bewusst sind.

»Ganz egal zu welchem Zeitpunkt oder in welcher Situation du bist: Es ist immer eine gute Idee, für deine Freiheit zu kämpfen«, sagte er kurz vor seiner Festnahme im Interview mit CNN. »Denn ohne Freiheit bleibt einem nichts mehr übrig.«

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