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Adbusting in Berlin: Razzia bei Studentin war illegal
Die Hausdurchsuchung bei einer Berliner Studentin wegen Adbusting war unverhältnismäßig
Die Hausdurchsuchung bei einer Berliner Studentin wegen einer Abusting-Aktion war rechtswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag entschieden. Die höchste Instanz macht klar: Eine wenn überhaupt geringfügige Straftat rechtfertigt nicht den Grundrechtseingriff einer Wohnungsdurchsuchung. Denn die Unverletzbarkeit des eigenen Zuhauses ist in Artikel 13 des Grundgesetzes verankert. Damit rügt das Gericht die Berliner Polizei, das Amtsgericht, das den Durchsuchungen stattgegeben hatte, und auch das Landgericht, das eine Beschwerde der Betroffenen in erster Instanz abgelehnt hatte.
Nach vier Jahren erhält Frida Henkel damit endlich die Bestätigung, um die sie seit September 2019 kämpft. Im Mai 2019 war Henkel von Polizisten beim Öffnen eines Schaukastens an einer Bushaltestelle beobachtet worden. Sie wollte gemeinsam mit einer weiteren Person ein Werbeplakat der Bundeswehr herausnehmen und durch ein anderes, verfremdetes Bundeswehr-Plakat ersetzen. Statt des ursprünglichen Slogans »Geht Dienst an der Waffe auch ohne Waffe?«, mit dem die Bundeswehr nach IT-Kräften suchte, stand auf dem Poster »Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe!«. Mit der Aktion sollte in klassischer Adbusting-Manier Außenwerbung derart verfremdet werden, dass sie eine politische Botschaft transportiert. »Ad« steht dabei für »advertisement«, also Werbung, und »busting« für »hochgehen lassen«.
Die Polizei nahm die Personalien der beiden auf, Henkel rechnete mit Anzeige und Verfahren. Doch stattdessen standen Polizist*innen vor Henkels Wohnungstür: Hausdurchsuchung. Sie beschlagnahmten Henkels Handy und hinterließen ein Gefühl der Unsicherheit. Für Henkel und ihre Unterstützungsgruppe »Plakativ« stand schnell fest: Diese Maßnahme konnte nicht verhältnismäßig gewesen sein. Sie vermuteten einen politischen Hintergrund, denn in ihrem Antrag auf die Hausdurchsuchung schrieb die Berliner Polizei, dass die veränderte Werbung die Bundeswehr »gar lächerlich« gemacht habe.
Dass kein Verdacht auf eine erhebliche Straftat bestand, die eine Hausdurchsuchung begründet hätte, zeigte sich kurze Zeit später: Die Verfahren gegen Frida Henkel und ihre Begleitung wurden wegen Geringfügigkeit eingestellt. Trotzdem lehnte das Berliner Landgericht Henkels Beschwerde gegen die Durchsuchung ab: Der Verdacht auf versuchten Diebstahl und Sachbeschädigung habe die Durchsuchung gerechtfertigt, um auf diesem Wege Beweise zu sichern.
Von wegen, urteilt das Bundesverfassungsgericht: »Die Anordnung der Durchsuchung war unangemessen.« Erstens handle es sich nur um den Vorwurf des versuchten einfachen Diebstahls und kaum um Sachbeschädigung. Die »fehlende Schwere der Taten« stehe im Widerspruch zur »Schwere des Eingriffs«. Zweitens hätte die Durchsuchung kaum der Beweisführung dienen können. Denn Fundstücke wie Werbeplakate, Werkzeuge, Schablonen »und sonstige Materialien zur Umgestaltung von Plakaten« hätten lediglich belegen können, dass Henkel Teil der Adbusting-Szene sei, nicht aber, dass sie im Mai 2019 Diebstahl und Sachbeschädigung begangen haben soll.
»Wir finden es gut, dass das Bundesverfassungsgericht die Berliner Behörden und Gerichte in ihre Schranken gewiesen hat«, sagt Mohamad El-Ghazi zu »nd«. Der Jura-Professor an der Universität Trier hat Henkel als Beschwerdebevollmächtigter unterstützt. Er hat den Eindruck, dass die Beschwerde schon vor dem Urteil Wirkung entfaltet hat. »Die Behörden sind schon deutlich vorsichtiger geworden, was Repressionen und Hausdurchsuchungen wegen Adbusting-Aktionen betrifft.« Mit dem Urteil hätten sie jetzt schwarz auf weiß, »dass polizeiliche Maßnahmen immer ins Verhältnis zu setzen sind mit dem Grundrechtseingriff.« Gerade in Stadtstaaten komme es jedoch immer wieder zu Situationen, in denen Anträge schlicht durchgewunken würden, »einfach weil keine Zeit da ist«.
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»Es ist eine Genugtuung, nach so einer langen Zeit endlich bestätigt zu bekommen, dass die Hausdurchsuchung rechtswidrig war«, sagt Henkel. Wie El-Ghazi hofft sie, dass das Urteil auf die Polizei eine »abschreckende Wirkung« entfaltet. Illusionen macht sie sich aber nicht: »Mein Optimismus, dass es nie wieder zur Repression gegen politische Aktivist*innen kommt, ist relativ gering.«
Dennoch zeige das Urteil gerade der Öffentlichkeit, dass nicht jede polizeiliche Maßnahme legitim sei – ein wichtiges Argument gerade gegenüber denjenigen, die sich Fehlverhalten von Seiten der Exekutive nicht vorstellen wollen. »Wenn ich mit Bekannten darüber geredet habe, stand schon manchmal der Gedanke im Raum, ob es vielleicht nicht doch einfach meine Schuld war, ob ich am Ende die Kriminelle bin«, sagt Henkel. Die höchstrichterliche Bestätigung, dass Hausdurchsuchungen nicht unbedingt rechtmäßig sind, könnte in ihren Augen die Solidarität mit von Repression Betroffenen stärken.
Nur in einem Punkt hat das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde nicht bestätigt. Henkel und ihre Mitstreiter*innen hatten auch eine Verletzung der Meinungs- und Kunstfreiheit beklagt: Adbusting ließe sich als politischer beziehungsweise künstlerischer Ausdruck verstehen, dementsprechend hätte die Hausdurchsuchung diese zwei Grundrechte unverhältnismäßig eingeschränkt. Hier stimmte das Gericht nicht eindeutig zu. Selbst in dem Fall, dass Adbusting durch die Meinungs- oder Kunstfreiheit geschützt sei, müsste dieser Schutz mit der Strafbarkeit der jeweiligen Aktion abgewogen werden, hieß es in der Urteilsbegründung. El-Ghazi ist jedoch zufrieden, dass das Gericht überhaupt diesen Punkt aufgenommen hat. »Damit deutet es zumindest an, dass Abusting von der Meinungs- und Kunstfreiheit geschützt ist.«
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