Sachsens Freie Wähler wollen »bayrische Lösung«

Blinken nach rechts und gnadenloser Populismus: Vereinigung strebt in Landtag und Regierung

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Matthias Berger (rechts), Spitzenkandidat der Freien Wähler Sachsen, mit seinem bayrischen Kollegen Hubert Aiwanger
Matthias Berger (rechts), Spitzenkandidat der Freien Wähler Sachsen, mit seinem bayrischen Kollegen Hubert Aiwanger

Nach der Oberbürgermeisterwahl im sächsischen Pirna herrscht Katerstimmung. Mit Tim Lochner stellt die rechtsextreme AfD erstmals in Deutschland einen Oberbürgermeister. Die Frage, ob das hätte verhindert werden können, sorgt für Schuldzuweisungen zwischen Parteien. Schließlich hatte Lochner, der mit 38,5 Prozent gewann, im entscheidenden Wahlgang zwei Kontrahenten: CDU-Frau Kathrin Dollinger-Knuth, die auf gut 31 Prozent kam, und Ralf Thiele von den Freien Wählern, der gut 30 Prozent erhielt, im ersten Wahlgang aber Zweitplatzierter gewesen war.

Die Freien Wähler kritisieren nun die CDU, die ihre von Die Linke, Grünen und SPD unterstützte Kandidatin im Rennen ließ, statt für Thiele zurückzuziehen. Man habe »bewusst in Kauf genommen, für die AfD den Steigbügelhalter zu spielen«, sagte Landeschef Thomas Weidinger. Kreischef Matthias Weinlich betonte, »Demokraten« hätten einen Zweikampf ermöglicht.

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Allerdings hätte das, wie manche anmerken, die progressive Stadtgesellschaft vor die Wahl zwischen Pest und Cholera gestellt. Die Freien Wähler betrieben in Pirna eine Politik, die »ganz bewusst nach rechts ausgerichtet« sei, sagt ein Kenner der Verhältnisse. Verwiesen wird auf Thieles Wählerwerbung mit dem Slogan »Unkontrollierte Einwanderung jetzt stoppen!«, aber auch auf eine Ratsabstimmung vom April 2020, als AfD und Freie Wähler gemeinsam Fördermittel für das Demokratieprojekt Aktion Zivilcourage kürzten. Beide könnten auf »gute Zusammenarbeit im Stadtrat zurückblicken«, sagt der Linke-Politiker Lutz Richter. Ein fragwürdiges Licht auf die Freien Wähler wirft auch ein von einem ihrer Stadträte organisierter und für November geplanter Vortrag von Götz Kubitschek, Vordenker der extremen Rechten, Gründer des rechtsextremen Instituts für Staatspolitik und Intimus des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke. Die Pirnaer Grünen attestierten den Freien Wählern ein »Demokratieproblem« und rätselten, ob dahinter »Naivität oder Vorsatz« stehe.

Denkbar ist beides. Die Freien Wähler sind auch in Sachsen eine äußerst heterogene Gruppe. Sie selbst bezeichnen sich gern als »ideologiefrei« und ausschließlich an Sachpolitik orientiert. Doch das Portal »Endstation rechts« verortete einige von ihnen schon 2019 »zwischen Neuer Rechter und Wutbürgern«. Namentlich erwähnt wurde der Kreisverband Dresden um Susanne Dagen. Die Buchhändlerin saß zeitweise im Kuratorium der von der AfD gegründeten Desiderius-Erasmus-Stiftung und rief gemeinsam mit Kubitscheks Ehefrau Ellen Kositza die Veranstaltungen »Mit Rechten lesen« ins Leben. Das Bündnis »Dresden nazifrei« sah die Freien Wähler Dresden, die bei der Stadtratswahl 2019 auf 5,3 Prozent und vier Mandate kamen, im »braunen sächsischen Mief« stecken. »Endstation rechts« sprach von einem Netzwerk aus »Pegida-treuen, Neurechten und AfD-Fans«.

Dresden mag ein Ausreißer sein. Anderswo agieren die Freien Wähler, die bei den Kommunalwahlen 2019 landesweit 25,8 Prozent der Stimmen erhielten, unauffälliger. Zum Pragmatismus, den sie sich selbst attestieren, gesellt sich aber oft eine gehörige Portion Populismus, gern auch mit rechtskonservativem Drall. So wettert etwa der Grimmaer Oberbürgermeister Matthias Berger in Stammtischmanier über die Bundesrepublik als einen Staat, der »längst dysfunktional« geworden sei, und über Abgeordnete als »Politikentertainer«. Die Parteiendemokratie bezeichnet er als »überhaupt nicht mehr vermittlungsfähig«.

Derlei verächtliche Äußerungen über den Politikbetrieb kommen von einem Mann, der es dort 2024 weit bringen will. Der 55-jährige Berger, der seit 2001 das Grimmaer Rathaus leitet, soll die Freien Wähler in Sachsen als Spitzenkandidat in die Landtagswahl führen. Bei diesen schnitt man zuletzt bescheiden ab: 2014 kamen die Freien Wähler auf 1,6 Prozent, fünf Jahre später auf 3,4 Prozent. Danach gab es heftige interne Querelen; der damalige Landeschef Steffen Große wurde aus dem Amt gedrängt und gründete eine eigene Partei. 2024 aber hofft man auf den Einzug in den Landtag und sogar eine Regierungsbeteiligung. Man wolle »Herrn Kretschmer die Grünen abnehmen«, heißt es in Anspielung auf die permanent öffentlich geäußerte Abneigung des CDU-Regierungschefs gegen den Koalitionspartner. Landeschef Weidinger schwärmt von einer »bayrischen Lösung«. In Bayern stellen die Freien Wähler mit Hubert Aiwanger den Vize-Regierungschef – einem Mann, der Bürger in bestem AfD-Sound aufforderte, sich die Demokratie »zurückzuholen«.

Berger lässt sich gern mit dem Bayern sehen und wird gelegentlich als »sächsischer Aiwanger« bezeichnet. Kerstin Köditz, örtliche Landtagsabgeordnete der Linken, nennt ihn unter Verweis auf sein Politikverständnis im Rathaus den »Fürsten von Grimma«. Hätte er Einfluss im Land, verheiße das etwa für Jugendarbeit und Demokratieprojekte nichts Gutes. Über letztere sagte Berger, wenn der Bund eine Viertelmilliarde ausgebe, um »bunte Bilder zu malen und die Demokratie gut zu finden, dann ist das schlecht angelegtes Geld«. Köditz fürchtet, eine Brandmauer nach rechts existiere für Berger nicht. Bei seiner Vorstellung als Spitzenkandidat hatte er gesagt, die »Ausschließeritis« gegenüber der AfD sei »kein guter Stil«.

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