Tunesien: Kommunalwahlen in seltsamer Verfassung

Tunesiens Kommunalwahlen tragen die Handschrift des Präsidenten Kais Saied

  • Amal Trabelsi, Tunis
  • Lesedauer: 3 Min.

In Tunesien, das seit dem Arabischen Frühling als »Leuchtturm der Demokratie« gepriesen wird, finden am 24. Dezember erstmals nach der Verfassungsreform Kommunalwahlen statt. So weit, so gut, könnte man meinen. Doch diese Wahl gibt Rätsel auf. Die im Juli 2022 beschlossene Verfassungsänderung, die zwar durch ein Referendum mit magerer Beteiligung der Tunesier*innen bestätigt wurde, führte mit dem sogenannten Nationalrat der Regionen und Bezirke eine zweite Kammer ein, die sich bislang jedoch nicht konstituiert hat. Zudem ist das Verhältnis zwischen Nationalrat und Parlament völlig unklar. Dadurch ergibt die jetzige Wahl ein Bild von Verwirrung, das der Entschlüsselung bedarf.

Bei den Kommunalwahlen treten über 7000 Kandidat*innen an, sie treten allerdings nicht für Parteien an, sondern als Unabhängige. Kais Saied, Tunesiens Präsident, mag keine Parteien. Ihm schwebt eine direkte Demokratie vor. Damit sieht er sich im Einklang mit vielen Tunesier*innen, die sich wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise von den Parteien enttäuscht abgewandt haben.

Räte mit ungeklärten Befugnissen

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Bei den nun stattfindenden Kommunalwahlen werden in 2155 Wahlkreisen insgesamt 279 Gemeinderäte gewählt. Welche Befugnisse und Zuständigkeiten diese haben beziehungsweise ob sie überhaupt eine Funktion besitzen, ist ungeklärt, zumal sie in der Verfassung von 2022 nicht erwähnt werden.

Der Weg zur Konstituierung der zweiten Kammer könnte unübersichtlicher kaum sein. Der/die Gewinner*in eines Wahlkreises wird mit anderen Gewählten plus einer Person mit Behinderung in einer »Delegation« zusammensitzen. Durch Auslosung wird eine der gewählten Personen für drei Monate in einem der 24 »Regionalräte« vertreten sein. Diese Regionalräte wiederum werden sich in fünf Bezirksräten treffen, die dann in die zweite Kammer gewählt werden. Da jeder Regionalrat drei Vertreter*innen wählen wird, besteht die neue Kammer aus 77 Mitgliedern – drei pro Region und einem pro Bezirk.

Von diesem Prozedere sind selbst die zuständigen Behörden überfordert. Der Sprecher der tunesischen Wahlbehörde musste kürzlich im Radio gegenüber einem Juristen einräumen, dass vieles unklar sei und eigentlich zunächst die Aufgaben und Kompetenzen der Gewählten geklärt werden müssten, bevor zur Wahl geschritten wird. Dafür reicht aber nicht mehr die Zeit. Das ficht Saied bei seinem Umbau der tunesischen Institutionen nicht an, die einem Plan folgen: Direkt und zentralistisch wird sein neues Tunesien sein.

Kein Absturz, nur Müdigkeit

Der Umbau Tunesiens geht an den meisten Tunesier*innen vorbei. Sie haben andere Sorgen. Denn auch wenn der von den Gebern immer wieder an die Wand gemalte große Absturz der tunesischen Volkswirtschaft bislang ausbleibt, halten die Löhne kaum mit den gesteigerten Lebenshaltungskosten Schritt. Bei den Parlamentswahlen im Dezember 2022 beteiligte sich nur jede*r neunte Wahlberechtigte. Jetzt erwarten Beobachter*innen einen erneuten Tiefstwert, da die Tunesier*innen keinen wirklichen Grund für ihre Stimmabgabe sehen. Saied wird die bei der geringen Wahlbeteiligung zu erwartende hohe Zustimmungsrate dennoch für sich als Erfolg reklamieren.

Der immer schwächer werdenden Opposition sind die Hände gebunden. So wurde die Vorsitzende der autoritär-konservativen »Freie Verfassungspartei«, Abir Moussi, vor mehr als zwei Monaten festgenommen, als sie nach eigenen Aussagen Beschwerden gegen die Kommunalwahlen vorbringen wollte. Die NSF – ein Zusammenschluss mehrerer Parteien rund um die ehemalige islamisch-konservative Regierungspartei Ennahda – sowie der Großteil linker und progressiver Parteien, die kaum Rückhalt in der Gesellschaft haben und zivile Bündnisse rufen zum Boykott der Kommunalwahlen auf. Das ist irgendwie verständlich, da gegen Saied bislang kein Kraut gewachsen scheint, er unbeirrt den Umbau durchzieht, könnte allerdings unfreiwillig die politische Apathie verstärken. Fest steht: Die Tunesier*innen haben es mit ihrer politischen Elite, gleich welcher Couleur, nicht leicht.

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