Thome: »Die Justiz braucht mehr demokratische Legitimation«

Richter Hendrik Thome über Vetternwirtschafts-Vorwürfe gegen NRW-Justizminister Limbach und Probleme bei der Berufung hoher Beamter in Gerichten

  • Interview: David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.

Nordrhein-Westfalens Grünen-Justizminister Benjamin Limbach steht seit Monaten wegen des Versuchs, das Präsidium des Oberverwaltungsgerichts Münster mit einer Bekannten zu besetzen, in der Kritik. Wie beurteilen Sie den Vorgang?

Ich wäre da vorsichtiger mit meiner Kritik. Das Besetzungsverfahren weist mehrere Besonderheiten auf. Limbach hat nicht einfach das laufende Besetzungsverfahren der alten Landesregierung zu Ende geführt, sondern es für eine weitere Kandidatin geöffnet. Das ist zulässig, denn die Besetzung des Postens ist eine Regierungsentscheidung. Die neue Kandidatin war Verwaltungsrichterin und ist seit vielen Jahren Abteilungsleiterin im NRW-Innenministerium. Grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden, dass jemand mit einer Laufbahn außerhalb der Justiz Präsident des Oberverwaltungsgerichts wird. Die Frage ist nur, wer stellt auf welcher Grundlage fest, dass eine solche »Quereinsteigerin« geeignet ist. Ich teile nicht der Auffassung der Verwaltungsgerichte, die das Besetzungsverfahren vorerst gestoppt haben, dass der Justizminister für die sogenannte Überbeurteilung nach Beamtenrecht nicht zuständig gewesen sein soll. Bei allen Bewerber*innen wird man davon ausgehen dürfen, dass sie eine hervorragende Leistungsbeurteilung mitbringen. Warum die Abteilungsleiterin des Innenministeriums gegenüber den anderen besser geeignet sei, lässt sich kaum sachlich begründen. Limbach steht zudem unter besonderem Legitimationsdruck, weil von einem persönlichen Näheverhältnis zu »seiner« Kandidatin gesprochen wird. Auch das allein ist kein Ausschlusskriterium, aber in der Gesamtschau wird es zu einem Problem. Was mich persönlich am meisten an der Kandidatin irritiert, ist ihre langjährige Tätigkeit für die katholische Kirche, bevor sie ins Innenministerium wechselte. Dieser Institution traue ich nicht.

Denken Sie, dass der Vorgang das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz grundlegend erschüttert?

Interview

Hendrik Thome ist Richter am Amtsgericht in Duisburg-Hamborn.

Die Besetzung der höchsten Richterämter und der Einfluss der Politik darauf ist immer ein staatspolitisch besonders sensibles Terrain. Aber wir sind hier nicht in Polen, wo die bis vor Kurzem herrschende PiS-Partei die Justiz systematisch auf ihre Linie bringen wollte. Davon kann in Deutschland aktuell keine Rede sein. Der Vorgang um die Präsidentenstelle wird derzeit von einer SPD parteipolitisch ausgeschlachtet, die inhaltlich und personell am Ende ist und es zu ihren Regierungszeiten auch nicht viel anders gemacht hat. Und auch der eher konservative Deutsche Richterbund muss sich fragen lassen, warum er jetzt gegen einen grünen Justizminister zu Felde zieht, der insgesamt bemüht ist, einiges in seinem Ressort anders und besser zu machen.

Teilen Sie nicht auch die Kritik der Neuen Richtervereinigung, dass Limbach das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz beschädigt hat?

Zunächst möchte ich klarstellen, dass auch der OVG-Präsident oder die Präsidentin keinen unmittelbaren Einfluss auf dessen Rechtsprechung und die der Verwaltungsgerichte hat. Alle Richterinnen und Richter üben ihre Tätigkeit frei und unabhängig aus. Bei der Einstellung und Beförderung ist die Richterschaft dagegen immer abhängig gewesen von der Justizverwaltung, und bei der Besetzung der Spitzenämter gibt es eine Einflussnahme der Politik. Wenn wir die Unabhängigkeit der Justiz als dritte Staatsgewalt stärken wollen, müssen wir uns Gedanken machen, wer nach welchen Kriterien über ihr Spitzenpersonal entscheidet. Aktuell gibt es für die Eingangsämter gar nicht genug Bewerber mit Spitzennoten, weil die Justiz Berufseinsteiger im Vergleich zu großen Kanzleien oder Unternehmen nicht gut genug bezahlt. Und in der hohen Sphäre der Chefpräsidenten sind natürlich nur Spitzenjurist*innen. Am besten würfelt man die Personalentscheidungen hier aus. Wenn wir das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz stärken wollen, dann muss die Richterschaft außerdem diverser werden. Es fehlen insbesondere Leute mit Migrationshintergrund, aus der Queer-Community und – vielleicht besonders wichtig – Arbeiterkinder.

Wird also der Fall Limbach künstlich hochgekocht?

Das ist einfach dumm gelaufen. Wenn es in Zukunft anders und besser laufen soll, brauchen wir mehr Selbstverwaltung in der Richterschaft und Wahlausschüsse, die demokratisch in Personalfragen entscheiden. Auch die Justiz braucht mehr gesellschaftliche Verankerung und demokratische Legitimation.

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