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Verzögerte Covid-Impfgerechtigkeit

Über Covax wurden zwei Milliarden Vakzindosen in den Globalen Süden geliefert – viel später als notwendig

Impfung mit dem Corona-Impfstoff von Astra-Zeneca in Bangladesch. Es dauerte vier Monate, bis das Land Covax-Vakzine für die zweite Dosis erhielt.
Impfung mit dem Corona-Impfstoff von Astra-Zeneca in Bangladesch. Es dauerte vier Monate, bis das Land Covax-Vakzine für die zweite Dosis erhielt.

»Wir wussten, dass die Marktkräfte allein keinen gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen und anderen Hilfsmitteln ermöglichen würden«, sagt Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Daher wurde im Jahr 2020 unter dem Motto »niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind« der Covax-Mechanismus gestartet. Covid-19 war nicht nur die erste Pandemie der Menschheitsgeschichte, in der frühzeitig Impfstoffe bereitgestellt werden konnten. Diese sollten auch solidarisch verteilt werden, damit jedes Land zumindest über genügend Impfdosen verfügt, um die am meisten gefährdeten Menschen zu schützen. Zum Jahreswechsel hat nun Covax, Abkürzung für Covid-19 Vaccines Global Access, die Arbeit beendet. Für die Initiatoren mit Erfolg: »Covax konnte zwar die tragische Ungleichheit bei den Impfstoffen nicht vollständig überwinden, trug aber wesentlich dazu bei, das durch Covid-19 verursachte Leid im Globalen Süden zu lindern.«

Die Ergebnisse klingen beeindruckend: Bis Ende 2023 wurden fast zwei Milliarden Impfdosen und Injektionshilfen an 146 Länder mit niedrigem Einkommen ausgeliefert. Laut den Initiatoren – neben der WHO und dem Kinderhilfswerk Unicef auch die öffentlich-private Impfallianz Gavi und die Koalition für Epidemievorbeugung – seien dadurch schätzungsweise 2,7 Millionen Todesfälle verhindert worden. Außerdem konnten zwei Milliarden US-Dollar für die Durchführung von Impfungen vor Ort bereitgestellt werden.

Doch der Anspruch, weltweit Entwicklung und Herstellung, politische Beratung, Regulierungssysteme, Zuteilung von Lieferungen, Transportlogistik sowie die Verabreichung von Impfstoffen samt Datenauswertung zu koordinieren, wurde nie erfüllt. Eigentlich wollte Covax schon bis Ende 2021 zwei Milliarden Dosen Impfstoffe einkaufen und fair verteilen. Doch es kam zu massiven Verzögerungen. Bei einer Geberkonferenz im April des Jahres schlug die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen Alarm: Der Covax-Mechanismus werde »durch bilaterale Exklusivverträge der reichen Länder mit den Impfstoffherstellern unterlaufen«. In vielen Ländern habe selbst das besonders exponierte Gesundheitspersonal noch keine einzige Impfung bekommen. »Wir sehen kein solidarisches Vorgehen, sondern Impfstoffnationalismus, bei dem die globale Perspektive dieser Pandemie ignoriert wird«, kritisierte Elisabeth Massute von der Medikamentenkampagne der NGO. Hinzu kam, dass 70 Prozent der Impfstoffe, die zu jener Zeit über Covax verteilt wurden, von einem indischen Hersteller kamen und der Subkontinent aufgrund einer gewaltigen tödlichen Covid-Welle den Export beschränkte. Statt laut der ursprünglichen Planung bis Ende Juni für 3,3 Prozent der Bevölkerung in 140 Ländern Impfstoffe zur Verfügung stellen, gelang dies nur für 1,3 Prozent.

Besonders knausrig waren indes die mRNA-Vakzin-Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna, die ihre Entwicklungen in klingender Münze belohnt sehen wollten, wozu die Verträge mit reichen Industriestaaten am besten geeignet waren. Biontech schloss zwar schon im Februar 2021 eine Vereinbarung mit Covax – aber über die eher symbolische Menge von bis zu 40 Millionen Dosen zur Lieferung im Laufe des Jahres. Zum Vergleich: Bereits bis zum Sommer 2021 lieferte das Biotechunternehmen weltweit über eine Milliarde Covid-Impfstoffdosen aus.

Im Grunde lief Covax erst dann richtig an, als in den Industrieländern alle Impfwilligen – darunter auch Gesunde und junge Leute, die bereits nach damaliger Erkenntnis kein nennswertes Risko einer schweren Erkrankung haben – mehrfach gepikst waren. Große Mengen gingen erstmals im dritten Quartal 2021 ein, wie die Covax-Initiatoren einräumen.

Dennoch ziehen sie ein verhalten positives Fazit: Drei Viertel aller Covid-Impfstofflieferungen an arme Länder seien über Covax erfolgt, heißt es in einer Erklärung. Diese hätten immerhin eine Durchimpfungsrate von 57 Prozent erreicht, wobei der weltweite Durchschnitt allerdings bei 67 Prozent liegt. Beim Gesundheitspersonal, das für die Rettung von Leben und die Aufrechterhaltung der Gesundheitssysteme am wichtigsten ist, beträgt die Rate im Globalen Süden 84 Prozent. Auch beschritt Covax innovative Wege: In Kriegs- und Krisengebieten wurde erstmals versucht, Medizinprodukte über nicht staatliche Kanäle bereitzustellen, was zwar schwierig gewesen sei, aber Erkenntnisse für die Nutzung in anderen humanitären Programmen geliefert habe.

Auch die Covid-19-Impfungen laufen weiter, und zwar über die regulären Programme von Gavi, zumal noch Covax-Gelder übrig sind. Bisher haben 58 einkommensschwächere Länder insgesamt 83 Millionen Dosen für 2024 beantragt. Auch deshalb bleibt WHO-Chef Ghebreyesus ist trotz aller Rückschläge in der Pandemie optimistisch: »Aus Covax haben wir wertvolle Lehren gezogen, die uns helfen werden, auf künftige Epidemien und Pandemien besser vorbereitet zu sein.«

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