• Berlin
  • Berliner Bildungskrise

Beschulung geflüchteter Kinder: Schulfrei wider Willen

Senat halbiert die Plätze in schulvorbereitenden Kursen für geflüchtete Kinder auf 300

  • Jule Meier
  • Lesedauer: 4 Min.

So schlecht wie noch nie schnitten Deutschlands Neuntklässler*innen bei der Pisa-Studie aus dem Jahr 2022 ab, die Ende 2023 veröffentlicht wurde. Eine aktuelle Studie der OECD legt nahe, dass die soziale Ungerechtigkeit im deutschen Schulsystem im Vergleich zu europäischen Nachbarn besonders stark ist. Welche Folgen eine Politik des schlanken Staats für Kinder und Jugendliche in Berlins Sammelunterkünften für Geflüchtete sowie im Übergang zur Regelschule hat, geht aus einer schriftlichen Anfrage der bildungspolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus Marianne Burkert-Eulitz hervor.

Zahl schulpflichtiger Kinder

Kinder und Jugendliche, die zugewandert sind und über einen befristeten oder unbefristeten Aufenthaltstitel verfügen, unterliegen der deutschen Schulpficht. Dies gilt auch für Geduldete. Kinder und Jugendliche, die ohne Duldung ausreisepflichtig sind, haben lediglich das Recht auf einen Schulbesuch, jedoch keine Pflicht.

Nach Informationen des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) lebten am 1. Dezember 2023 insgesamt 6776 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter zwischen 6 und 18 Jahren in Unterkünften, die in der Verantwortung des LAF liegen. Die meisten von ihnen leben im Bezirk Lichtenberg, dicht gefolgt von Tempelhof-Schöneberg und Pankow.

Beschulungsbedürftige, die im ehemaligen Flughafen Tegel leben, werden in den wöchentlichen Sammelmeldungen des LAF nicht erfasst, da sie in sogenannten Unterkünften mit spezifischem Status leben. Hier seien zum 5. Dezember 2023 »619 schulpflichtige Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 16 Jahren und 171 Jugendliche im Alter von 17 und 18 Jahren untergebracht«, wie aus der Antwort der Bildungssenatsverwaltung hervorgeht.

Die Bildungssenatsverwaltung erhebt keine Daten zu Kindern und Jugendlichen, die nicht beschult werden können und im Verantwortungsbereich des LAF untergebracht sind. Im Zweiwochenrhythmus erfasst dafür die Koordinierungsstelle für Willkommensklassen die Anzahl der Kinder, die auf Schulplätze warten. Dies betrifft sowohl Geflüchtete als auch Migrierte. Zum Zeitpunkt der schriftlichen Anfrage lag die Zahl bei 967 Wartenden.

Schulvorbereitende Maßnahmen

Wer in einer Sammelunterkunft lebt und Beschulungsbedarf hat, konnte im Dezember 2023 noch einen der 735 Plätze aus 49 Lerngruppen in Anspruch nehmen. »Fit für die Schule« heißt das Übergangsprogramm des Senats, das durchschnittlich sechs Wochen lang von Kindern und Jugendlichen besucht wird – zu kurz, um das gesamte Programm zu absolvieren. Auf die Frage hin, warum die Fluktuation so hoch sei, antwortete der Senat, dass Kinder teilweise in Willkommensklassen wechselten, umzögen oder abgeschoben würden. Auch Behördengänge und Erkrankungen besonders in den kälteren Monaten spielten eine Rolle für die Dauer des Besuchs.

Zum 1. Januar wurde das Programm »Fit für die Schule« vom Senat auf 300 Plätze gekürzt, obwohl derzeit 1000 Kinder auf einen Schulplatz warten. Die Pressestelle von Burkert-Eulitz hat dafür kein Verständnis. »Auch dass das Angebot auf 15 Stunden pro Woche reduziert wird, ist kritisch zu betrachten.« Trägern sollten stattdessen entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden, um Alternativangebote bei Mangel an Regelangeboten zu schaffen.

Deutsch lernen beginnt mit Alphabet

Wer noch kein Deutsch spricht, soll über die Koordinierungsstellen der Willkommensklassen in das deutsche Schulsystem integriert werden. In Charlottenburg-Wilmersdorf warten derzeit etwa 150 Kinder und Jugendliche auf den Zugang zu einer Willkommensklasse. Besonders ist in diesem Bezirk, dass er eine lange Geschichte russischer und ukrainischer Zuwanderung hat und seit Beginn des Ukraine-Kriegs stetig Menschen kommen, die das kyrillische Alphabet erlernt haben.

Das heißt, dass Kinder zunächst Alphabetisierungsklassen besuchen müssten, bevor sie in die Willkommensklassen integriert werden könnten, wie ein Sprecher der bezirklichen Koordinierungsstelle der Willkommensklassen Charlottenburg-Wilmersdorf gegenüber »nd« erklärt. Alphabetisierungsklassen seien jedoch Mangelware. »Wie schnell die Kinder nach der Willkommensklasse dann in die Regelklassen integriert werden können, hängt vor allem vom Wohnort ab.« Besonders an Oberschulen würden Jugendliche schon mal »ein paar Monate« auf einen Schulplatz warten.

Silberstreifen am Tegeler Horizont?

Besonders schwierig ist die Situation für Beschulungsbedürftige in der Großunterkunft Tegel. Während die Kinder und Jugendlichen in der Unterkunft am Flughafen Tempelhof »sofort der bezirklichen Koordinierungsstelle für Willkommensklassen gemeldet werden« und einen Schulplatz erhalten, ist das Ankunftszentrum in Tegel laut Bildungsverwaltung keiner bezirklichen Zuständigkeit zugeordnet.

Ab dem 15. Januar sollen »sukzessive Willkommensklassen auf dem ›P10‹ eingerichtet« werden, wie die Pressestelle der Bildungssenatsverwaltung gegenüber »nd« erklärt. Drei Geschosse des Gebäudes auf dem Tegeler Geländer sollen zur Verfügung gestellt werden, um mehr als 350 Schüler*innen zu unterrichten. »Auch die Einstellungsverfahren für muttersprachliche (meist ukrainische) Tandemlehrkräfte sind angelaufen, um die Schülerinnen und Schüler der Willkommensklassen intensiver betreuen zu können, auch unter Einbeziehung von muttersprachlichem Personal.«

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