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Rechtsrock: »Die Popkultur ist heute viel gespaltener als früher«
Ein Gespräch mit »Testcard«-Mitherausgeber Jonas Engelmann über Popmusik und die Frage, weshalb sie auch von rechts funktioniert
Die neue »Testcard«-Ausgabe trägt den einfachen Titel »Rechtspop«. Was verstehen Sie unter diesem Begriff?
Da muss ich ein bisschen ausholen. Die »Testcard« selbst ist ja schon ein bisschen älter (die erste Ausgabe erschien im Jahr 1995, Anm. d. Verf.). Und damals gab es bei uns und Zeitschriften wie der »Spex« die Idee einer Poplinken, was implizierte, Pop als emanzipatorisches Medium und als komplexe Frage an gesellschaftliche Verhältnisse zu verstehen. Die »Testcard« ist aus dieser recht heterogenen Gemengelage so ziemlich die einzige Institution, die überlebt hat – und das ist sehr bezeichnend. Denn die Idee von Pop als Befreiungsmoment hat sich so offenbar nicht bewahrheitet. Erst ist sie verwässert, und schließlich auch von rechts vereinnahmt worden. Aus dieser skizzierten Entwicklung hat sich bei uns schließlich der Begriff des Rechtspop etabliert.
In der neuen Ausgabe wird die These vertreten, dass Pop heute – anders als in seinen Anfängen – nicht mehr automatisch zukunfts- und emanzipationsorientiert ist. Wie kommen Sie zu dieser Annahme?
Wir hatten als »Testcard« schon immer einen historischen Blick auf Popkultur. Und uns haben dabei immer Emanzipationsbewegungen wie etwa die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung interessiert, in denen Musik ja oft eine sehr wesentliche Rolle gespielt hat. Punk ist da ein weiteres Beispiel, der aber wiederum ganz andere Fragen an die Gesellschaft gestellt hat als etwa der Hip-Hop. Wenn man sich damit tiefergehend beschäftigt, fällt auf, dass es diese Momente in der Form nicht mehr gibt. Die Momente, in denen Gesellschaft heute in der Popkultur noch grundlegend hinterfragt wird, kommen in aller Regel eher von rechts. Sei es im Umfeld der sogenannten Corona-Proteste, wo popkulturelle Elemente eine wichtige Rolle gespielt haben, oder sei es auf internationaler Ebene der neue, kürzlich gewählte argentinische Präsident Javier Milei, der sich ja geradezu als Popstar inszeniert.
Jonas Engelmann ist Herausgeber, Autor und Verleger. Seit 1995 erscheint die Anthologie »Testcard – Beiträge zur Popgeschichte«, die er mit herausgibt. Anlässlich der Veröffentlichung der neuen Ausgabe »Rechtspop« sprach »nd« mit Engelmann über die popkulturelle Gegenwart und darüber, ob ihn angesichts dessen manchmal ein Gefühl der Nostalgie überkommt.
Gleichzeitig aber zeigt sich der Gegenwartspop in der breiten Masse doch deutlich sensibilisierter für Phänomene wie Misogynie, Queerfeindlichkeit oder Rassismus als noch vor 40 oder 50 Jahren. Steht diese Tatsache nicht in deutlichem Widerspruch zu der Grundthese Ihrer Zeitschrift?
Das könnte man so sehen, ja. Das würde ich auch durchaus als Ergebnis poplinker Strategien aus der Vergangenheit bezeichnen: die aktive Einforderung von Überschreitungen, etwa von starren Geschlechtergrenzen. Aber das ist ja nur die eine Seite. Ich glaube, dass die Popkultur insgesamt viel gespaltener ist als früher. Denn gleichzeitig gibt es heute auch ein viel stärkeres Beharren auf ebendiese Grenzziehungen – da könnte man etwa den gesamten Rechtsrock oder Rammstein anführen. Deshalb würde ich sagen, dass beides parallel existiert. Das hat auch jüngst die Causa Rammstein wieder gezeigt, als der – nicht mal besonders linken, sondern oft eher sehr bürgerlichen – Kritik an der Band mit massiven Shitstorms begegnet wurde.
Der Ihrerseits diagnostizierte Rechtstrend ist auch und gerade gesamtgesellschaftlich zu beobachten. Ist Pop also ein einfacher Spiegel der Gesellschaft? Oder ist er nicht vielmehr gesellschaftliche Avantgarde und somit Triebfaktor gesellschaftlicher Veränderung – im Guten wie im Schlechten?
Das kann beides der Fall sein. Die Form, die Pop annimmt, ist auf jeden Fall kein Garant dafür, dass sich dahinter nicht ideologische Abgründe auftun können. Ein Artikel im Heft beschäftigt sich etwa mit Ariel Pink und John Maus (US-amerikanische Indie-Musiker, Anm. d. Verf.), die beide vor zwei Jahren beim Sturm auf das Kapitol beteiligt waren. Sie haben sich stets als musikalische Avantgarde verstanden und gewissermaßen gesagt: Wir kommen aus einer gewissen popkulturellen Tradition, und deswegen wollen wir Grenzen überschreiten. Und deshalb wollen wir auch diese Gesellschaft als solche infrage stellen. Und das ist erst mal interessant – wenn auch zugleich natürlich gefährlich. Deshalb ist die Frage gar nicht so eindeutig zu beantworten, weil mehr oder weniger beides der Fall ist. Vor 20 Jahren hätten wir als »Testcard« vermutlich noch die These vertreten, dass Avantgardemusik, die aus einer bestimmten Tradition kommt, nicht Spiegel der gegenwärtigen Gesellschaft, sondern vielmehr Vorschein einer besseren Gesellschaft ist.
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Bereits die frühe Punkbewegung kokettierte auf offener Bühne mit Nazi-Symbolen wie dem Hakenkreuz. Sie führen in einem Text in der neuen »Testcard« das Beispiel Andreas Gabalier an, der auf dem Cover seines Albums »Volksrock ’n’ roller« ein Hakenkreuz mit seinem Körper geformt hat. Was unterscheidet die beiden Beispiele?
Vieles. Man kann bezüglich der Verwendung faschistoider Symbole im Punk geteilter Meinung sein. Ich selbst halte da vieles auch für problematisch. Aus dem historischen Moment heraus wird es jedoch verständlicher, da es damals insbesondere um eine Abgrenzung gegenüber der Elterngeneration ging, die ja selbst noch im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis gekämpft hatte. Und die wollte man eben provozieren, und zwar mit dem wirkungsvollsten Mittel. In London oder New York war es ja interessanterweise so, dass insbesondere jüdische Punks sich mit Hakenkreuzen geschmückt haben. Ganz unterkomplex würde ich daher sagen: Die Symbole wurden damals dadurch entwertet. Bei Gabalier ist es anders gelagert. Da geht es wieder um Themen wie Tabus oder Sprechverbote, aber sozusagen in affirmativer Weise. Das war im Punk anders, denn da waren die Symbole nie Ausdruck politischer Verortung.
Die letzte Ausgabe der »Testcard« aus dem Jahr 2019 drehte sich rund ums Thema Utopien. Der britische Theoretiker Mark Fisher hat dahingehend einst eine Retro-Fixierung der gegenwärtigen Poplandschaft und daraus abgeleitet eine Form der chronischen Utopielosigkeit festgestellt. Ist der von Ihnen diagnostizierte Rechtstrend unmittelbare Folge dieser Utopielosigkeit?
Ich weiß nicht, ob es eine zwangsläufige Folge war. Der sichtbare Trend ist, dass die Gesellschaft seit dem Fall des Eisernen Vorhangs zunehmend bereit ist, sich autoritären Strukturen unterzuordnen, und dasss einfache Antworten beliebter sind als komplexe Fragen. Das lässt sich nicht nur in der Popkultur, sondern auf allen gesellschaftlichen Ebenen beobachten. Die Frage, ob es eine direkte, empirisch belegbare Verbindung zwischen Utopielosigkeit und Rechtsdrall gibt, kann ich damit nicht beantworten. Aber die Parallele zwischen beiden Phänomenen ist offensichtlich.
Kann man dem Rechtsruck mit Regulierung begegnen – notfalls auch mit staatlicher?
Dort, wo Grenzüberschreitungen juristische Folgen haben, tut der Staat das ja bereits. Und es gab in letzter Zeit auch zunehmend staatliche Aktivitäten gegen rechte musikalische Subkulturen, die vordergründig über Songtexte begründet wurden, und zum Ziel hatten zu verhindern, dass staatliche Fördergelder rechten Subkulturen zugutekommen. Das finde ich begrüßenswert. Aber ein Phänomen wie Rammstein lässt sich staatlich nicht regulieren. Und das wäre auch der falsche Weg. Da würde ich eher auf poplinke Strategien setzen – aber die sind zurzeit schwach.
Wenn Sie von der Poplinken sprechen: Wie blicken Sie auf ein Phänomen wie Feine Sahne Fischfilet, die zwar keinen theoretischen Überbau mitbringen, aber seit vielen Jahren durch ostdeutsche Kleinstädte touren und dort auf durchaus wirksame und mutige Weise antifaschistische Statements setzen?
Ich bewerte die Band nicht musikalisch, denn ihre Form finde ich uninteressant. Für die Stärkung antifaschistischer Strukturen halte ich die Band dennoch für wichtig – gerade auch in Bezug auf Leute, die das erste Mal mit linken Gegenpositionen in Berührung kommen. Daher würde ich der Band auch nicht ans Bein pinkeln wollen, bloß weil ihre Musik mich nicht interessiert.
Werden Sie manchmal nostalgisch, wenn Sie auf Zeiten zurückblicken, in denen die Poplinke besser aufgestellt war als heute?
Das ist eine gute Frage. Ich bin Mitte der 90er Jahre über Punk und alles, was daran hing, musikalisch sozialisiert worden. Für mich hat Popkultur damals bedeutet: irgendwo auf dem Dorf zu sitzen, keine Ahnung zu haben und über Pop sehr viel zu lernen über die Welt und die Gesellschaft und deren Ambivalenzen. Und ich habe schon das Gefühl, dass es das in dieser Form nicht mehr gibt – und falls es das gibt, weiß ich vielleicht bloß nicht, wo. Deshalb hat es natürlich etwas Nostalgisches, darauf zurückzublicken. Gleichzeitig ist Nostalgie auch ein schwieriges Gefühl, weil man dann auch schnell gefangen bleiben kann in dem Gefühl, dass früher alles besser war. Und so möchte ich auf keinen Fall klingen.
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