Die Vize-Flieger: Auch 2024 kein Hannawald-Nachfolger

Andreas Wellinger wird Tournee-Zweiter hinter Ryoyu Kobayashi aus Japan

  • Lars Becker, Bischofshofen
  • Lesedauer: 4 Min.

Sven Hannawald stand mit seinem Handy im Flockenwirbel von Bischofshofen und knipste ein Selfie mit der Siegerehrung im Hintergrund. Ganz oben auf dem Podest: der Japaner Ryoyu Kobayashi. Links neben ihm Andreas Wellinger mit einem gequälten Lächeln. Zum fünften Mal seit 2016 beendete ein deutscher Skispringer die Vierschanzentournee als Gesamt-Zweiter. Damit konnten die »Vize-Flieger« auch 22 Jahre nach dem letzten deutschen Gesamtsieg von Hannawald den Tournee-Fluch nicht brechen.

»Es ist wie verhext. Trotzdem bleibt diesmal ein gutes Gefühl – denn Andreas Wellinger hat Momente für die Ewigkeit kreiert. Die Einschaltquoten im TV waren super, die beiden Tourneespringen in Deutschland ausverkauft, bei seinem Sieg in Oberstdorf haben 25 000 Zuschauer die deutsche Nationalhymne mitgesungen«, kommentierte die Skisprung-Legende Hannawald. »Das war der beste zweite Platz ever.«

Das konnte aber weder Andi Wellinger noch den Rest des Teams so richtig trösten. »Olympia-Gold, WM-Titel: Wir haben in den letzten zehn Jahren alles gewonnen, was man gewinnen kann. Natürlich haben wir davon geträumt, endlich mal wieder bei der Tournee ganz oben zu stehen. Jetzt müssen wir noch mal ein Jahr kämpfen, weil wieder jemand um die Ecke kam, der besser war«, meinte Sportdirektor Horst Hüttel.

Nach seinem Auftakt-Sieg in Oberstdorf und Platz drei im Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen reichten für Halbzeit-Spitzenreiter Wellinger zwei fünfte Plätze in Innsbruck und beim Finale in Bischofshofen nicht aus, um den bei der Tournee mit vier zweiten Plätzen ungemein stabilen Kobayashi zu stoppen. Der Japaner gewann den Skisprung-Grand-Slam als erster Flieger seit 25 Jahren ohne einen einzigen Tagessieg.

Was haben die deutschen Flieger in der Vergangenheit nicht schon alles versucht, um diesen Tournee-Fluch zu brechen. Der ehemalige Bundestrainer Werner Schuster ließ sein Team einmal im Sommer die kompletten zehn Tage in den vier Tournee-Orten imitieren. Diesmal gab es beim Auftakt in Oberstdorf erstmals ein neues Team-Quartier.

Doch bei der Jagd nach dem Goldenen Adler ging schon beim Tournee-Auftakt einiges schief. Die Mitfavoriten Karl Geiger und Pius Paschke – beide hatten unmittelbar vor der Tournee Weltcups gewonnen – waren dem Druck nicht gewachsen und fielen bereits in Oberstdorf aussichtslos in der Tournee-Wertung zurück. »Andi war halt sehr früh schon allein da vorn aus unserem Team. Und ich weiß aus den letzten Jahren, wie groß dieser Rucksack ist«, analysierte Karl Geiger, am Ende enttäuschender 14. bei der Tournee. Paschke wurde gar nur 20.

Wellinger kam als Einziger aus dem eigentlich stärksten deutschen Team seit Hannawalds Triumph 2002 durch – doch auch bei ihm zeigte die Formkurve leicht nach unten. »Kobayashi beantwortet die meisten Fragen nach den Springen halt nur mit Ja und Nein – und dann geht er. Andi hatte immer ein Riesenprogramm an Interviews, weil wir daheim halt so im Fokus stehen«, nannte Horngacher ein Detail als Grund für Platz zwei. Noch mehr von der Öffentlichkeit bei der Tournee abzuschotten sei für die Zukunft trotzdem keine Option.

Auch Andreas Wellinger selbst wollte den öffentlichen Druck nicht als Ausrede gelten lassen: »Den meisten Druck mache ich mir ohnehin selbst – und das Interesse der Öffentlichkeit ist auch ein Privileg. Mir ist die Balance zwischen Anspannung und Entspannung in den letzten zehn Tournee-Tagen eigentlich gut gelungen – bei den beiden Springen in Österreich hat mir vielleicht ein wenig Leichtigkeit und Glück gefehlt. Ich habe nicht viel Fehler gemacht, aber es waren halt ein paar zu viel.« Man müsse anerkennen, dass Kobayashi einfach ein klein wenig besser gewesen sei. Der japanische Überflieger kassierte neben der Siegprämie von 100 000 Schweizer Franken nach 2019 und 2022 seinen dritten Goldenen Adler ein – nach Markus Eisenbichler und Karl Geiger war diesmal Wellinger der geschlagene DSV-Springer. Kobayashi fehlen noch zwei Gesamtsiege zum ewigen Rekordhalter Janne Ahonen (Finnland): »Ich bin bereit, es zu versuchen.«

Andreas Wellinger ist jedoch nach seinem süßsauren zweiten Platz motivierter denn je: »Irgendwann kann man uns nicht mehr aufhalten. Wir müssen hoffentlich nur noch ein Jahr warten.« Sven Hannawald glaubt, dass die deutschen Vize-Flieger die Rolle als »ewige« Tournee-Zweite ablegen werden: »Ich will meinen Rucksack endlich abgeben und einen Nachfolger bekommen. Die Hoffnung ist nach dieser Tournee größer denn je.«

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