»Oury Jalloh – das war Mord«

Gedenkdemonstration zieht zum 19. Jahrestag des Todes von Oury Jalloh durch Dessau

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch Saliou Jalloh (Mitte), der Bruder von Oury Jalloh, ist nach Dessau gekommen und wirft mit anderen Demonstranten Feuerzeuge vor den Eingang des Reviers, in dem sich der damals 36-Jährige nach polizeilicher Darstellung selbst angezündet haben soll. Verschiedene Gutachten haben diese Version widerlegt.
Auch Saliou Jalloh (Mitte), der Bruder von Oury Jalloh, ist nach Dessau gekommen und wirft mit anderen Demonstranten Feuerzeuge vor den Eingang des Reviers, in dem sich der damals 36-Jährige nach polizeilicher Darstellung selbst angezündet haben soll. Verschiedene Gutachten haben diese Version widerlegt.

»Oury Jalloh – das war Mord« skandiert eine kleine Gruppe von jungen Leuten, die den Bahnhof Dessau in Sachsen-Anhalt verlässt. Zunächst scheint es, dass der Ruf schnell wieder verklingt. Doch dann wird er aufgenommen von vielen anderen Menschen, die meist in Gruppen schon im und um das Bahnhofsgebäude von Dessau versammelt sind. Polizist*innen, die sich dort ebenfalls aufgebaut haben, sehen unbeteiligt zu.

Es ist der 19. Jahrestag des Todes des aus Sierra Leone stammenden Asylsuchenden Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Er wurde 36 Jahre alt. Wie jedes Jahr zieht deshalb eine Gedenkdemonstration durch die Stadt. Auch Dessauer*innen sind dabei. »Ich komme seit drei Jahren«, sagt eine Teilnehmerin, die ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Zuerst sei sie noch zufällig in die Demonstration geraten. »Ich habe mich erkundigt, warum die Menschen aus so vielen Städten ausgerechnet an diesen Tag zu uns nach Dessau kommen. Da habe ich erfahren, dass ein junger Mann hier umgekommen ist. Das hat mich erschüttert«, sagt die Frau, die zusammen mit ihrer Nichte auf die Straße geht.

Einige der Demonstrierenden haben sich schon am Vormittag an dem vom Multikulturellen Zentrum Dessau initiierten stillen Gedenken an der Treppe der Polizeiwache beteiligt, in der Oury Jalloh verbrannte. Der bis heute unaufgeklärte Tod des aus Sierra Leone stammenden Mannes steht für viele exemplarisch als Symbol für rassistische Polizeigewalt in Deutschland.

Zusammen mit Antirassist*innen aus ganz Deutschland hat sich Mouctar Bah, ein damaliger Freund von Oury Jalloh, unermüdlich für die Aufklärung eingesetzt. Von den Behörden in Dessau und auch der dortigen Gesellschaft bekamen sie kaum Unterstützung – im Gegenteil, wie einer der Aktivist*innen gegenüber »nd« berichtet. »Die Polizei hat uns schikaniert, es gab immer wieder Razzien, wir wurden als Kriminelle hingestellt und einem Freund von Oury Jalloh wurde die Erlaubnis zur Betreibung eines Spätkaufladens zeitweilig entzogen.«

Gemeint ist der Laden von Mouctar Bah, in dem sich die Freund*innen und Unterstützer*innen des am 7. Januar in der Polizeizelle Umgekommenen in den ersten Jahren getroffen hatten. Damals gab es in der Stadt eine feindselige Stimmung gegen alle, die auf eine Aufarbeitung der Todesfälle in Zusammenhang mit der Dessauer Polizei thematisiert haben – davon gab es mehrere. Im Dezember 1997 hatten Polizisten einen alkoholisierten Autofahrer kontrolliert, später wurde dieser mit inneren Verletzungen und im Sterben liegend nahe der Polizeiwache aufgefunden. 2002 wurde ein Obdachloser in dieselbe Zelle gesperrt wie drei Jahre später Oury Jalloh, dort starb er mit gebrochenem Schädel.

Besonders verfolgt hatte die Polizei jene, die behaupteten, dass Oury Jalloh von Beamten ermordet wurde. Das hat sich geändert. Inzwischen prangt der Slogan »Oury Jalloh – das war Mord« auch auf vielen Transparenten und Schildern. Auf diesen werden aber auch die vielen anderen, meist schwarzen Menschen genannt, die in den letzten Jahren in Deutschland durch Polizeigewalt ums Leben kamen. Aus einigen dieser Städte sind auch dieses Jahr wieder Initiativen nach Dessau gekommen und haben Fotos der Toten mitgebracht. Einer von ihnen ist Mouhamed Lamine Dramé, der am 8. August 2022 in Dortmund durch Polizeikugeln aus einer Maschinenpistole gestorben ist.

In mehreren Reden auf der Auftaktkundgebung wurde daran erinnert, dass der Kampf um Gerechtigkeit für Oury Jalloh auch nach 19 Jahren noch nicht vorbei ist. »Obwohl die von uns initiierten Gutachten zweifelsfrei belegen, dass sich Oury Jalloh nicht, wie die Polizei behauptet, selbst angezündet haben kann, wurde niemand angeklagt«, sagte eine Unterstützerin. Trotz vieler Initiativen und Bemühungen der Unterstützer*innen – darunter mehrere Gutachten, die die polizeilichen Behauptungen widerlegen – mauert die Justiz. Einem Staatsanwalt, der in Erwägung zog, dass Oury Jalloh durch Polizist*innen zu Tode kam und auch Motive dafür nannte, wurde der Fall entzogen.

Doch die Unterstützer*innen geben in ihrem Kampf für Gerechtigkeit nicht auf, wie am Sonntag in Dessau deutlich wurde. Dort wurden Spenden für einen weiteren juristischen Schritt gesammelt. Angehörige von Oury Jalloh wollen dazu den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anrufen. Der kann ermitteln, nachdem in Deutschland alle Rechtswege ausgeschöpft sind, was mittlerweile geschehen ist – auch das Bundesverfassungsgericht will dazu nicht mehr verhandeln. Die Annahme der Klage wäre ein Signal auch für die Unterstützer*innen der vielen anderen Menschen, die durch Polizeigewalt umgekommen sind.

Zum 20. Todestag von Oury Jalloh im nächsten Jahr soll es eine besonders große Mobilisierung nach Dessau geben. Vielleicht gibt es bis zum 7. Januar 2025 schon eine Entscheidung des EGMR, ob dort erneut verhandelt wird.

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