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Der »Kaiser« des deutschen Fußballs ist tot
Erst Lichtgestalt, dann im Zentrum der Sommermärchen-Affäre Franz Beckenbauer stirbt mit 78
Zuletzt hatten die schlechten Nachrichten über Franz Beckenbauers Gesundheitszustand zugenommen, und es war zu ahnen, was kommen könnte. Sorgen um ihn machten sich seine Familie und Freunde schon seit Jahren. Wie im Sommer 2019, als Beckenbauer einen seiner bereits damals seltenen öffentlichen Auftritte hatte.
Gekommen war er ins bayerische Bad Griesbach zur Eröffnung des Kaiser Cups, ein Golfturnier zugunsten seiner Stiftung. Obwohl Beckenbauer dort von einem weiteren gesundheitlichen Rückschlag berichtete nach seinen Herz-Oerationen 2016 und 2017 sowie einer Hüft-OP 2018, gelang es ihm, dies mit seinem typischen Charme vorzutragen. »Ich habe ja schon länger gesundheitliche Probleme. Das ist bekannt. Jetzt war ich zuletzt in einer Spezialklinik, weil Durchblutungsstörungen im Auge festgestellt wurden«, berichtete Beckenbauer, »das entpuppte sich dann als ein Augeninfarkt. Jetzt sehe ich auf dem rechten Auge wenig bis nichts.« Mit seinem Nachsatz brachte er die bestürzten Zuhörer dennoch zum Schmunzeln. »Seid’s mir also nicht böse, wenn ich einen von euch nicht sehe und ihn umrenne«, witzelte Beckenbauer mit einem Lächeln.
Es war ein typischer Franz, ein Satz der Leichtigkeit zu einer ernsten Angelegenheit. Mit diesem Wesenszug wird Beckenbauer vor allem in Erinnerung bleiben. Trotz der Affäre um die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland vor allem als Kaiser der Nonchalance, als begnadeter Kicker des FC Bayern München, als Weltmeister, sowohl als Spieler (1974) als auch als Teamchef ohne Trainerlizenz (1990) sowie als insgesamt prägende Figur des deutschen Fußballs. Und eben als charmanter Gesprächspartner, dem trotz mancher Verfehlungen die Sympathien meist zuflogen.
Angefangen hatte alles in der Zugspitzstraße 6 im früheren Münchner Arbeiterviertel Giesing, als zweiter Sohn des Postobersekretärs Franz Beckenbauer sen. und dessen Frau Antonie. Drei Zimmer im vierten Stock hatten die Beckenbauers, die Toilette war auf dem Flur. Als Fünfjähriger bolzte Beckenbauer in der »Bowazu«-Straßenelf mit den anderen Jungs aus der St. Bonifatius-, Watzmann- und Zugspitzstraße, anfangs mit Stofflumpen oder einer aufgepumpten Schweinsblase. Später dann im Trikot des SC 1906 München im »Stadion Rote Erde«, wie der Platz vor seiner Haustür früher genannt wurde. Im 06er-Trikot erlebte er auch jenen Moment, der seine Karriere maßgeblich beeinflussen sollte. Nach einer Ohrfeige des damaligen 1860-Spielers Gerhard König nahm der Kaiser Abstand von einem Wechsel zu den »Löwen« und schloss sich 1959 dem FC Bayern an.
Dort führte er mit allseits bewunderter Eleganz die Position des Liberos ein und wurde als Spieler unter anderem viermal Deutscher Meister, dreimal Europapokalsieger der Landesmeister sowie mit der Nationalelf Europameister 1972 und Weltmeister 1974. Später kickte er noch für Cosmos New York und den Hamburger SV. Doch verbunden wird er vor allem mit dem FC Bayern, bei dem er später zum Präsidenten und Ehrenpräsidenten aufstieg, nachdem er 1994 und 1996 gleich zweimal als Trainer eingesprungen und dabei wie bei fast allem, was er anfasste, Erfolg gehabt hatte.
So auch als Teamchef der deutschen Nationalmannschaft ab 1984, ehe er nach seinem größten Trainererfolg nach der WM 1990 zurücktrat. Wie Beckenbauer damals am 8. Juli nach dem Titelgewinn durch den 1:0-Sieg im Finale gegen Argentinien allein und mit den Händen in den Hosentaschen über den Rasen des Olympiastadions von Rom schritt, diese Bilder sind fest im Gedächtnis der Nation verankert. Nachdem das große Ziel durch Andreas Brehmes Elfmetertor erreicht war, »wollte ich nur noch allein sein«, erzählte Beckenbauer später, »du guckst auf den Rasen, und in ein paar Minuten fliegt dein ganzes Leben an dir vorbei. Ich dachte an meine Mutter, meine Familie, an den WM-Titel als Spieler 1974 in München und an zu Hause. Bis plötzlich ein Arm kam, mich anfasste und aus den Gedanken riss.« Sein Irrtum, wonach die deutsche Mannschaft wegen der deutschen Einheit »über Jahre hinaus« nicht zu besiegen sein werde? Fast vergessen.
Beckenbauer wirkte immer wie das Glückskind des deutschen Fußballs, auch in seiner Rolle als Medienfigur und Experte. Das galt ebenso in seinem Amt als Orgainsationschef der WM 2006 in Deutschland. Um das Turnier nach Deutschland zu holen, unternahm er eine viel beachtete Werbetour rund um den Globus. Beckenbauer war der Repräsentant, der weltbekannte »Kaiser« eben, der einfach überall dabei sein musste. Auch während des sogenannten Sommermärchens, als er im Helikopter von einem Spiel zu nächsten flog und zum bekanntesten sowie privilegiertesten Groundhopper der Nation wurde. Während des Turniers besuchte er 48 von 64 Partien. Eben noch in Gelsenkirchen, dann schon in Berlin, oder war es doch Stuttgart? Beckenbauer war gefühlt überall gleichzeitig, stets blendend gelaunt, entspannt, die eng getaktete Agenda nahm er mit seinem nonchalanten Lächeln. Man habe »Narrenfreiheit im deutschen Luftraum« genossen, erzählte sein damaliger Helikopter-Pilot Hans Ostler einmal im Magazin »11 Freunde«, »wir waren sogar wichtiger als die Maschine der Bundeskanzlerin«.
Als Beckenbauer am 11. September 2015 seinen 70. Geburtstag feierte, wurden ihm wieder einmal die hübschesten Girlanden geflochten. Viele Medien feierten ihn als gefühlten Monarchen. Das Leben des »Kaisers« wurde in den schönsten Farben nachgezeichnet. Als »Spieler von Gottes Gnaden« und »Weltstar ohne Allüren« bezeichnete ihn sein langjähriger Weggefährte, der frühere DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, »diese Leichtigkeit, die hat er beibehalten in den weiteren Positionen«. Mehr als Beckenbauer zu erreichen »geht ja gar nicht«, befand Niersbach.
Von den bereits damals bekannten Schattenseiten der Lichtgestalt? Kein Wort. Kurz zuvor hatte Beckenbauer privat einen schweren Schicksalsschlag erlitten, als sein Sohn Stephan im Alter von 46 Jahren gestorben war. Im Zuge der Affäre um die Vergabe des sogenannten WM-Sommermärchens hatte sich das Bild von Beckenbauer zwar nicht bei seinen Freunden gewandelt. Dafür aber bei vielen anderen, die ihm stets wohlgesonnen waren und die Franzeleien lange nachsahen, für die er auch immer stand. Es werde sich doch ein Terrorist finden, der das Münchner Olympiastadion in die Luft sprengt, damit die neue Arena gebaut werden kann, sagte Beckenbauer einst in den Vorbereitungen auf die WM 2006 – 30 Jahre nach dem Olympia-Attentat von 1972.
Später hatte er in Katar keinen einzigen Sklaven gesehen. Und als er vor der WM 2014 die Beantwortung der Ethikfragen zu Korruptionsvorwürfen um die WM-Vergaben 2018 in Russland und 2022 in Katar wegen angeblich mangelnder Englischkenntnisse zunächst verweigerte, nahmen ihm weite Teile des Publikums auch das nicht nachhaltig übel. In der Laudatio seiner Ehefrau Heidi zu seinem 70. Geburtstag hieß es über die gemeinsamen Spieleabende: »Wenn es (…) ans Verlieren geht, dann tut er so, als ob er die Spielregeln nicht kennt. Er will ein zweites Mal würfeln oder schiebt ›aus Versehen‹ – wie er sagt – die Figuren auseinander. Typisch Franz. (…) Aber so lieben wir ihn.«
Beckenbauers Chuzpe war auch ein Markenzeichen. »Ja mei, der Franz, so ist er halt«, hieß es dann oft. Tatsächlich zählte zu seinem gewinnenden Wesen, dass er es oft schaffte, seinem Fuß(ball)volk mit entwaffnender Wurschtigkeit zu begegnen. »So groß ist das Verbrechen nun auch nicht. Der liebe Gott freut sich über jedes Kind«, sagte er einst, nachdem er auf einer Weihnachtsfeier des FC Bayern ein Kind gezeugt hatte. Oder auch: »Ich habe mal einen Stammbaum machen lassen: Die Wurzeln der Beckenbauers liegen in Franken. Das waren lustige Familien, alles uneheliche Kinder. Wir sind dabei geblieben.« Das Publikum amüsierte sich, hinterfragt hat es Beckenbauer lange nicht.
Auch nicht, wenn er zu einem Thema A sagte und am anderen Tag das gegenteilige Z. Der Firlefranz, wie ihn der Spiegel früh nannte, durfte das. Auch, weil er stets als freundlicher Weltstar wahrgenommen wurde, der dem Papst genauso auf Augenhöhe begegnete wie dem Autogrammjäger. Doch im Zuge der Affäre um die Vergabe der WM 2006 ahnte das Publikum, dass das Bild von Beckenbauer, dem scheinbar vom Leben geküssten »Kaiser«, wohl nicht ganz stimmig ist. Die mutmaßlichen Bestechungen, die wegen dubioser Zahlungen zumindest nahelagen, konnten allerdings nie eindeutig nachgewiesen werden.
Beckenbauer hatte sich über seinen Tod schon früh Gedanken gemacht. »Ich glaube tatsächlich an die Wiedergeburt. Vielleicht war ich schon mal da, als Pflanze oder so. Ich weiß es nicht. Ich habe mich bislang noch nicht rückführen lassen. Aber das möchte ich vielleicht mal«, sagte er 1994. Bereits am Sonntag ist Franz Anton Beckenbauer im Alter von 78 Jahren gestorben. Für viele wird er vor allem als »Kaiser der Leichtigkeit« in Erinnerung bleiben.
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