- Politik
- Spanien
Spaniens Ministerpräsident Sánchez auf Kompromisssuche
Spaniens Ministerpräsident braucht lagerübergreifende Mehrheit für Gesetzespaket
Seine Wiederwahl war ein Coup, das Regieren gestaltet sich mühselig. Nur ein breites lagerübergreifendes Bündnis ermöglichte es dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez im November, sich eine neue Mehrheit im spanischen Parlament zu sichern. Seither regiert er vor allem mit Dekreten, die vorab keiner parlamentarischen Zustimmung bedürfen. Doch am Mittwoch könnten im Madrider Parlament etliche über Dekrete schon eingeführte Vorhaben wieder fallen, weil sie nicht die nötige Mehrheit der Abgeordneten im Kongress erhalten.
Sánchez hat viele Baustellen zu bearbeiten, um eine neue Mehrheit zu schmieden. Es rächt sich nun, dass er in seiner zweiten Legislaturperiode ab November 2023 die Linkspartei Podemos ausgegrenzt hat. Keines ihrer Führungsmitglieder ist mehr in seinem Kabinett. Podemos war zuvor ein gewichtiger Part innerhalb des Parteienbündnisses Unidas Podemos, des Juniorpartners in der Minderheitsregierung bis November 2023.
Unidas Podemos ist Geschichte, die Linke hat sich in der Plattform Sumar neu organisiert. Podemos war ein Teil der Fraktion Sumar, hat aber inzwischen mit dieser gebrochen und macht nun als eigene Gruppe Politik, um sichtbar zu werden.
Podemos geht zum Angriff über
Podemos-Chefin Ione Belarra empfiehlt am Mittwoch zwei Dekrete nicht mitzutragen, denn in dem Maßnahmen-Mischmasch befindet sich nach Ansicht der Partei auch eine künftige Rentenkürzung für über 52-Jährige. Die würde über eine Reform des Arbeitslosengeldes für Beschäftigte kommen, die vor der Rente Arbeitslosengeld beziehen. Deren Renten würden deutlich gesenkt. Podemos fordert die Rücknahme.
Die Partei geht damit auf Konfrontation zur ehemaligen Partnerin Yolanda Díaz. Das ist die Sumar-Chefin, Arbeitsministerin und Vizeregierungschefin, die Podemos seit Beginn ihres Sumar-Projekts marginalisiert hatte. Da Podemos in den vergangenen Jahren aber viele sozialdemokratische Kröten schluckte, ist es möglich, dass hier in letzter Minute vor der Abstimmung am Mittwoch ein neuer Kompromiss geschmiedet wird.
Ein bunter Mix an Dekreten
Sánchez braucht auch nach wie vor die Unterstützung der liberalen katalanischen Partei »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat) des katalanischen Exilpräsidenten Carles Puigdemont. JxCat sagt bisher Nein zum »Omnibus-Dekret« von Sánchez, in dem allerlei Maßnahmen als bunter Mix (wie die Fahrgäste in einem Omnibus, d. Red.) zusammen durchgebracht werden sollen. Sánchez hatte gehofft, JxCat werde auf den Weg der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) einschwenken und auch nach der Amtseinführung bei Abstimmungen ohne Weiteres zustimmen, um die Patchwork-Regierung nicht zu gefährden. Dabei hatte der JxCat-Vizepräsident Josep Rius schon im nd-Gespräch angekündigt: »Ohne Fortschritte gibt es keine Unterstützung.« Bisher sieht die Partei solche nicht.
Zentral geht es um die Amnestie für die am Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien 2017 beteiligten Akteure. Über eine Hintertür soll das Gesetz ausgebremst werden. Ohne Abstimmung seien Artikel eingeführt worden, mit denen die Amnestie »gefährdet« sei. Parteichef Jordi Turull erklärte im TV-Interview, die Dekrete stellten keinen Fortschritt dar, sondern einen »Rückschritt«.
Turull kann sich bei seinen Aussagen auf die Recherchen der spanischen Journalistin Elisa Beni berufen. Sie hatte auf einen Vorgang hingewiesen, den sie einen »Dolchstoß ins Amnestiegesetz« nennt. In das über die »stillen Feiertage« im Gesetzesblatt veröffentlichte Dekret 6/2023 sei »eine Änderung des Zivilprozessrechts« eingebaut worden. Die legt es in die Hand der von der rechten Volkspartei (PP) dominierten Richterschaft, ob die Umsetzung der Amnestie lange Jahre blockiert wird. Das gilt also auch für die Rückkehr von Puigdemont und anderen Exilanten in ihre katalanische Heimat: Sollte ein Richter nun eine Vorabentscheidung beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) beantragen, würde sofort die Anwendung des Gesetzes ausgesetzt.
Für Beni ist klar, dass Richter am politisierten Obersten Gerichtshof, die sich zum Teil offen gegen die Amnestie aussprechen und nun sogar mit absurden Terrorismusvorwürfen kommen, diese sozialdemokratische Steilvorlage nutzen werden.
JxCat geht es auch darum, dass über die Dekrete Autonomiekompetenzen ausgehöhlt werden, die Finanzierung – die eigentlich verbessert werden sollte – sogar verschlechtert. Und es gehe auch bei der nationalen Anerkennung Kataloniens, die JxCat mit Sánchez aushandelt, eher rückwärts. So begründete Parteichef Turull, warum das Nein zum »Omnibus-Dekret« so »groß wie ein Haus« sei.
Da sich die Sozialdemokraten (PSOE) weigern, noch einmal zu verhandeln und die besagten Dekrete aus dem Paket zurückzuziehen, zeichnet sich eine Schlappe ab: Keine Mehrheit für Sánchez wäre ein negatives Vorzeichen für den Haushalt, für den er ebenfalls eine Mehrheit braucht, und damit für die gesamte Regierung.
In seiner Not buhlt Sánchez sogar schon um Unterstützung bei der rechten PP. Die Partei hat Gespräche mit der PSOE bestätigt. Doch deren Chef Alberto Núñez Feijóo, der sich um seinen Wahlsieg betrogen fühlt, bleibt hart. »Wir werden die internen Probleme der Falschregierung nicht lösen«, sagte er. Er hofft auf ein schnelles Zerbrechen der Regierung und auf Neuwahlen, um dann doch mit Unterstützung der rechtsradikalen Vox an die Macht zu kommen.
Als Koalition regieren PP und Vox schon etliche Regionen. Von einer Amnestie wollen beide Parteien nichts wissen. Die PP will Referenden grundsätzlich verbieten und mit Haftstrafen von bis zu zehn Jahren bestrafen. Parteien, die die Unabhängigkeit von Spanien betreiben, sollen wegen »Untreue gegen die Verfassung« verboten werden, geht aus dem Alternativtext der Partei zum Amnestiegesetz hervor. Der hat allerdings keine Chance auf eine Mehrheit. Sánchez hat kaum eine für sein »Omnibus-Dekret«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.