Gefragter Nippes aus Nordkorea

Ausgerechnet an der hochgerüsteten innerkoreanischen Grenze florieren überteuerte Souvenirshops

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 8 Min.

»Danke, dass Sie Interesse an der entmilitarisierten Zone haben!«, ruft Kang Moon-hyang durch den Bus voller Neugieriger. »Viele sagen ja, das hier sei die gefährlichste Gegend der Welt! Ich freue mich, dass Sie sich trotzdem mit eigenen Augen ein Bild machen wollen!« Die junge Touristenführerin steht zwischen den überall besetzten Sitzen und erklärt mit mahnenden Blicken durch ein Mikrofon: »Bitte befolgen Sie unsere Anweisungen, dann wird Ihnen nichts passieren!« Kang reicht eine Liste durch die Reihen, in die sich alle eintragen sollen. Kurz darauf sammelt sie zur Kontrolle alle Reisepässe ein.

Ein Tagesausflug an die Grenze zwischen Nord- und Südkorea hat schon durch solche Überwachungsmaßnahmen etwas Einschüchterndes. Trotzdem – oder deshalb – gehört so eine Tour für Touristen, die in Südkorea Urlaub machen, zu den beliebtesten Aktivitäten. Jeden Tag fahren mehrere Unternehmen mehrmals diese sagenumwobene Gegend an, die unter dem Kürzel DMZ bekannt ist – »Demilitarized Zone«, entmilitarisierte Zone. Es ist der Streifen auf dem 38. Breitengrad der koreanischen Halbinsel, der Süd von Nord trennt, in Wahrheit aber kaum entmilitarisiert, sondern extrem stark bewaffnet ist.

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Und wer sich einmal in einen dieser Reisebusse setzt, merkt schnell: Zumindest auf der Südseite dieser verfeindeten Landzunge in Nordostasien wird an der Teilung gutes Geld verdient. »Die Fahrt zur DMZ dauert eine Stunde«, erklärt Kang Moon-hyang, deren Arbeitgeber pro Teilnehmer 50 US-Dollar kassiert. Sie erläutert minutiös: »Zuerst fahren wir zum Teil der DMZ, wo der Friedenspark und Souvenirshops sind. Am Ende besuchen wir einen lokalen Markt in einem Grenzdorf. Aber vorher sehen wir eine große Attraktion: geheime Tunnel, durch die uns Nordkorea damals angegriffen hat!«

Ein Raunen geht durch den Bus. Alle hier wissen: Vor 70 Jahren endete der dreijährige Korea-Krieg, der Millionen Menschenleben gekostet und zwei junge Staaten zerstört hatte. Ende Juli 1953 wurde nach zwei Jahren Verhandlungen ein Waffenstillstand vereinbart: Der Grenzverlauf war dann derselbe, der schon 1945 gezogen worden war, nachdem das zuvor regierende japanische Kolonialreich im Zweiten Weltkrieg zusammengebrochen war. Der Korea-Krieg, der zum ersten Stellvertreterkonflikt im Kalten Krieg wurde, mündete in radikal unterschiedliche Entwicklungswege zweier Staaten.

Nordkorea – wo das Ein-Parteien-System um die Kommunistische Partei eine brutale Diktatur rund um die Kim-Dynastie aufgebaut hat – gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Jenseits von Raketen gibt es wenig, womit Nordkorea die Welt beeindrucken kann. Die Vereinten Nationen gingen schon vor der Pandemie davon aus, dass rund 40 Prozent der 26 Millionen Einwohner unterernährt waren. Auch derzeit scheint das Land akut mit Nahrungsmittelengpässen zu kämpfen. Zuletzt hat sich Kim Jong-un Russlands Wladimir Putin angenähert, den er mit alter Sowjetmunition versorgt.

Südkorea, das bekannt ist für Hightech-Produkte von Samsung und LG sowie für K-Pop und K-Dramen, steht ganz anders da. Bis Mitte der 80er Jahre herrschte allerdings auch hier eine Diktatur, über die längste Zeit angeführt von General Park Chung-hee. Heutzutage ist das Land dagegen eine Demokratie – und zwar eine, in der der Kapitalismus das oberste Gebot ist. Der Sozialstaat ist karg ausgestattet, der Druck zu innovativen Leistungen hoch. Und natürlich haben sich da einige der 52 Millionen Menschen gedacht: Warum nicht auch mit dem grauen Image des Nordens etwas Geld verdienen?

Eine Tour an die Nordgrenze Südkoreas ist viel mehr als eine Reise in die traurige Geschichte der Teilung. »Dieses Denkmal hier gilt den getrennten Familien«, erklärt Kang Moon-hyang den 40 Reisenden aus aller Welt, als sie an einem großen Stein stehen bleibt. Sie trägt ein kleines Mikro, das per Funk mit den Audioguides verbunden ist, die jede Teilnehmerin ans Ohr hält. »In den 80er Jahren gelang es nach diplomatischen Verhandlungen einmal, dass sich Familien an der Grenze treffen durften.« Die Nation war gerührt, das südkoreanische Fernsehen übertrug tagelang ununterbrochen.

Die Touristen hören artig zu, verteilen sich aber schnell auf mehrere Souvenirshops, bei denen man zunächst vermuten könnte, das hier sei gar nicht Südkorea, sondern die andere Seite der Grenze: Es werden nämlich vor allem Devotionalien aus Nordkorea angeboten. Da sind etwa kleine Soldatenfiguren zu finden, die den Krieg vor sieben Jahrzehnten simulieren, sowie Spielzeuggewehre verschiedener Hersteller und alle möglichen Klamotten in Camouflage-Muster. Ein anderer Shop bietet Schnitzarbeiten von Tieren, wie es sie im Norden geben soll.

Über Holzenten prangen auch Propaganda-Bildbände mit der nordkoreanischen Flagge auf dem Cover – in deren Namen einst die geheimen Tunnel gegraben wurden, durch die der Norden 1950 Südkorea angriff. Ein Exemplar kostet 50 000 Südkoreanische Won, rund 35 Euro. Das ist beachtlich, weil ein Sicherheitsgesetz in Südkorea jede Kooperation mit dem Feind untersagt, was bei Medien immerhin zu Selbstzensur führt. Aber hier, wo man dem Norden so nah ist, interessiert sich außer den die Grenze bewachenden Soldaten kaum wer für Freund- oder Feindschaft. Es geht ums Geschäft.

So gibt es hier auch besondere nordkoreanische Briefmarken von 1966. Bei der Fußballweltmeisterschaft in jenem Jahr schlug Nordkorea sensationell Italien mit 1:0 und stieß bis ins Viertelfinale vor. Den ansonsten weniger erfolgreichen nordkoreanischen Männerfußball darf man hier offenbar kurz bejubeln, als sollte gesagt werden: »Dies war eines der seltenen Male, als sich die Menschen in Nordkorea über etwas freuen konnten.« Und klar: Wie alles ist auch das Briefmarkenset in mehrfacher Ausführung verfügbar. Es verkauft sich offenbar gut.

»Wollen Sie Geldscheine aus dem Norden?«, fragt ein anderer Verkäufer, der aus dem Halbdunkel eines Kiosks hervortritt und ein Basecap mit der Aufschrift »US Army« trägt. »Die sind echt«, flüstert er und zückt einen in Plastikfolie verpackten 100-Won-Schein aus dem Regal. »Er kostet 12 000 Süd-Won.« Das sind rund 8,50 Euro. Auch ein Münzset hat er im Angebot – mit je einer Münze im Wert von einem, fünf, zehn und 100 Nord-Won – und will dafür 20 000 Süd-Won. »Sowas kriegen Sie nur hier«, sagt der Verkäufer. Er wirkt dabei so selbstsicher, als wüsste er einen Schatz im Sortiment.

Man könnte sich fragen: Was soll man mit Geld aus Nordkorea? Kaum eine Wechselstube der Welt würde es umtauschen, als Zahlungsmittel taugt es nur in einem Land, das Gäste höchstens für streng bewachte Propagandatouren einreisen lässt. Der internationale Handel mit Nordkorea ist inmitten harter UN-Sanktionen ohnehin praktisch unmöglich. Und der Wechselkurs zwischen dem Won aus dem Norden und jenem aus dem Süden beträgt laut dem Finanzdienstleister Oanda rund 10:1. Der 100-Won-Schein aus dem Norden wird also für das 120-fache seines Nominalwerts angeboten.

Aber für Wucher hält das hier niemand. Die Scheine mit dem Konterfei von Kim Il-sung, Nordkoreas Staatsgründer und einstigem Kriegsführer, sind sogar die Bestseller. »Ich habe gleich ein paar mehr Exemplare gekauft!«, freut sich ein japanischer Alleinreisender. »Können wir einen guten Preis vereinbaren, wenn ich einige auf einmal nehme?«, fragt ein US-Amerikaner, der daraufhin vom Verkäufer mit der US-Army-Mütze schief angesehen wird. »Na gut«, sagt der Tourist schnell. Er hat verstanden und streckt seine US-Dollar entgegen: »Ich hätte dann gern den Schein und das Münzset!«

Der Handel mit Souvenirs nimmt skurrile Ausmaße an.
Der Handel mit Souvenirs nimmt skurrile Ausmaße an.

Geld aus Nordkorea ist hier das kurioseste Souvenir, gerade weil es als Zahlungsmittel nicht taugt. Kaum ein Staat steht weltweit so sehr im Ruf, den Kapitalismus abzulehnen, wie jener auf der anderen Seite dieser hochgesicherten Grenze. So wirken Geldscheine – in kapitalistischen Gesellschaften die wichtigsten Vehikel – für einige Reisende besonders originell. Es ist wohl eine der Raffinessen des Kapitalismus, aus eigentlich nutzlosen Dingen gerade wegen ihrer Nutzlosigkeit ein gefragtes Gut zu machen. In der DMZ begegnet man diesem Phänomen immer wieder.

»Wir fahren jetzt ein Stück weiter zum Aussichtspunkt«, sagt Kang Moon-hyang durchs Mikrofon und bittet alle Reisenden zum Bus. Kurze Zeit später erreicht die internationale Reisegruppe ein modernes, auf einem Berg errichtetes Gebäude, das eine Ausstellung zum Verlauf des Korea-Kriegs beherbergt sowie ein Miniaturmodell der DMZ. Aber das Highlight dieser Anlage wartet auf der Dachterrasse, über einem Café und einem weiteren Shop mit Souvenirs. Die Touristenführerin deutet auf fest installierte Fernrohre, die alle in dieselbe Richtung blicken. »Da können Sie über die Grenze gucken!«

Die Reisenden tuscheln, drängeln sich um die Fernrohre. »Leider ist es heute neblig und man kann fast nichts sehen«, bemerkt Kang. Die Reisenden tuscheln etwas lauter, fragen, was denn an Tagen mit klarem Wetter sichtbar werde. »Vor allem Wald und ein paar Häuser. Da muss man eben mit dem Wetter Glück haben«, antwortet die Touristenführerin. Erstauntes Nicken. Dass es heute nicht geklappt hat, ist für die Reisenden nicht schlimm. Auf der Rückfahrt nach Seoul teilt Kang Moon-hyang Feedback-Bögen aus. Was anderswo oft als etwas Lästiges angesehen wird, erledigen die Leute hier gern.

Am Ende der Tour lächelt die Führerin tosendem Applaus entgegen. Als der Bus an einem großen Bahnhof im Zentrum von Seoul geparkt hat und die Kunden zufrieden aussteigen, sagt Kang noch, mit fast staatstragendem Pathos: »Wir hoffen natürlich, dass Nord- und Südkorea irgendwann wieder ein Land sind! Wir wünschen uns nichts mehr als das. Es ist unser Traum!« Das sind die Sätze, die sie sagen muss. Aber um sie auch so richtig ernst zu meinen, fehlt ihr vielleicht die Vorstellungskraft. Und tatsächlich lässt sich inmitten der politischen Teilung wohl doch zu einfach Geld verdienen.

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