Frankie Goes To Hollywood: Absolute Giganten

Vor 40 Jahren begann der zwölfmonatige Triumphzug von Frankie Goes To Hollywood

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 6 Min.
Lust, Krieg, Liebe - in nur drei Liedern hatten Frankie Goes To Hollywood alles gesagt.
Lust, Krieg, Liebe - in nur drei Liedern hatten Frankie Goes To Hollywood alles gesagt.

Zehn Jahre später war das Thema Sex durch. Ja, da gab es diesen erotisch angehauchten Thriller namens »Basic Instinct«. Doch »der schweinischste Film aller Zeiten« (»Bild«) war eine Mogelpackung, der vermeintliche Skandal bloß eine mediale Inszenierung. Die Frage, ob Sharon Stones Genitalien den Bruchteil einer Sekunde zu sehen seien, rief 1992 nicht die Moralisten, sondern die Voyeure auf den Plan.

Das wäre 1982 noch anders gewesen. Im Aufkommen von Aids sahen religiöse Eiferer die Strafe für ein »sündiges Leben«. Die Schadenfreude, die dabei mitschwang, vermochte manch selbsternannter Sittenwächter kaum zu verbergen. Dass der Seuche viele Schwule zum Opfer fielen, war ein willkommener Anlass, »Unzucht« und »sexuelle Ausschweifungen« zu verdammen. Ein neuer Puritanismus drohte sich breitzumachen.

Doch der Zeitgeist beendete den Kreuzzug der Frömmler und Bigotten, noch ehe dieser richtig begonnen hatte. Denn 1982 war nicht nur das Jahr der Panik (wegen Aids, Nachrüstung und saurem Regen – sogar Udo Jürgens warnte, es sei »5 Minuten vor 12«), sondern auch das Jahr, in dem man Pop mit Großbuchstaben schrieb. Und einer, der POP besonders groß schrieb, war der Produzent Trevor Horn. Er hatte mit »The Lexicon of Love« von ABC das Kunststück vollbracht, die machtvollen Gefühle der (enttäuschten) Liebe durch nicht minder mächtige Sounds akustisch erlebbar zu machen.

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Aber damit wollte Horn sich nicht begnügen. Anfang 1983 wurde er auf eine Band namens Frankie Goes To Hollywood (FGTH) aufmerksam gemacht, die bis auf Sänger Holly Johnson aus musikalischen Durchschnittstalenten bestand. Dennoch beschloss Horn, sie unter seine Fittiche zu nehmen. Bandmitglied Paul Rutherford erklärte sich dies so: »Er dachte, das Schwulsein sei das Gefährlichste an uns, aber genau das liebte er. Und die Tatsache, dass wir offen mit unserer Sexualität umgingen.« So wurden die Musiker zu Performern – um den Sound kümmerte sich Horn.

Und so wie er die richtigen Klänge für die Liebe gefunden hatte, tat er nun das Gleiche mit den Urgewalten Lust und Krieg. Nur noch brachialer und bombastischer. Und länger. Maxi-Singles hatte es bereits seit Mitte der 70er gegeben, vielfach mit nichtssagenden Instrumental- und Rhythmuspassagen am Anfang und Ende, um Discjockeys das Ineinandermischen der einzelnen Songs zu erleichtern. Aber erst FGTH machten daraus eine Kunstform, indem sie von ein und demselben Titel ein halbes Dutzend unterschiedliche 12-Inch-Versionen veröffentlichten, mindestens. So schafften sie es mit nur zwei Liedern, »Relax« und »Two Tribes«, über Monate hinweg musikalisch im Gespräch zu bleiben.

Doch waren dies nur hitverlängernde Maßnahmen. Die entscheidende Marketingarbeit leistete der Chef ihrer Plattenfirma ZZT Records, der Musikjournalist Paul Morley. 1981 hatte er im »New Musical Express« das D.A.F.-Album »Alles ist gut« mit den Worten beschrieben: »schleimige, dampfende Sexmusik«, die »das Reiben, die Säfte, das Pochen, die Anstrengung, das Japsen, die Klebrigkeit… die Gerüche, Rhythmen, Leidenschaften, Sekrete, Dunkelheit und Tränen des S.E.X.« heraufbeschwöre.

Und genau dieses Image verpasste er Frankie Goes To Hollywood. In den Hochzeiten von Aids die schwule Subkultur und ihre Fetischszene (Leder, Bondage etc.) optisch abzufeiern – das war die größtmögliche Provokation. Natürlich weigerte sich die BBC das Video zu spielen. Und den Song gleich mit; schließlich ging es in »Relax« um nichts anderes als um Sex, was auch Nichtmuttersprachler aufgrund des Stöhnens, des pumpenden Rhythmus und der zigfach wiederholten Zeile »When you wanna come« auf Anhieb verstanden.

Auch das Video zur Folgesingle »Two Tribes« durfte im BBC-Programm nicht laufen. Es zeigt, wie sich die Staatschefs der UdSSR und der USA, Konstantin Tschernenko und Ronald Reagan, in wüster Wrestler-Manier einen Ringkampf liefern. Am Schluss explodiert der Erdball. Passend dazu ließ Paul Morley T-Shirts drucken, die dokumentierten, dass FGTH nicht nur sexuell, sondern – wie es sich für eine Band aus der Arbeiterstadt Liverpool gehört – auch politisch zu provozieren vermochten. Darauf waren Sprüche zu lesen wie »Frankie Say Arm the Unemployed« (»Frankie sagen: Bewaffne die Arbeitslosen!«) und »Frankie Say War! Hide Yourself« (»Frankie sagen: Krieg! Versteck dich!«).

Man mochte derartige Parolen als Ausdruck von Selbstüberschätzung sehen. Und wenn schon! FGTH konnten sich jede Form von Maßlosigkeit erlauben. Denn der eigentliche Paukenschlag eines Musikjahres, das Frankie Goes To Hollywood von Januar an medial und kommerziell beherrschten, sollte erst noch kommen. Am 29. Oktober 1984 wurde aus einer Zwei-Single-Band schlagartig eine Zwei-Alben-Band. Das hatte es selten gegeben: Ihr Debütwerk war eine Doppel-LP. Mehr noch: ein Opus magnum.

»Welcome to the Pleasuredome« ist ein Monument des Größenwahns. Aber eines, das auf bombastischen Sockeln steht. Der programmatische Titelsong gibt die Richtung vor. Auf Dschungelgeräusche folgt der Durchmarsch. Das Stück hat eine Wucht wie Elefanten auf Ecstasy. Nach knapp 14 Minuten ist man reif fürs Sauerstoffzelt – geplättet, aber selig.

Und der Rest des Albums hält das Endorphin-Niveau. Trevor Horn wollte, dass auch der Letzte kapierte, dass Frankie Goes To Hollywood zu den Großen des POP zählten. Dabei spielte es keine Rolle, ob FGTH neue oder alte Lieder einspielten. Heraus kam am Ende stets der unverwechselbare FGTH-Trevor-Horn-Sound. Selbst der Bruce-Springsteen-Klassiker »Born to run« klang mit einem Mal wie ein Originalstück von FGTH.

Das lag auch an Sänger Holly Johnson, der Glamour, Pathos und Verzückung eine Stimme gab. Ja, er hatte sogar den Mut, den Burt-Bacharach-Klassiker »Do you know the way to San Jose« neu einzusingen. Und siehe da, es funktionierte. Mehr Schmelz konnte man nicht in ein Lied legen. So schmeichelnd und anheimelnd hatte selbst Dionne Warwick nicht geklungen.

Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft wurde dann die dritte Single, »The power of love«, veröffentlicht, womit sich der Kreis schloss. Auf Lust (»Relax«) und Krieg (»Two Tribes«) folgte die Himmelsmacht Liebe. Damit war alles gesagt. Und das mit maximalem Theaterdonner und Gefühlsüberschwang – Steigerung ausgeschlossen.

Das Nachfolgewerk »Liverpool«, das zwei Jahre danach erschien, diente bloß noch als Epilog. Als Abgesang auf eine Band, die zwölf kurze Monate die strahlendste der Welt gewesen war. Womit sich der weise Satz aus dem Film »Blade Runner«, der auch 1982 in die Kinos kam, bewahrheitete: »Das Licht, das doppelt so hell brennt, brennt eben nur halb so lang.«

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