Gaza-Krieg: Tödliche Selbstverteidigung

Vor dem Internationalen Gerichtshof hat die Anhörung zu Südafrikas Genozid-Klage gegen Israel begonnen

  • Lutz van Dijk, Kapstadt
  • Lesedauer: 4 Min.

Angesichts der Regenbogen-Delegation Südafrikas vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH), die juristische Expert*innen aller Hautfarben, Religionen, Generationen und Geschlechter repräsentierte, schrieb die bekannte südafrikanische Journalistin Ferial Haffajee: »Wir sahen Ubuntu, unser Begriff für eine Menschlichkeit, die unteilbar ist und dadurch Gerechtigkeit für alle schafft.«

Am vergangenen Donnerstag hatte zuerst Südafrika die Gelegenheit, seinen Vorwurf zu belegen, warum Israel sich des Völkermords in Gaza schuldig gemacht habe. Am Freitag erhielt Israel ebenso viel Zeit zu widersprechen. Mit einer Aussprache des Gerichts wird frühestens in zwei bis drei Wochen gerechnet. Gleichwohl erhielten bereits beide Verhandlungstage weltweite Aufmerksamkeit.

Gericht soll Leiden beenden

Eröffnet wurde von Südafrikas Justizminister Ronald Lamola, der begründete, warum die Entscheidung, vor den IGH zu ziehen, erst getroffen wurde, nachdem die Regierung Israels auf insgesamt neun dringende Anfragen der Regierung Südafrikas seit Beginn des Krieges nicht geantwortet habe.

Die junge Anwältin Adila Hassim argumentierte, dass nur eine Entscheidung dieses höchsten Gerichts »das unendliche und sich weiter täglich verschlimmernde Leiden des palästinensischen Volkes« werde aufhalten können. Ein erster Schritt wäre ein baldiger, vom Gericht im Eilverfahren verordneter Waffenstillstand.

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Alle 15 Minuten wird ein Kind getötet

In von unabhängigen Organisationen wie dem Internationalen Roten Kreuz oder Ärzte ohne Grenzen bestätigten Zahlen wurde belegt, dass in den vergangenen drei Monaten durchschnittlich alle 15 Minuten ein Kind im Gazastreifen getötet wurde. In absoluten Zahlen seien von den bis jetzt getöteten 23 210 Palästinenser*innen mindesten 70 Prozent Frauen und Kinder.

Zahlreiche Zitate von Vertreter*innen der israelischen Regierung belegten darüber hinaus, dass es deren Intention sei, »das gesamte Volk Palästinas zu zerbrechen« und »diese Tiere, zu denen auch die Zivilisten zu zählen sind, zu erledigen.« Als besonders unmenschlich wurde bewertet, dass hunderttausende Menschen aus dem Norden zur Flucht in den Süden in »Sicherheitszonen« aufgefordert wurden, um dann dort ebenso bombardiert zu werden.

Die Delegation Israels am Freitag wurde geleitet vom Rechtsberater des Außenministeriums, Tal Becker, sowie dem Anwalt Malcolm Shaw. Beide begannen damit, dass nach ihrer Ansicht das Gericht den Antrag Südafrikas als »haltlos und absurd« ablehnen und nicht weiter behandeln solle.

Hamas ist Schuld an palästinensischen Opfern

Manche Zitate von israelischen Regierungsvertreter*innen seien in der »verständlichen emotionalen Empörung nach dem Überfall der Hamas auf Israel ausgesprochen« und später deutlich zugunsten eines Schutzes der Zivilbevölkerung geändert worden. Überhaupt habe alles mit dem unmenschlichen Überfall der Hamas auf israelische Zivilist*innen begonnen – und Israel habe vom Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch gemacht.

Dass in der Tat viele Bürger*innen Gazas Opfer wurden, sei allein auf die »schreckliche Strategie von Hamas zurückzuführen, einfache Menschen als Schutzschilder, selbst in Krankenhäusern, Schulen und Moscheen, zu missbrauchen«. Überhaupt habe Südafrika kein Recht, sich als Menschenrechtsverteidiger aufzuspielen, da es weiter freundschaftliche Kontakte zur Terrororganisation Hamas unterhalten würde und allein die Hamas vor ein Gericht gehöre.

Beide Punkte hatte die südafrikanische Delegation bewusst vorweg angesprochen und argumentiert, dass die Hamas zweifellos ein »Verbrechen schlimmsten Ausmaßes« am 7. Oktober begangen habe, aber kein Staat sei und so auch nicht vor den internationalen Gerichtshof zitiert werden könne. Die Kontakte der Außenministerin Südafrikas, Naledi Pandor, mit Hamas-Vertreter*innen nach dem 7. Oktober seien ausschließlich humanitärer Natur gewesen.

Bundesregierung will Israel unterstützen

Hinter den Antrag Südafrikas haben sich bis jetzt neben Brasilien, Jordanien und der Türkei alle 57 Staaten der Organisation islamischer Länder (OIC) gestellt.

Unabhängig davon ließ die Bundesregierung noch Freitagabend erklären, dass sie den Vorwurf Südafrikas »entschieden zurückweisen« würde und bereit sei, Israel beim Internationalen Gerichtshof als »Drittpartei« zu unterstützen, falls es zu einer Hauptverhandlung käme. Israels Benjamin Netanjahu bedankte sich eine Stunde später telefonisch bei seinem Amtskollegen Olaf Scholz.

Es bleibt spannend, wann und wie sich die 15 Richter*innen des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag entscheiden.

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