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Kein Mord wegen Gaza-Postings
Hamburger Justiz sieht im Tod von jordanischem Studenten kein Fremdverschulden
Die Hamburger Generalstaatsanwaltschaft sieht bei dem an einer Schussverletzung gestorbenen Studenten Mohammad Barakat weiterhin keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden. Das sagte die für das Todesermittlungsverfahren zuständige Staatsanwältin auf Anfrage des »nd«. Demnach hätten die Obduktion im Institut für Rechtsmedizin und die weiteren Ermittlungen keine entsprechenden Hinweise ergeben.
Allerdings ist das Verfahren hierzu nicht abgeschlossen, es werden Zeugen befragt und Videoaufnahmen des Schießstands »Hanseatic Gun Club«, an dem sich der Vorfall am 19. Dezember ereignete, gesichtet. Dort, in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs, schoss sich der 21-Jährige mit einer Waffe offenbar in den Kopf, später starb er im Krankenhaus. Das Internetmagazin T-Online hatte berichtet, es habe sich um einen Suizid gehandelt. Das wollte die Staatsanwaltschaft nicht bestätigen – es könnte also auch ein Unfall beim Hantieren mit der Waffe gewesen sein.
Der Fall hatte über Weihnachten für Verwirrung gesorgt. Der schwer verletzte Student wurde in demselben Schießclub gefunden, dessen Mitglied am 9. März einen Amoklauf bei den Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf verübt und dabei sieben Menschen und sich selbst erschossen hat. Dies nährte bei einigen Beobachtern offenbar Gerüchte über den Tod von Mohammad Barakat. In sozialen Medien berichtete zuerst Martin Lejeune, der in der »Toilettenaffäre« um Gregor Gysi und später als Anhänger des türkischen Präsidenten fragwürdige Bekanntheit erlangte, darüber.
Barakat sei das Opfer eines Mordes geworden, verbreitete daraufhin der sich selbst als »Journalist« bezeichnende Blogger Tarek Baé und schrieb von zwei Schüssen. Baé heizte damit vor allem im arabischsprachigen Internet Spekulationen an, der Student sei wegen pro-palästinensischen Postings zum Gaza-Krieg getötet worden. So will es Baé von der Familie des Toten erfahren haben.
Tatsächlich postete auf X eine Person, die sich als Cousine von Barakat bezeichnet, entsprechende Hinweise. Demnach sei der 21-Jährige ein »überzeugter Palästinenser« gewesen. Freunde an der Universität hätten seiner Mutter mitgeteilt, dass er »von einem anderen Studenten seiner Universität mit zwei Schüssen in den Kopf hingerichtet wurde«.
Baé hatte am 23. Dezember bei der Polizeipressestelle angefragt, ob dort ein politisch motivierter Mord aktenkundig sei, und eine negative Antwort erhalten. Dies nahm er als Beleg, dass die Polizei den Vorfall verschleiern wollte. Jedoch gibt es für die Antwort der Pressestelle eine Erklärung: »Über die Rufbereitschaften der Mordkommission und des Staatsschutzes wurden uns auf Rückfrage an diesem Abend keine Tötungsdelikte gemeldet, die hierfür auch nur ansatzweise infrage kamen«, schildert die Polizei dem »nd«. Auch die Staatsanwaltschaft habe diesen »augenscheinlichen Social-Media-Gerüchten« zunächst keinen Mordfall zuordnen können. Diese Darstellung hat die Polizei anschließend auch auf X verbreitet.
Erst »im Laufe des Weihnachtswochenendes« will die Polizei dann den mutmaßlichen Suizid von Mohammad Barakat mit dem von Baé behaupteten Mord in Verbindung gebracht haben. Zwar hält sich die Polizei an den Pressekodex und kommuniziert Selbsttötungen normalerweise nicht. »Aufgrund weiterhin anhaltender Gerüchte im Internet« habe man aber am 26. Dezember eine Erklärung veröffentlicht, wonach es zu diesem Zeitpunkt keine Hinweise auf ein Tötungsdelikt gab.
Trotzdem hielt Baé in sozialen Medien tagelang an der Falschmeldung fest und bezog sich dabei auf das jordanische Außenministerium, das ihm gegenüber ebenfalls von Mordermittlungen der Polizei gesprochen haben soll. Womöglich auch hier ein Missverständnis, wenn damit das Todesermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gemeint war. Das Außenministerium in Amman hatte zuvor von einem »unglücklichen Zwischenfall« geschrieben.
Wegen der Mordgerüchte habe sich die Botschaft Jordaniens schließlich über die Bundespolizei an die Polizei Hamburg gewandt, erklärt der Pressesprecher der Polizei. Diese habe dann zusammen mit der Staatsanwaltschaft geantwortet, dass – wie bei jedem Todesermittlungsverfahren – im Fall von Mohammed Barakat ein Vorverfahren eingeleitet worden sei. »Beamte des jordanischen Außenministeriums sprechen heute noch von Mord«, behauptete indes Baé am 25. Dezember auf X. In demselben Beitrag räumt er aber ein, er habe »zu voreilig« und »mit unzureichender Quellenlage gepostet«.
Barakats Eltern möchten nach Hamburg reisen, um die Habseligkeiten ihres Sohnes abzuholen, schreibt die mutmaßliche Cousine des Toten auf X. Jedoch seien ihre Visumsanträge abgelehnt worden. Auch der Laptop und das Telefon des Verstorbenen befänden sich noch bei der Polizei. Wie mit den Asservaten verfahren werden soll, will die Staatsanwaltschaft aber erst zum Abschluss des Verfahrens entscheiden, sagte eine Sprecherin zum »nd«. »Sollten die Behörden Vermittlung wünschen, übernehme ich diese Aufgabe im Hintergrund gern«, schreibt Baé in seinem – eigentlich als Entschuldigung gemeinten – Posting zu der Angelegenheit. Nach der Desinformation, die der Blogger über die Weihnachtstage verbreitet hat, ist davon tunlichst abzuraten.
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