Inflation: Bioläden erholen sich vom Preisschock

Umsatz im Naturkosthandel der Hauptstadtregion um 2,7 Prozent gestiegen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

In den Corona-Jahren 2020 und 2021 stiegen die Umsätze mit Naturkost in Berlin und Brandenburg um jeweils mehr als 20 Prozent. Die Branche investierte und erweiterte ihre Kapazitäten. Dann fielen im Februar 2022 russische Truppen in die Ukraine ein. Mit dem Krieg schossen die Preise für Energie und Lebensmittel in die Höhe. Viele Kunden reagierten, indem sie nicht mehr zu den Bioprodukten griffen, die meistens teurer sind. Oder wenn sie sich weiter mit Lebensmitteln in Bioqualität ernähren wollten, kauften sie diese in den Filialen von Edeka, Rewe oder Lidl, wo Bioerzeugnisse in der Regel billiger angeboten werden als in den klassischen Bioläden.

Dabei ließen sich die Verbraucher allerdings eher vom Gefühl als von den tatsächlichen Gegebenheiten leiten, erklärt Michael Wimmer am Dienstag. Er ist Chef der Fördergemeinschaft ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL), die immer zu Jahresbeginn den Absatz der Branche abfragt. In Wirklichkeit sei der Preisunterschied oft gar nicht so groß wie gemeinhin angenommen – und er sei zuletzt auch geringer geworden. Ein Beispiel: Biomöhren seien im Jahr 2022 im Naturkostfachhandel nur zwei Prozent teurer geworden, bei den Vollsortimentern 30 Prozent und bei den Discountern 60 Prozent. In der Vergangenheit – ein paar Monate lang im Jahr 2020 – sei ein Liter Biomilch sogar schon einmal 30 Cent billiger gewesen als anderswo.

Nach der jüngsten Abfrage konnten die in der Hauptstadtregion angesiedelten Supermärkte, Lieferdienste und Direktvermarkter der Biobranche ihren Umsatz in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres von zusammen 650 Millionen Euro auf 668 Millionen steigern. Allein die Ausgaben der Verbraucher für Biofrischeprodukte, die etwa 60 Prozent des Biomarktes abdecken, seien in Berlin und Brandenburg um 4,9 Prozent gestiegen und bundesweit um 2,8 Prozent.

»Die Schockwellen sind einigermaßen verdaut«, schlussfolgert Michael Wimmer. »Die Preise liegen noch am Boden, aber die Talsohle ist durchschritten.« Inzwischen gebe es bei bestimmten Produkten schon Lieferschwierigkeiten. »Cerealien für das Müsli zum Frühstück werden knapp«, nennt der Experte als Beispiel. »Biohafer ist völlig ausverkauft.« Das liege sicherlich an der großen Nachfrage nach Hafer für Milchersatzdrinks.

Hafermilch hat einen Siegeszug angetreten. Sie schmeckt vielen Menschen einfach besser als die gewohnte Sojamilch. Außerdem wird Hafer in Brandenburg überdurchschnittlich viel angebaut. Es reicht jetzt nur nicht aus. Währenddessen werden Sojabohnen weltweit vor allem in Brasilien gezogen und dort wird dafür Regenwald abgeholzt.

In Berlin hat der Anteil des Fachhandels am Umsatz mit Biolebensmitteln einen Anteil von 15,9 Prozent. Bundesweit liegt dieser Anteil nur bei 8,2 Prozent. Wimmer zufolge ist das nicht verwunderlich. Mehr Bioläden gebe es in dieser Dichte nirgendwo anders in der Bundesrepublik. Dass die Berliner so besonders scharf auf Bio sind, erklärt sich Wimmer unter anderem mit der Sehnsucht nach Natur inmitten der Häuserschluchten der Großstadt. Seiner Ansicht nach ist die Entscheidung für Bio längst nicht eine Frage der Kaufkraft, sondern der persönlichen Einstellung und des Wissens um die Zusammenhänge. Den höchsten Umsatz verzeichne mit Kreuzberg ein Stadtteil, wo die Einkommen am niedrigsten seien, aber die Bevölkerung die jüngste sei. »Die Studenten leisten sich Bio und sparen woanders.« Natürlich könne man sich »mit teuren Bioprodukten schnell in die Armut kaufen«. Aber Biokartoffeln kosten nicht viel und mit denen sei ein hoher Bioanteil der Ernährung machbar.

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Die in den Berliner Bioläden angebotenen Kartoffeln stammen übrigens nahezu vollständig aus Brandenburg, während andere Geschäfte ihre Biokartoffeln zumeist aus Niedersachsen oder Bayern beziehen.

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