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Exzess, und was jetzt?
Mit »LasVegas« gelingt Kolja Malik ein intensives Spielfilmdebüt über die Grenzen des Hedonismus
Die erste Aufblende von »LasVegas«, dem Spielfilmdebüt von Regisseur Kolja Malik, enthält die zentralen Themen des Films: Wir sehen ein Auto über einen Wüsten-Highway fahren, weit und breit kein anderer Wagen; in Verbindung mit dem Filmtitel denkt man unwillkürlich an die USA, die Wüste Nevada und das Spielerparadies darin. Die Stadt mitten im Nirgendwo repräsentiert in dem Film indes nicht nur einen unerreichbaren Sehnsuchtsort, sie bildet implizit die Kulisse der Handlung, auch wenn die Geschichte in Berlin spielt. Die schrille, bunte, glitzernde Bildsprache des Films erinnert an das, was wir mit Las Vegas assoziieren, das immer schon nur in der Vorstellung, in seiner Ikonisierung ein magischer Ort war.
Tristan von Lossberg (Tim-Fabian Hoffmann) ist ein junger Modedesigner, sein Durchbruch steht kurz bevor, zumindest hoffen er und sein schmieriger Manager und Ex-Freund Frank (Robert Stadlober) auf den baldigen Erfolg. Wirklich glücklich ist Tristan mit seiner Rolle als Hoffnungsträger nicht. Nach einer missglückten Präsentation der Kollektion, bei der auch sein Vater und Sponsor zugegen war, platzt der dauernd Drogen konsumierende, bisexuelle und genderfluide Hustler Sunny in Tristans bis dahin einigermaßen geordnetes und nüchternes Leben.
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Die beiden verlieben sich Hals über Kopf ineinander, und noch bevor sie sich richtig vorgestellt haben, sitzen sie schon im Taxi zum Flughafen. »Wir fliegen nach New York und heiraten da«, lässt Sunny Tristan wissen. »Du meinst Las Vegas. Das geht so kurzfristig nur in Las Vegas«, antwortet dieser, doch mit solcherlei Realitäten hält sich Sunny nicht weiter auf: »New York, Las Vegas, Hauptsache Australien. Wir können ja dann immer noch ein Taxi nach Vegas nehmen, wenn wir es gar nicht aushalten.«
Sunnys Liebe bleibt unstet, widerspenstig, aufdringlich, und als er auf der Geburtstagsparty von Tristans Vater Hermann (Thomas Thieme) auftaucht, befriedigt er diesen oral. Zunehmend verschwimmt der Film in Traumbildern. Realität und Traum sind kaum mehr voneinander zu unterscheiden. Kamerafrau Jieun Yi zeigt die Körper der Schauspieler*innen unentwegt in Nah- und Großaufnahmen, Gesichter und Körper dominieren die Leinwand, sie kommen sich näher und entfernen sich voneinander, sind immerzu in Bewegung. Vor allem Sunnys Körper kommt nie zur Ruhe, wirkt geschunden, erschöpft, zugleich gehetzt und hyperaktiv.
Das großartige kleine Schauspielensemble, zu dem auch Nastassja Kinski als Tristans traurige, resignierte Mutter zählt, ist jedenfalls voll gefordert. Je traumhafter die Bilder werden, je mehr die Filmwelt sich in Traumlogik verliert, umso klarer wird, dass beide Protagonisten nicht bleiben können, wo sie sind. Doch wohin ohne Geld?
»Hey Stella! Siegfried! Brunhild!«, brüllt Sunny Tristan wütend hinterher, als dieser nach Hause muss und nun doch nicht mit ihm nach Las Vegas fliegen will. Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Was den beiden Protagonisten bleibt, ist das Verharren in der Sehnsucht, der Eskapismus.
So sehr Maliks Film auf den ersten Blick unpolitisch erscheinen mag, so sehr erklärt er die Welt, wie sie eingerichtet ist, zu einem Unort: Bürgerliche Spießigkeit, routinierte Misogynie, Heuchelei, Erwartungsdruck kennen als Antithese nur noch den Rausch, die Selbstprostitution und Hedonismus, der in den (eigenen) Untergang führen muss. Und so ist die Las-Vegas-Metapher auch als Bild für die bürgerlich-kapitalistische Lebensfalle zu verstehen. Denn wo hält der kapitalistische Geldgott seine Insassen rigoroser in Schach, auf Trab, gefangen als in Las Vegas?
Maliks Bilder sind faszinierend, sein Film entzieht sich oft den Seherwartungen, er spricht und schwelgt in Metaphern und lässt sie in- und übereinander verschwimmen. Irgendwann taucht Tristans verschollene Schwester auf, die Sunny verdächtig ähnlich sieht und ihm zur Flucht verhelfen will, indem sie ihm ihren Pass überlässt. Aus dem feuchten Traum ist da längst ein Albtraum geworden, die Handlung wird zum Krimi; plötzlich stecken die Protagonisten mitten in einem Mordfall, und Sunny muss verschwinden.
»›LasVegas‹ zu erzählen, war für mich der Versuch, diese unberechenbare Gewalt zu verstehen, die so beliebig ihre Opfer wählt. Ich begann, über ein Lebensgefühl zu recherchieren, das aus Städten wie Tel Aviv zu uns herüberschwappt: Durch die wirklich reelle Möglichkeit, morgen vielleicht tot zu sein, verändert sich bei einigen Menschen die Art zu leben. Man überzieht das Konto, nimmt sich, was man will und was man kriegen kann«, erklärt Regisseur Malik und präsentiert in »LasVegas« den Hedonismus seiner Protagonisten auch als zerstörerischen Narzissmus, der nur Opfer kennt, aber keine Perspektive. Diese Flucht vor und aus den Verhältnissen führt, solange diese sich nicht ändern, aber unweigerlich ins Nirgendwo. Und da ist halt auch nur Las Vegas.
»LasVegas«, Deutschland 2023. Regie: Kolja Malik. Mit: Tim-Fabian Hoffmann, Daniel Roth, Liv Cooper. Jetzt im Kino.
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