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Baubranche: Transnationales Ausbeutungsregime

Auch im deutschen Baugewerbe arbeiten Migranten laut einer Studie oft unter prekären Bedingungen

  • Christopher Wimmer
  • Lesedauer: 4 Min.

Im vergangenen Oktober starben bei einem Unfall auf einer Hamburger Großbaustelle vier Arbeiter, ein fünfter Beschäftigter erlag später seinen schweren Verletzungen. Bisherigen Erkenntnissen zufolge war ein Baugerüst in einen Fahrstuhlschacht gestürzt. Bei drei der fünf Opfer handelte es sich um albanische Staatsbürger. Der Bausektor in Deutschland ist mitunter tödlich, besonders migrantische Arbeiter leiden zudem unter schlechten Arbeitsbedingungen, kennen ihre Rechte kaum und dienen den Unternehmen als hoch-flexible und überausgebeutete »Reservearmee«. Dies ist das Ergebnis einer kürzlich erschienenen Studie von Frederic Hüttenhoff vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen.

Die Bauindustrie zählt etwa 2,6 Millionen Beschäftigte, sechs Prozent aller Lohnabhängigen in Deutschland. Ihr Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt beläuft sich sogar auf über zwölf Prozent. Eigentlich könnte die Branche optimistisch in die Zukunft blicken. Aufgrund von Investitionsrückständen bei öffentlichen Bauprojekten besteht ein erheblicher Sanierungsbedarf, insbesondere bei Schulgebäuden, Straßen und Brücken. Zusätzlich werden immer mehr Wohnungen benötigt. Doch durch die hohen Baukosten und fehlenden Arbeitskräfte geht auf vielen Baustellen derzeit nichts mehr. Die Frage lautet also: Wer soll das eigentlich alles bauen?

Im Bausektor hat sich ein Strukturwandel hin zu wenigen großen Generalunternehmen und vielen kleinen Baufirmen vollzogen, worauf die Studie hinweist. Infolge des Outsourcings von Leistungen und der EU-Erweiterung ab den 1980er Jahren wird verstärkt auf Arbeitskräfte aus dem Ausland zurückgegriffen. Von den über 900 000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe verfügt mittlerweile fast ein Drittel nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit – Tendenz steigend. Vor allem im Hochbau haben vielfach nur noch die Poliere und einige Fachkräfte wie Dachdecker oder Zimmerer einen deutschen Pass. Ein Großteil der Beschäftigten stammt aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten. Viele verfügen über keinen Arbeitsvertrag, sind nicht offiziell registriert. Ihre Arbeitsbedingungen sind deutlich schlechter als die der deutschen Kollegen. »Sie haben außer ihrem Vorgesetzten keinen Ansprechpartner und werden weitestgehend von Betriebsräten und Gewerkschaften abgeschottet«, schreibt Hüttenhoff.

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Hierzulande werden meist die prekären Bedingungen migrantischer Arbeiter auf Baustellen im Ausland beklagt – zuletzt vor allem bei der Fußball-WM in Katar. Die Situation ist sicher nicht vergleichbar, aber auch auf deutschen Baustellen gibt es gravierende Missstände. Seit Jahren hat sich ein regelrechtes transnationales Ausbeutungsregime etabliert. So sind die Arbeitszeiten lang und anstrengend. Unternehmer umgehen mit falschen Angaben zur Arbeitszeit die Mindestlöhne. Tatsächlich gibt es meist überlange Arbeitszeiten bis zu 300 Stunden pro Monat, die zum Teil entweder in bar oder gar nicht bezahlt werden. Die Vorenthaltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Einbehaltung des Urlaubsgeldes oder Lohnabzüge für vermeintliche Schlechtarbeit sind ebenfalls üblich. Zudem schicken Chefs die Beschäftigten nach einem Arbeitsunfall in der Regel sofort zurück in ihre Herkunftsländer, um nicht für die Folgen aufkommen zu müssen.

Der Bau ist jedoch kein rechtsfreier Raum. Es gelten der gesetzliche Mindestlohn von zwölf Euro und das Arbeitszeitgesetz. Allerdings wissen zahlreiche Beschäftigte nichts von diesen Rechten und sind mitunter direkt vom Wohlwollen ihrer Chefs abhängig, wenn diese sich auch um die Wohnsituation kümmern. Viele leben in heruntergekommenen Unterkünften zu überhöhten Mieten. Wer sich beschwert, riskiert nicht nur den Job, sondern auch seine Bleibe. Zudem droht Beschäftigten aus Drittstaaten bei einer Entlassung das Ende ihrer Aufenthaltsgenehmigung.

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt entwickelt derweil Ansätze und Strategien, um die Beschäftigten besser zu unterstützen. Dazu gehören aufsuchende Arbeit, kostenfreie Beratung oder Sprachkurse. Auch die Basisgewerkschaft FAU organisiert immer wieder Arbeitskämpfe in der Baubranche und wendet sich dabei dezidiert an migrantische Beschäftigte. Dies scheint auch bitter notwendig, will man nicht bald die nächsten toten Arbeiter auf deutschen Baustellen beklagen.

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