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Wildes Lanzarote: Chemieunfall und Saharasturm
Die nd-Kolumnistin zieht vor der Atlantikküste ihre Bahnen
Es zieht gewaltig. Die Strömung zerrt mich ins Offene, ich schwimme mit voller Kraft und komme keinen Zentimeter voran. Ich sehe den goldgelben Strand, glänzend vor Feuchtigkeit, die schwarzen Berge dahinter und das Türkisgrün um mich herum. Es könnte alles so schön sein. Die nächste Welle schmeißt mich fünf Meter gen Ufer, ich atme ruhiger, tauche den Kopf ein und sehe durch die Schwimmbrille transparente Fische mit schwarzen Streifen auf der Schwanzflosse dicht an mir vorbeiziehen. Hier hat das Meer eine Senke von zwei Metern Tiefe gegraben, bevor es wieder bergauf geht. Ich blubbere vor Erleichterung, es zieht mich noch einmal stark nach hinten, ich bleibe liegen und schwapp, stehe ich im knietiefen Wasser, laufe hinaus aufs Glitzern.
Die Neonfarben des Berliner Winters verwandeln sich auf Lanzarote in spektakuläre Abendröte, in Goldbatzen auf dem Meer, in das knallgrüne Gefieder der Halsbandsittiche. Auf dem Festplatz erglüht ein Weihnachtsstern, während schneeweiße Reiher im abendblauen Hafenbecken herumstaksen. Auf Plastikstieren wird Rodeo geritten, in einem Zelt eisgelaufen, auf einer Bühne gesungen. Die Heiligen drei Könige nehmen Wunschzettel der Kinder entgegen, bis sie am 5. Januar per Autokorso über die Insel und abends auf Dromedaren durch die Hauptstadt ziehen. Begleitet von bonbonwerfenden Postboten auf Mopeds, Polizei- und Feuerwehrautos und Umzugstrecks mit Disneystars.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Mein Gefährte und ich verbringen drei Wochen in der Inselhauptstadt. Bewundern die Wander- und Radwege, gepflegte Strände mit Duschen, eine achtzehn Kilometer lange Uferpromenade. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst ins Meer steigen soll. Ein paar Kilometer nördlich der Stadt holt uns die Polizei aus dem Wasser, es gab einen Chemie-Unfall auf einem Schiff, morgen wieder. Also zehn Kilometer nach Süden, wo einen fast die Flieger schrammen und sich das Urlaubsvolk ballt. Oder auf den nächsten Vulkan zu. Da gibt es nichts als Staub, fix zurück nach Arrecife mit seinen Kastellen und Inseln, dem Hafen und dem »Teich«, einer flachen Seitenbucht, um die sich Cafés und Restaurants gruppieren. Mit Hunden in Handtaschengröße flaniert hier das Inselvolk an europäischen Bleichgesichtern in Paaren jeden Alters und Geschlechts vorbei, stolzieren kleine Supermänner und Prinzessinnen, kreischen Papageien in den Palmen.
Am besten schwimmt es sich bei Flut am Stadtstrand Playa el Reducto, gleich neben dem einzigen Hochhaus der Insel, einem 17-geschossigen Hotel. Gelbbrauner Sandstrand, breite Einstiege, geschütztes Becken durch Außenriffe. Papageienfische und ein Kalmar belohnen unseren Schnorchel-Eifer.
Dann kommt ein Saharasturm und hüllt die Insel für Tage in ein Silberlicht, packt die Sonne in Watte. Meine Wetterapp spricht von einer Gesundheitsnotsituation und färbt uns rot bis violett ein. Wir leihen ein Auto und fahren in den Norden, wo sich hinter dem letzten Vulkan abseits der Routen mein Traumstrand in Karibikfarben versteckt. Wir sind eine Handvoll Menschen, die das Schild »Schwimmen verboten. Gefährliche Strömung« am Parkplatz ignorieren und durch den peitschenden Sandwind zum Meer laufen.
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