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Gunter Falk: Trapp trapp, knarr knarr, quietsch knarr
Abenteuer in einer Klassengesellschaft – eine Wiederentdeckung: Gunter Falk, ein radikaler Kopf
Fortsetzung folgt« – diese Ankündigung eröffnet wie ein Motto Gunter Falks Band »Die dunkle Seite des Würfels«, der alle seine Texte aus den Jahren 1977 bis 1983 »in zur Chronologie umgekehrter Reihenfolge« versammelt. Vor 40 Jahren, kurz vor Weihnachten 1983, deklamierte, schrie und flüsterte Falk mit seiner rauen Raucherstimme Texte aus diesem Buch im Forum Stadtpark in Graz, unterstützt von den Neighbours, einer Jazzband um Dieter Glawischnig, die gerade dabei war, das Genre »Jazz und Lyrik« in Kooperation mit Ernst Jandl und Gunter Falk auf eine andere Ebene zu heben. Mit Jandl sollte Glawischnig noch häufig auf der Bühne stehen. Falk aber starb in der Nacht auf den 25. Dezember 1983 überraschend und erst 41-jährig. Die Fortsetzung unterblieb. Der Schriftsteller und Soziologe wurde jäh aus seiner Arbeit gerissen. Und wenn heute von der Grazer Gruppe, den Autoren aus dem Umfeld der Zeitschrift »manuskripte«, die Rede ist, fallen andere Namen – etwa der von Gerhard Roth, der zuletzt so etwas wie ein steirischer Staatskünstler war, oder von Wolfgang Bauer, der um 1970 als Dramatiker internationale Erfolge feierte, später aber nur noch in Graz weltberühmt war.
Das liegt nicht nur daran, dass die Genannten Falk um Jahrzehnte überlebten. Das schmale Werk von Gunter Falk – die gesammelten literarischen Texte füllen gerade mal einen 300-seitigen Band – ist sicher das ästhetisch und intellektuell anspruchsvollste im Dunstkreis der »Grazer«. Anders als Autoren wie Roth, Peter Handke oder Barbara Frischmuth, die nach ihren mehr oder weniger experimentellen Anfängen eingeknickt und zu marktgängigeren Formen zurückgekehrt sind, verfolgte Falk seinen Weg konsequent weiter. Er war Mitglied im Bielefelder Colloquium Neue Poesie, das die konkrete und experimentelle Literatur versammelte und dem unter anderem auch Hartmut Geerken, Eugen Gomringer, Helmut Heißenbüttel und Gerhard Rühm angehörten – letzterer war für Falk nach eigener Aussage das wichtigste Vorbild seiner Frühzeit. Seine drei Bücher sind in der BRD erschienen und verbreiteten Falks Ruf weit über Graz hinaus. Den Debütband »Der Pfau ist ein stolzes Tier« brachte Otfried Rautenbach 1965 in seinem legendären Verlag Hagar heraus, Untertitel: »Bedeutungsmodelle«. In kurzen Prosatexten führt Falk narrative Klischees ad absurdum: »Alle waren im Schwimmbad. Das Schwimmbad hatte offen. Die drei Herren und sie waren im Schwimmbad. Das Schwimmbad hatte offen weil es Sommer war. Es war Sommer weil es heiß war. Es war heiß weil es Sommer war. Es war Sommer weil diese Kurzgeschichte im Sommer spielt.« Oder er baut einen ganzen Text aus Comic-Geräuschen: »trapp trapp trapp trapp trapp trapp/knarr knarr/quietsch knarr quietsch/hauch«.
1977 beziehungsweise 1983 erschienen die beiden Bände »Die Würfel in manchen Sätzen« und »Die dunkle Seite des Würfels« im Verlag von Klaus Ramm, einem renommierten Avantgarde-Verlag, in dem unter anderem auch Ludwig Harig, Franz Mon und Oskar Pastior publizierten. Der Ruf der Grazer Gruppe war damals auf dem Höhepunkt, Alfred Kolleritschs Zeitschrift »manuskripte«, in der auch Falk regelmäßig publizierte und die heute nur noch als Schatten ihrer selbst weiterbesteht, wurde im gesamten deutschsprachigen Raum aufmerksam gelesen; 1975 gaben Jörg Drews und Peter Laemmle den Band »Als die Grazer auszogen, die Literatur zu erobern« heraus. Darin auch ein Beitrag von Klaus Ramm über Gunter Falk: »Falks Texte gefallen mir so sehr, weil sie es mir so schwer machen, etwas anderes – sei es Verstehen oder Bedeutung – als Text zu finden.«
Promoviert hatte Falk über »Spielsysteme und Spielverhalten«. Und er pflegt einen durchaus spielerischen Umgang mit dem Experiment und der konkreten Poesie. Viele Texte sind nach permutativen Mustern gestaltet, mit dem »uhrturmlied« hat Falk aber auch eine schrille Persiflage auf das Horst-Wessel-Lied geschrieben: »die reihen auseinander/luft ist zum atmen da/die ehen dicht geschlossen/sag doch zum sterben ja«. Und der pop-affine Autor dichtet seine Literatur nicht gegen seine eigenen Lebensprobleme ab: »hans ist ein trinker/hans ist ein trinker weil er trinkt/hans trinkt weil er angst hat/hans hat angst weil jeder weiß daß hans ein trinker ist (…)« Sein »Credo« beginnt mit »ich glaube nicht/an gott, an die siegreiche klasse, an die herrschende selten, denn die herrschaft ist schlecht, der sieg weit, sein ergebnis zweifelhaft, der staat gewalttätig, die menschen schlimm, die filosofie blöde (…)« Und immer wieder taucht in kurzen Prosatexten die Figur des Franz auf, den er »abenteuer in einer klassengesellschaft« erleben lässt: »Franz, ein beamter, der früher viel studiert hat, beschloß also, zu entgleisen. Der metaforik des ausdrucks schien er sich bewußt zu sein; sein wille war gefaßt, sein händedruck, den letztens er dem bürovorsteher gab, wärmte jenen nicht: er war, wie gewohnt, subaltern.«
Der österreichische Schriftsteller und Filmemacher Hermann J. Hendrich stellte einmal fest: »Wie bekannt lehnen die meisten Künstler eine philosophisch-kritische Auseinandersetzung über ihr Tun vehement ab.« Das trifft auch auf die Protagonisten der Grazer Boheme zu – mit Ausnahme von Helmut Eisendle und Gunter Falk: Zwar ist auch er an vorderster Front dabei in der alkoholgeschwängerten Literaturszene. Er führt aber ein zweites Leben als Soziologe und ist in der Lage, eine kritische Distanz zu seiner künstlerischen Arbeit einzunehmen.
Eine Auswahl seiner Essays liegt mit dem Band »Vom Verschwinden des Autors« inzwischen vor und zeigt einen Intellektuellen, der Bourdieu und Foucault bereits rezipierte, als das noch keine Mode war. In »Wer oder was ist ein Schriftsteller?« etwa analysiert er die Marktmechanismen des Literaturbetriebs, die dazu führen, dass Produzenten und Produkte austauschbar werden: »Dass dieses basale Faktum einigermaßen im Widerspruch steht zu den kollektiven Fantasien von Einzigartigkeit, Genialität, Tiefe und Zeitlosigkeit, mit denen sich die Literaturmacher, -freunde und -verwalter ihr Bewusstsein vernebeln, liegt auf der Hand und wird gelegentlich auch geahnt.« Andere Arbeiten gelten dem »Lesen in einer Klassengesellschaft« oder der »gesellschaftlichen Dimension des Trinkens und ihren Zuschreibungsbedingungen«. Falk arbeitet darin die Unterschiede im Umgang mit Alkoholismus in den sozialen Schichten heraus: »In einem kaum sichtbaren Prozess der politischen Produktion und Durchsetzung von Regeln werden legitime und illegitime Konsumenten definiert, gesucht, ›dingfest gemacht‹, belohnt, bestraft, ›auf dem rechten Pfad gehalten‹ oder behandelt.« Einen Text über »destruktive und konstruktive Aggressionen im Einzelnen und in der Gesellschaft« widmet er Karl Marx und Konrad Lorenz.
Die Essays sind auch Jahrzehnte später lesenswert, die poetischen Texte sowieso. Es wäre an der Zeit, diesen Autor wiederzuentdecken, bei dem sich Sprachkunst und politische Wachheit auf eine Weise verbinden, die immer sehr selten war.
Gunter Falk: worte waren einmal menschen. Alle poetischen Texte. Ritter-Verlag, 312 S., geb., 27 €. Gunter Falk: Vom Verschwinden des Autors. Essays und Kritiken. Ebenda, 344 S., geb., 32 €.
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