Deutsche Handballer bei der Heim-EM unter großem Druck

Nach dem schmeichelhaften Remis gegen Österreich ist das DHB-Team für sein Halbfinalziel nun auf fremde Hilfe angewiesen

  • Erik Eggers, Köln
  • Lesedauer: 4 Min.
Immer wieder scheiterten die deutschen Handballer um Kapitän Johannes Golla (r.) an Österreichs Keeper Constantin Moestl.
Immer wieder scheiterten die deutschen Handballer um Kapitän Johannes Golla (r.) an Österreichs Keeper Constantin Moestl.

Eines der ungeschriebenen Gesetze des Mannschaftssports lautet, dass ein Trainer seine Schützlinge nach desaströsen Auftritten nicht vernichtet, sondern sein Team schützt. Bundestrainer Alfred Gislason hat sich am Samstagabend an diese eherne Regel nicht gehalten, obwohl sein Team eine der schlechtesten Leistungen der vergangenen Jahre dargeboten hatte. »Die Mannschaft hat sich immer wieder selbst eingegraben«, sagte der 64-Jährige mit düsterer Miene nach dem 22:22-Remis gegen Österreich, das für die deutschen Handballer bei der Heim-Europameisterschaft einen veritablen Rückschlag bedeutet.

Um das selbstgesteckte Ziel der Halbfinalteilnahme noch zu erreichen, ist das deutsche Team bei nun drei Punkten auf Schützenhilfe angewiesen – Österreich (4) und Frankreich (6) sind zwei Spieltage vor dem Ende der Hauptrunde in der besten Position. Das größte Problem des Bundestrainers aber besteht darin, dass die deutsche Offensive ohne jede Struktur wirkt und erschreckend leicht zu verteidigen ist. Leichte Siege in den beiden verbleibenden Hauptrundenpartien gegen Ungarn (Montag) und Kroatien (Mittwoch, jeweils 20.30 Uhr) sind in dieser Form jedenfalls nicht zu erwarten.

In der Spielanalyse sprach der Bundestrainer insbesondere die katastrophale Chancenverwertung an. Tatsächlich waren die deutschen Schützen immer wieder an Österreichs Torhüter Constantin Möstl gescheitert, der sensationell aufspielte und am Ende auf 17 gehaltene Bälle bei einer Fangquote von 47 Prozent kam – Gislason reagierte darauf genauso fassungslos wie die 19 750 Fans in der ausverkauften Kölner Arena.

Das Vorhaben des Bundestrainers, den erkälteten Regisseur Juri Knorr zu schonen, war schon in Minute 13 gescheitert. Stellvertreter Philipp Weber, dem jegliches Selbstbewusstsein fehlte, hatte bis dahin jeweils zwei Fehlwürfe und technische Fehler produziert. Gislason beorderte Knorr, den mit nun 36 Toren besten deutschen Schützen und Passgeber, also wieder aufs Feld. Dennoch fehlen dem deutschen Spiel weiterhin die Selbstverständlichkeiten in den Abläufen, die auf diesem Niveau erforderlich sind. Die aggressive Abwehr Österreichs, die sich auf Knorr und den jeweils auf der Platte stehenden Halblinken konzentrierte, stoppte fast alle Auslösehandlungen, und die deutschen Rückraumspieler rieben sich in Zweikämpfen auf anstatt zu freien Würfen zu gelangen.

Die große Unsicherheit in der DHB-Auswahl zeigt sich auch darin, dass sie kaum Schnellangriffe läuft, mit denen sie ihre Probleme im Positionsangriff eigentlich kaschieren wollte. Die Ansage Gislasons, so zu leichten Treffern zu kommen, war schon gegen Island grandios gescheitert, als die Statistik in der Rubrik »Fast breaks« eine Null anzeigte.

Gegen Österreich lief es nicht viel besser, obwohl die deutsche Verteidigung um die Mittelblocker Johannes Golla und Julian Köster gute Arbeit leistete und Torwart Andreas Wolff, der sein Team schon gegen Island gerettet hatte, erneut auf Weltklasseniveau agierte (14 Paraden, Quote: 39 Prozent). Dennoch wurden kaum schnelle Pässe in die Spitze gewagt. Die Verunsicherung war jederzeit zu spüren.

Dass die deutsche Auswahl es trotzdem schaffte, den zwischenzeitlichen 16:21-Rückstand in den dramatischen elf Schlussminuten der Partie noch aufzuholen und damit zumindest ihre Turnierchancen am Leben zu halten, lag auch am Gegner, der körperlich nun kollabierte und immer mehr eigene Fehler ins Spiel einstreute. »Wir können noch froh sein über den Punkt«, sagte Linkshänder Kai Häfner, der von seiner Topform weit entfernt ist. »Dieses Spiel fühlt sich sehr, sehr schlecht an.«

Das Ziel sich gemeinsam mit den Zuschauern in einen Rausch hin zum Halbfinale zu spielen, haben die deutschen Handballer bislang nicht umsetzen können. Sie bieten oft Standhandball, der für die Gegner zur leichten Beute wird. »Das war unglaublich schlecht von uns und bringt uns vielleicht um unsere Ziele«, sagte auch Kapitän Golla. Rechtsaußen Timo Kastening attestierte seinem Team eine »katastrophale Leistung« und sich selbst ein »unterirdisches Spiel«.

Gegen Ungarn steht das Team an diesem Montag nun enorm unter Druck. Eine Niederlage, und das Kapitel Alfred Gislason, dessen Vertrag im Sommer ausläuft, dürfte Geschichte sein. Der Isländer ist zwar nicht verantwortlich für das Spielerreservoir, das insbesondere im Rückraum international nicht konkurrenzfähig ist. Aber Überraschungsmomente oder kreative Lösungen, die aus dieser individuellen Unterlegenheit zu ziehen sein könnten, sind eben auch nicht erkennbar. Der Gastgeber wirkt schlichtweg uninspiriert. Der Subtext in Gislasons Statements, wonach die Taktik und Strategie passten und nur die Abschlussschwäche das Problem seines Teams gewesen sei, brach insofern nicht nur mit den ungeschriebenen Gesetzen des Mannschaftssports. Er griff auch zu kurz und übertünchte damit strukturelle Probleme des Verbandes.

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