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Kein Schutz vor Diskriminierung für queere Menschen in Kirgistan
In Kirgistan wird die Lage für die LGBTQ-Community immer schlechter, Aktivisten wollen aber weiter für ihre Freiheit kämpfen
An der Tür hängt kein Schild, und im Internet sucht man ihre Adresse vergeblich. Nur Eingeweihte wissen, wo sich die einzige Gay-Bar Kirgistans befindet. »G.« heißt die Bar, eine Anspielung auf den »G-Punkt«: »Ein Ort, an dem es sich gut anfühlt, den man aber nicht leicht findet«, sagt Schenja lachend. Sie ist die Besitzerin der Bar, die vor acht Jahren in einem Keller in der Hauptstadt Bischkek eröffnet wurde.
»G.« ist eigentlich mehr ein Club als eine Bar, die große Tanzfläche und die günstigen Drinks sind bei jungen Leuten beliebt. An den Wochenenden kommen bis zu 600 Gäste, erzählt Schenja. Unter der Woche ist es ruhiger, aber geöffnet ist jeden Tag, denn einen Safe-Space kann man immer brauchen: »Die Leute wollen irgendwo hingehen. Nicht überall kann man in Sicherheit seinem Partner seine Zuneigung zeigen oder mit jemandem flirten. Also kommen sie zu uns.«
In Kirgistan halten viele queere Menschen ihre Identität geheim, um sich vor Gewalt und Diskriminierung zu schützen. In der »G.«-Bar ist deshalb Filmen und Fotografieren verboten. Denn ein unfreiwilliges Outing – das Bekanntwerden der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität einer Person – kann schwerwiegende Folgen haben. Von der Ablehnung durch die eigene Familie über Mobbing durch Kollegen und Mitschüler bis hin zu Jobverlust und körperlicher Gewalt.
Die Mehrheit der Gesellschaft der zentralasiatischen Republik ist queerfeindlich eingestellt. Die kirgisische Regierung befeuert diese Ressentiments weiter. Präsident Sadyr Dschaparow, der seit seinem Amtsantritt 2021 bestrebt ist, das Land durch zahlreiche Gesetzesänderungen zu einem autoritären Staat umzubauen, stellt Fragen der Moral und nationalen Identität ins Zentrum seiner Kampagnen. Homosexualität wird dabei als »westlicher Import« dargestellt, der eine Gefahr für die Familie und die »traditionellen Werte« Kirgistans bedeute.
Schutz vor Gewalt und Diskriminierung gibt es kaum, auf die staatlichen Behörden können sich queere Menschen in Kirgistan nicht verlassen. NGOs haben Fälle dokumentiert, in denen Betroffene auf Polizeirevieren verhöhnt, bedroht oder körperlich angegriffen wurden. In der Regel erstatten Betroffene, die Gewalt und Diskriminierung erleben, deshalb keine Anzeige. Teilweise sind Angehörige der Behörden selbst die Täter: Es sind mehrere Fälle bekannt, in denen Beamte LGBTQ-Personen zu angeblichen Dates lockten und anschließend Geld von ihnen erpressten, indem sie drohten, die Person vor der eigenen Familie zu outen.
Auch die »G.«-Bar war trotz der Sicherheitsmaßnahmen schon Ziel von Angriffen. Es wurden Steine auf den Eingang geworfen, eine Anwohnerin ging auf Gäste los, und Passanten riefen die Polizei, als sie mitbekamen, dass sie auf eine Gay-Bar gestoßen waren. »Die Polizei macht uns seit dem ersten Tag Stress«, erzählt Schenja, aber ernsthaft bedroht sei die Bar nicht.
Die »G.«-Bar ist nicht der einzige Safe-Space in Bischkek. Eine hippe Café-Bar im Zentrum, in der auch Open-Mic-Sessions, bei denen jede*r eigene Texte und Lieder vortragen kann, Brettspielabende und Filmvorführungen stattfinden, gilt als queerfreundlich. Bei einer Tasse Tee erzählt dort Anelja von der trans Community in Kirgistan. Anelja ist Koordinatorin der Initiative Myrz Aiym, die sich für trans Personen einsetzt. Innerhalb der queeren Community gehören sie zu den am meisten marginalisierten Personen. Die Gefahr, Gewalt zu erleben, ist für sie besonders groß; Spott und Ablehnung sind alltägliche Erfahrungen. Es gibt für trans Personen außerdem kaum Möglichkeiten, einer geregelten Arbeit nachzugehen oder Zugang zu höherer Bildung zu erlangen. Die meisten von ihnen sind deshalb als Sexarbeiter*innen tätig.
Ein weiteres Problem ist, dass der Geschlechtseintrag im Ausweis nicht geändert werden kann. Deshalb sind Situationen, in denen man sich ausweisen muss, für trans Personen besonders heikel. Immer wieder kommt es zu Problemen, wenn das Aussehen der Person nicht mit dem angegebenen Geschlecht als übereinstimmend eingeordnet wird, erzählt Anelja. Viele trans Personen vermeiden es deshalb, zum Arzt zu gehen, ins Ausland zu reisen oder auch nur ein Bankkonto zu eröffnen.
Anelja berichtet von ihrer eigenen Erfahrung mit Ärzten: »Vor drei, vier Jahren landete ich im Krankenhaus. Ich musste notoperiert werden. Der Arzt, der mich operieren sollte, kam zu mir, sah mich, sah meine Papiere und sagte: Solche Leute operiere ich nicht.« Erst mit viel Mühe konnte eine ehemalige Kollegin, die Anelja ins Krankenhaus begleitet hatte, einen jungen Arzt ausfindig machen, der bereit war, die Operation durchzuführen.
Anelja setzt sich für die gegenseitige Unterstützung in der Community ein und hat eine Whatsapp-Gruppe gegründet, in der man sich melden kann, wenn man Hilfe braucht. Die Initiative Myrz Aiym bietet auch regelmäßig Freizeitaktivitäten wie Volleyball oder Schwimmen im geschützten Rahmen an, um trans Personen Hobbys zu ermöglichen, die sie in der Öffentlichkeit nicht ausüben können, etwa weil sie sich nicht im Badeanzug oder in der Umkleidekabine beim Sportverein zeigen können, ohne Hass auf sich zu ziehen.
Zum weitverbreiteten Hass auf queere Menschen trägt maßgeblich bei, wie sie in den Medien präsentiert werden. Die Nichtregierungsorganisation Kyrgyz Indigo hat mehr als 200 Medienberichte analysiert, in denen die queere Community im Fokus stand. In fast 80 Prozent der Beiträge hieß es, dass LGBTQ-Personen für die Zerstörung der nationalen Identität, der Moral und der Familienwerte sorgen.
Dass es auch anders geht, beweist das Online-Medium »Queer Qyz«. Die beiden jungen Aktivist*innen Artur und Akbermet produzieren lustige und informative Videos, in denen LGBTQ-Personen aus ihrem Leben erzählen. »Es gibt nur wenige Medien mit queerer Repräsentation in Zentralasien. Wir finden es wichtig, zu zeigen, dass es viele queere Menschen in Kirgistan gibt«, sagt Artur und betont, dass »Queer Qyz« ein Medium von queeren Menschen für queere Menschen ist. Es sei nicht das Ziel, Hetero-Cis-Menschen etwas zu erklären, sondern queeren Menschen die Möglichkeit zu geben, sich wiederzufinden, zu merken, dass andere ähnliche Erfahrungen wie sie selbst machen.
»Queer Qyz« setzt auch den Behauptungen etwas entgegen, Homosexualität und Queerness stünden im Widerspruch zur kirgisischen Identität und Tradition, indem sie zeigen, dass Queerness immer Teil der kirgisischen Geschichte war und sich auch in Folklore und Traditionen findet. So verweist der Name des Mediums auf den historischen Namen Kirgistans, der sich aus den Wörtern »kyrk« (vierzig) und »qyz« (Mädchen) zusammensetzt. »Es gibt eine Legende, dass unsere Nation von 40 Mädchen gegründet wurde, das ist ein kleines bisschen queer«, sagt Akbermet.
Doch solche Versuche, Tradition und Folklore mit Queerness in Zusammenhang zu bringen, rufen besonders ablehnende Reaktionen in konservativen Bevölkerungskreisen hervor. Akbermet erzählt von Illustrationen, die sie für die Instagram-Seite von »Queer Qyz« erstellt hat: »Ich habe unsere traditionelle Jurte mit einem Regenbogen gezeichnet und zwei Mädchen, die unsere nationale Tracht tragen und sich küssen. Das hat natürlich ziemlich viel Hass verursacht.« Unter dem Post fanden sich viele Kommentare, die die von der Regierung und populären regierungsnahen Medien verbreiteten Propaganda-Narrative reproduzieren. »Bitte verwenden Sie keine nationalen Themen. Unser Volk ist nicht so verdorben, was diese Sache [Homosexualität] betrifft. In Europa ist das in Ordnung, aber in unserem Land ist das nicht willkommen«, lautet einer der Kommentare; viele andere klingen ganz ähnlich.
Die queerfeindliche Stimmungsmache der Regierung und in den populären regierungsnahen Medien fällt bei vielen Bürger*innen auf fruchtbaren Boden. Das nutzt die Regierung, um restriktive Gesetze auf den Weg zu bringen. Seit August 2023 ist es verboten, Material unter Minderjährigen zu verbreiten, das traditionelle und Familienwerte verleugnet und »nicht traditionelle sexuelle Beziehungen« befürwortet. Weitere Gesetze, die beispielsweise eine Einschränkung der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen vorsehen, sind in Planung. Was genau unter das neue Gesetz fällt und ob es zum Beispiel ausreicht, queere Inhalte mit »Ab 18«-Hinweisen zu versehen, ist unklar. Die Community ist deshalb vorsichtig, »Queer Qyz« und LGBTQ-Organisationen haben ihre Seiten vorerst gesperrt, bis klar ist, wie genau das Gesetz angewendet wird.
Diese Unklarheit ist zermürbend, erzählt die Aktivistin Meena, die ihren richtigen Namen nicht öffentlich nennen will, von Kyrgyz Indigo: »Wir sind alle sehr erschöpft. Wir können uns nicht vorstellen, was auf uns zukommt, was alles passieren kann. Wir machen einfach weiter wie bisher und versuchen, unser normales Leben zu führen. Aber im Hinterkopf ist uns klar, dass es nicht mehr so ist, wie es war. Wir wissen nicht, wie wir uns in den neuen Realitäten verhalten sollen. Das stresst uns.« Es sei nicht die Zeit, laut zu sein und für mehr Sichtbarkeit zu kämpfen. »Ich glaube, was wir jetzt tun müssen, ist, uns zu schützen. Unser Ziel ist es, zu bewahren, was bereits erreicht wurde«, sagt Meena.
In den vergangenen Jahren hat die queere Community in Kirgistan tatsächlich viel erreicht: Aktivist*innen haben sich aktiv für die Rechte von LGBTQ-Personen eingesetzt, Safe-Spaces und Netzwerke wurden geschaffen, in mehreren Nichtregierungsorganisationen finden queere Menschen medizinische, rechtliche und psychologische Hilfe. Immer wieder hat die Community unter widrigen Umständen ihre Stärke und Resilienz bewiesen, sich Spielräume geschaffen und trotz allem weitergemacht. So geht auch aktuell trotz der schwierigen Lage das queere Leben in Kirgistan weiter: Ende Oktober wurde im Zentrum von Bischkek eine große queere Halloween-Party mit Drag-Show und Vogueing (ein Tanzstil, der in den 1970ern in der homosexuellen Subkultur New Yorks entstand, Anm. d. Red.) auf der Bühne gefeiert, und im November hat die Initiative Fem-Museum eine Ausstellung mit queerer Kunst eröffnet.
Das alles ist noch möglich. Ob es so bleibt und wie die Zukunft in Kirgistan aussieht, ist ungewiss. Anlass zu Optimismus gibt es wenig, aber die Community scheint entschlossen, weiter die Freiheiten zu nutzen, die noch vorhanden sind, und dafür zu kämpfen, dass die Lage sich nicht weiter verschlechtert. »In einer solchen Situation ist es sehr schwierig, nicht die Hoffnung zu verlieren«, sagt Artur von »Queer Qyz«. »Aber ich habe immer Hoffnung.« Und eines ist sowieso klar: Solange es geht, wird in der »G.«-Bar weiterhin jeden Abend tanzbare Popmusik aus den Lautsprechern dröhnen.
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